Im November 2014 hatte die Regierung mit den Gewerkschaften ausgehandelt, die Familienzulagen an die Entwicklung des Medianeinkommens anzupassen. Die Handelskammer verhinderte 2016 mit Unterstützung des Staatsrats das entsprechende Gesetz. Vergangene Woche verabschiedete die Regierung einen neuen Gesetzentwurf. Er soll das Kindergeld ab 2022 wieder an den Preisindex anpassen.
„Ce sont les ménages avec enfants qui présentent les risques de pauvreté les plus élevés“, stellt das Statec fest (Rapport travail et cohésion sociale 2020, S. 99). Ohne Familienzulagen und Revis wären 26,5 statt 17,5 Prozent der Bevölkerung einem „Armutsrisiko“ ausgesetzt (S. 108). Darunter sind mehr als die Hälfte Working Poor (S. 102).
„D’Allocations familiales géingen ausbezuelt ginn, fir dem Stat Zaldoten ze stellen an dem Kapital bëlleg Aarbechtskräften an d’Äerm ze werfen.“ So fasste der parlamentarische Berichterstatter Emile Colling (CSV) am 11. März 1947 die Kritiken an der Einführung des Kindergelds zusammen.
Das Kindergeld trägt dazu bei, dass sich auch die nächste Generation zahlreich und günstig auf dem Arbeitsmarkt feilbietet. Zu dem Zweck müssten die Unternehmen kinderreicheren Müttern und Vätern höhere Löhne zahlen. Doch kein Einzelunternehmer trägt freiwillig Kosten im Interesse aller Unternehmer.
Deshalb bezuschusst das Kindergeld die Reproduktion der Arbeitskraft. So verringert es ihren Anteil an den Produktionskosten. Der zweideutige Name prophezeit den Kleinen ihr Schicksal: als Waren auf dem Arbeitsmarkt, als variables Kapital. Die Klerikalen verklärten das Kindergeld zum Herzstück konservativer Sozialpolitik: Als Sehnsucht nach der gottesfürchtigen Großfamilie ohne Pille und Kondome.
Statt klassenkämpferisch von oben nach unten soll das Kindergeld „horizontal“ umverteilen. Dadurch bekommen sogar Haushalte Kindergeld, die es gar nicht brauchen. „Well de Papp vis-à-vis vun engem Jonggesell a vis-à-vis vum Volksganzen eng Mehraarbecht leescht doduerch, dass en eng Familje grousszitt“, so Emile Colling. Auch wenn es die Mamm ist, die am meisten unentlohnte Reproduktionsarbeit leistet.
Am Ende der Stahlkrise hatten CSV und LSAP 1986 noch eine Zulage zum Schulanfang draufgelegt. Angeblich um das von Gérard Calot prophezeite Aussterben der Luxemburger zu verhindern. Danach wendete sich mit der Schwächung der Gewerkschaften das Blatt. Das Kindergeld war ein Kind des Fordismus. Mit dem Fordismus endete die goldene Zeit des Kindergelds.
Ursprünglich mussten auch die Unternehmen in die Familienzulagenkasse zahlen. Bis CSV und LSAP 1994 die letzten Unternehmerbeiträge abschafften. 2014 wollten DP, LSAP und Grüne den Spieß umdrehen. Sie wollten der Arbeitskraft eine Zwecksteuer zur Finanzierung ihres Kindergelds auferlegen. Am Ende nannten sie es Haushaltsausgleichssteuer.
CSV und LSAP hatten 2006 beschlossen, das Kindergeld nicht mehr an den Preisindex anzupassen. Dadurch ist es heute ein Viertel weniger wert. 2016 kürzten DP, LSAP und Grüne das Kindergeld für alle Familien mit mehr als einem Kind. So finanzierten sie aus der „Zukunftskeess“ den Elternurlaub für ihre Mittelschichtenwähler. Nun soll das Kindergeld wieder an die Entwicklung des Preisindex’ angepasst werden. Ohne nennenswerte Inflation kostet das erst einmal wenig. Der Wertverlust der letzten 15 Jahre wird nicht ausgeglichen.
Mit der erneuten Indexierung soll das Kindergeld auf den „travailleur qui devra avoir un lien de filiation avec l’enfant“ beschränkt werden. Das geht auf Kosten der Patchwork-Familien und Grenzpendler. Seit 15 Jahren suchen die Regierungen im Streit mit dem Europäischen Gerichtshof immer neue Tricks, um den Grenzpendlern Kindergeld vorzuenthalten: Kinderbonus, Chèques-services, Stipendien, Sachleistungen… Der um die „Exportabilität“ des Kindergelds geschürte Neid soll die Beschäftigten entzweien.