Leitartikel

Machtvakuum

d'Lëtzebuerger Land vom 09.11.2018

Als die CSV 2013 die Wahlen verloren hatte, traten der damalige Parteipräsident ­Michel Wolter und sein Stellvertreter, Claude Wiser, am 25. Oktober 2013 vor die Presse und erklärten resolut, aber etwas voreilig, dass sie die Wahlen gewonnen hatten. Trotzdem wollte keine der anderen Parteien Koalitionsgespräche mit ihnen führen. Am 8. Februar 2014 fand dann im Limpertsberger Tramsschapp ein Parteitag statt, wo die stämmigen Männer aus Selbstmitleid weinten, aber nicht einmal Jean-Claude Juncker sich irgendeiner Schuld bewusst zeigte. Michel Wolter übernahm als einziger die Verantwortung für das Wahlfiasko, gab das Amt des Parteipräsidenten auf und spielte zur Rache Akkordeon. Marc Spautz, Sohn des ehemaligen Parteivorsitzenden Jean Spautz, wurde ohne Gegenkandidat zum neuen Parteipräsidenten gewählt, der ehemalige Luxemburger-Wort-Redakteur Laurent Zeimet blieb Generalsekretär und der ehrgeizige Nachwuchspolitiker Serge Wilmes hatte wieder einmal vergebens kandidiert. Das war alles die Schau, damit der diensttuende Fraktionsvorsitzende ­Claude Wiseler sich für die Nachfolge Jean-Claude Junckers in Position bringen konnte.

Fünf Jahre später scheint die CSV wieder dort angekommen, wo sie damals war. Claude Wiseler hat die Wahlen noch gründlicher als Jean-Claude Juncker in den Sand gesetzt. Am 16. Oktober traf sich der erweiterte Nationalrat der Partei bei den Franziskaner-Schwestern in Belair und wollte resolut, aber wieder etwas voreilig, erklären, dass die CSV die Wahlen diesmal verloren hatte. Durch die statutarisch etwas schwierige Nennung eines neuen Präsidenten und einer neuen Generalsekretärin sollten Handlungsfähigkeit und Zukunftsgewandtheit demonstriert werden. Aber das war wiederum nicht recht. Der Nationalrat konnte sich nicht auf einen Präsidentschaftskandidaten einigen und beschloss deshalb, lieber Ministerposten zu beanspruchen. Claude Wiseler kündigte zwei Tage später an, dass die CSV nun „kämpfen“ werde, aber das ist bald ein Monat her und von den christlichen Kreuzrittern ist noch immer nichts zu sehen. Nun soll ein Kongress einen neuen Generalsekretär und vielleicht auch einen neuen Präsidenten wählen.

Doch anders als 2014 könnte der Kongress nächstes Jahr nicht die Schau werden, mit der sich ein Nachfolger für den gescheiterten Spitzenkandidaten in Position bringen kann. Denn bei der ratlosen CSV liegt wieder die Macht auf der Straße, weil die einen nicht wollen und die anderen nicht können, wie es so trefflich heißt. Von jenen, die sich berufen fühlen, das Machtvakuum aufzufüllen, ist keiner unumstritten. Schließlich geht es nicht bloß um Charakterstärken, sondern auch um politische Positionen in unruhigen Zeiten. Das große Vorbild CDU führt derzeit vor, was aus einer solchen Situation entstehen kann.

Dass die CSV 2013 die Wahlen verlor, konnte als ein aus den besonderen Umständen erklärbarer Betriebsunfall verbucht werden, wie er 1925 und 1974 passiert war. Dass sie auch 2018 die Wahlen verlor, ist weit dramatischer. Denn damit wird die stärkste und bisher privilegiert mit dem Staat verflochtene Partei auf das Format einer Partei wie all die anderen zurechtgestutzt, sie verliert endgültig den sich selbst angedichteten Nimbus der Unersetzlichkeit.

Wenn aus fünf Jahren Opposition ein zehnjähriger Gang durch die Wüste wird, läuft die CSV Gefahr, dass ihre Informationskanäle aus den staatlichen Einrichtungen austrockenen, dass ihr politisches Kapital für Klientelismus aufgebraucht wird, dass der politische Nachwuchs sich erstmals ausrechnet, bei anderen Parteien schneller Karriere zu machen. Die ähnlich funkionierende DP kannte das in der Vergangenheit. Sicher wird es auch in Zukunft eine Wählerbasis für eine konservative Partei geben, aber die CSV wird dann vielleicht eine Nummer kleiner und vor allem eine andere sein.

Romain Hilgert
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