Leitartikel

Nachhaltigkeitskoalition

d'Lëtzebuerger Land vom 22.12.2017

Bei einer im Sommer und Herbst von TNS-Ilres für das Luxemburger Wort und RTL bei 4 726 Wahlberechtigten durchgeführten Meinungsumfrage erwarteten sich 26  Prozent und erhofften sich 16 Prozent der Befragten für nächstes Jahr eine Regierung von CSV und Grünen, mehr als jede andere mögliche oder unmögliche Koalition. Vor einigen Jahren wäre eine schwarz-grüne Koalition noch unvorstellbar gewesen, gar nicht zu reden davon, dass sie zur beliebtesten würde. Das war, als die Konservativen die Grünen noch als linksradikale Chaoten fürchteten, die zu jeder Gotteslästerung und Majestätsbeleidigung fähig schienen. Wie die rezenten Koali­tionsverhandungen in Esch-Alzette zeigten, gibt es andererseits bei den Grünen noch heute Mitglieder und Wähler, die in der CSV bloß klerikale Fortschrittsfeinde sehen.

In Wirklichkeit haben sich beide Parteien deutlich verändert. Die CSV hat sich an die säkularisierte Gesellschaft angepasst, hatte als erste der großen Parteien Frauenquoten, versprach in ihren Wahlprogramm 2013 die Abschaffung des Religionsunterrichts im Sekundarunterricht und stimmte 2014 für die gleichgeschlechtliche Ehe. Die Grünen haben imperatives Mandat, Rotationsprinzip und Fünf-vor-zwölf-Panik längst als Jugendsünden abgehakt, und eine neue, weitgehend unpolitische Genera­tion erwies sich auf Gemeinde- und sogar Parlamentsebene als zuverlässige, nach allen Seiten offene Technokraten. So trifft man sich bei der Staatsbürgerschaft und dem Verschleierungsverbot, in den Schöffenräten von Esch-Alzette und Differdingen gut gelaunt auf halbem Weg in der bürgerlichen Mitte. Hatte Jean-Claude Juncker noch die Grünen 2009 bloß zum Schein zu Sonderungsgesprächen eingeladen, um LSAP und DP unter Druck zu setzen, so kann sich sein Nachfolger Claude Wiseler täglich überzeugen, welche sichere Kantonisten der fleißige François Bausch und die gottesfürchtige Carole Dieschbourg sind.

Doch wenn „der Wähler“ oft dumm und käuflich ist, sind die Wähler gemeinsam meist klüger als alle Politiker und Leitartikler zusammen. Deshalb hat die Beliebtheit einer Regierungskoalition zwischen CSV und Grünen nicht bloß die arithmetische Erklärung, dass die CSV zumindest in den Meinungsumfragen die nächsten Wahlen gewinnen und die Grünen als einzige der drei potenziellen Koalitionspartner sie nicht verlieren könnten – denn so werden seit Jahrzehnten hierzulande Regierungen gebildet. Der Ruf nach Schwarz-Grün ist auch etwas wie der politische Auftrag eines Teils der Wähler.

Ein Wählerauftrag, der gezielt an zwei sich perfekt ergänzende konservative Parteien gerichtet ist: Die CSV soll die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse konservieren, die Grünen sollen die biologischen Verhältnisse konservieren. Wobei CSV und Grüne sich sogar einig sind, dass die biologischen Verhältnisse die Grundlage der gesellschaftlichen darstellen.

Geht es nach dem Wunsch des größten kleinen Teils der um ihre Meinung Befragten, sollen CSV und Grüne gemeinsam gewährleisten, was die Mittelschichtenwähler mit Eigenheim, Skiurlaub und nicht selten Punktwerterhöhung für ein gutes Leben nötig halten, die ewige Sicherheit eines für sie gemütlichen CSV-Staats mit grüner Mülltrennung und bald Elektro­autos. Die CSV soll sich um die gesellschaftliche Nachhaltigkeit kümmern, so viel wie möglich konservieren und so viel ändern, wie nötig, damit alles beim Alten bleibt. Die Grünen sollen sich um die ökologische Nachhaltigkeit kümmern, so viel wie möglich ändern, damit so viel wie möglich konserviert werden kann. Zur Not können sie den Wählern anderer Parteien wie aus einem Mund demütiges Verzichtsdenken predigen, weil dann niemand mehr weiß, ob ihr Fastenwort aus dem Matthäus-Evangelium oder dem Brundlandt-Bericht stammt.

Romain Hilgert
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