Die Europäer steigen gegen Ankara in den Ring. Weil Ankara auf den Hoheitsgewässern des EU-Mitglieds Zypern unbekümmert Bohrschiffe kreuzen lässt, rüstet sich Brüssel für die Verhängung von Sanktionen gegen türkische Verantwortliche. Doch das Regime lässt in Ankara sich davon nicht beeindrucken.
Alles fing vor einigen Jahren mit der Entdeckung von Erdgasfeldern im östlichen Mittelmeer an. An sich sind die neugefundenen Reserven auf dem Weltmarkt bedeutungslos. Doch für Zypern, das bisher kaum über eigene Energiequellen verfügte, sind sie im wahrsten Sinne Gold wert. Auch weitere Länder im östlichen Mittelmeer zeigten Interesse. Es entstand eine Zusammenarbeit zwischen Zypern, Israel, Ägypten und weiteren Ländern mit dem Ziel, die Gas-Reserven gemeinsam auszubeuten und mit einer Pipeline nach Europa zu exportieren.
Mit dieser bisher nie dagewesenen Kooperation scheuchten die Partner jedoch die Türkei auf. Denn ihre Partnerschaft legt beredt Zeugnis ab von Ankaras diplomatischer Isolation in der Region. Die Pläne, welche den gemeinsamen Bau von Pipelines vorsehen, um mit dem Gas auch irakisches Erdöl nach Europa pumpen zu können, unterminieren zudem Ankaras eigene Pipeline-Träume. Denn die Türkei verfolgt seit Ende der 1990-er Jahre die Vision, ein lukrativer Energie-Hub für die EU zu werden.
Ankara beeilte sich, in Reaktion auf die Pläne seiner Nachbarn zu erklären, die neuen Erdgasreserven steckten im türkischem Kontinentalsockel. Außerdem hätten auch türkische Zyprioten ein Recht darauf. Seitdem vertreiben türkische Kriegsschiffe nicht nur zypriotische Schiffe aus den umstrittenen Gewässern, sondern auch die Schiffe internationaler Energiefirmen. Längst bohren türkische Förderschiffe, geschützt durch die türkische Marine, nach Erdgas.
Brüssel will nun Sanktionen gegen Personen und Unternehmen verhängen, die für diese als illegal angesehenen Bohrungen verantwortlich sind. Doch die europäische Reaktion ist zaghaft. Die Maßnahme ergeht sich zunächst in der Schaffung eines rechtlichen Rahmens für Sanktionen nebst einer Blanko-Liste. Wann und ob die Liste überhaupt gefüllt werden wird, vermag noch niemand zu sagen.
Die Türkei zögerte nicht lange und schickte der EU einen ganz besonderen Gruß. Gleich nach dem europäischen Beschluss folgte die Entscheidung, IS-Kämpfer und deren Familienangehörige mit europäischen Pässen abzuschieben, die die türkische Armee in Syrien aufgelesen hatte. Die ersten IS-Anhänger sollen demnächst in Deutschland und anderen EU-Staaten ankommen. Mag sein, dass dieser Schritt Europa kaum wehtun wird. Das Regime in Ankara hat jedoch eine noch großkalibrigere Waffe parat. Wohlwissend, dass den Europäern zum Thema Flüchtlinge nicht viel mehr einfällt als die Grenzen zu schließen, droht Ankara seit Monaten, seine Grenze zur EU für die knapp 3,5 Millionen Flüchtlinge im Land zu öffnen.
Es kann daher nicht sehr verwundern, dass das Regime in Ankara die Drohgebärden aus Brüssel nicht sonderlich ernst nimmt. Zunächst sieht der türkische Autokrat Recep Tayyip Erdogan, dass die Europäer bisher selbst völkerrechtswidrige militärische Aktionen der Türkei mit nur folgenlosen Meckern hingenommen haben. Weder die Besetzung Afrins, noch der jüngste Überfall auf kurdisch-kontrollierte Gebiete in Syrien zogen ernsthafte Sanktionen nach sich.
Noch mehr freut sich die Türkei über die meist bei Konservativen in Europa anzutreffende Überzeugung, dass die Türkei für immer und ewig bereit sein wird, die Südostflanke Europas zu verteidigen, ohne dafür jemals in die EU aufgenommen zu werden. Sondern sich mit Geldzahlungen begnügen werde. Eine Überlegung, die türkische Analysten fröhlich schmunzeln lässt. Denn genau diese Fehlannahme nutzt das türkische Regime aus. Während Ankara die EU gerne im Glauben lässt, man wolle unbedingt in die Gemeinschaft, verfolgt das Regime in Wahrheit recht konsequent sein Ziel, schnell zu einer selbständigen Regionalmacht zu werden.
Außerdem hat Ankara noch zwei Asse im Ärmel: Europäische Unternehmer haben bereits sehr viel in das kapitalistische Paradies Türkei investiert und würden dies gerne künftig, ungeachtet der Menschenrechtsproblematik, weiterhin tun. Und: Türkische Außenpolitiker wissen, dass türkischstämmige Bürger in zahlreichen EU-Ländern eine wachsende Minderheit darstellen, die bei Bedarf manipuliert und aufgewiegelt werden könnte.
Zu guter Letzt unterstützen europäische Problem-Staaten wie Ungarn gerne türkische Interessen. Budapest blockierte so bereits seit Monaten die nun Gestalt annehmende Brüsseler Sanktionsidee. Vor diesem Hintergrund ist es eher unwahrscheinlich, dass sich Ankara von Brüsseler Blanko-Listen aus dem Konzept bringen lassen wird. Stattdessen, so ist anzunehmen, wird zunächst einfach mal weitergebohrt.