ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Zwischen Beki und Cargolux

d'Lëtzebuerger Land du 07.05.2021

Wir sind ja nicht blöder als die anderen Parteien, dachte sich Mobilitätsminister François Bausch. Dann suchte er eine Parteikollegin für den Verwaltungsratsvorsitz der staatlich kontrollierten Cargolux. Er will die Grünen seit langem in Unternehmerkreisen salonfähig machen. Doch sie sind noch immer eine kleinbürgerliche Veranstaltung. Die weltgewandten Manager in ihren Reihen sind selten. So fiel die Wahl auf die Oberpallener Gemischtwarenhändlerin Christianne Wickler.

Der Mann in der Eisenbahn gibt dem Minister Recht: „Es ist eine armselige Ideologie, daß zur Verwaltung eines Trusts unter den gegenwärtigen Bedingungen irgend mehr Intelligenz, Erfahrung, selbst Vorbildung gehört als dazu, einen Manometer abzulesen“ (Minima Moralia, S. 238).

Christianne Wickler hatte 2012 geholfen, den Unternehmerverein 5 vir 12 zu gründen. Sein Ziel war der Sturz von CSV-Premier Jean-Claude Juncker. Nach getaner Arbeit wurde François Bausch Minister und sie Abgeordnete. Sie unterwarf sich nur wenige Monate der Fraktionsdisziplin. Unterwerfung ist für Lohnarbeiter.

Wir leben in ideologisch unsicheren Zeiten. Neoliberalismus, Klimawandel, Populismus, Corona-Seuche: Die besitzlosen Klassen wissen nicht, was sie davon halten sollen. Doch die Verwirrung verschont selten die besitzenden Klassen. Im 19. Jahrhundert waren die besseren Bürger spiritistisch. Im 20. Jahrhundert übersetzte Arbed-Erbin Aline Mayrisch das Gespräch zwischen Schwester Kathrei und dem Beichtvater ins Französische.

Christianne Wickler gehört dem Nachhaltigkeitsrat an. Dort fühlen sich umweltbewusste Unternehmer und Beamte auserwählt, den Wirtschaftsstandort ökologisch konkurrenzfähig zu machen. Im Nachhaltigkeitsrat muss die Tankstellenbetreiberin von der belgischen Grenze die Schädlichkeit des Tanktourismus beanstanden.

Christianne Wickler half dem grünen Bürgermeister Camille Gira, die Beckericher Lokalwährung Beki zu gründen. Damit die Leute ihr Brot bei Fischer in Oberpallen statt bei Fischer in Mersch kaufen. Cargolux ist das Gegenteil von Beki. Die Firma fliegt Waren von einem Ende der Welt ans andere.

Globalisiert denken und lokal Handel treiben oder umgekehrt, Ideale und Geschäfte zu vereinbaren, verlangt Verrenkungen. In Corona-Zeiten bekommen die Viren die Schuld. Deshalb war Christianne Wickler Präsidentin des Vereins Expressis verbis. Dieses virtuelle Pall Center bietet statt Waschpulver und Schnittlauch Quacksalber und Komplotte feil.

Bei Radio 100,7 stellte Christianne Wickler vorige Woche die Internet-Seite des Vereins als ideologische Gemischtwarenhandlung dar. Die freie Konkurrenz soll entscheiden, welcher Aberglaube in den Rang einer Tatsache aufsteigt. Kann es etwas Toleranteres geben als den freien Markt? So kommt als Heiliger Geist der Krämergeist über die Jünger. Damit sie „anfangen, in verschiedenen Zungen zu reden“ (Apostelgeschichte, 2.4)?

In der Seuche laufen zwei trübe Quellen des grünen Weltbilds zusammen: die esoterische Ablehnung der Schulmedizin durch Homöopathen und Bach-Blüteler sowie das liberale Misstrauen gegenüber dem bösen Staat im Namen einer guten Zivilgesellschaft.

Hypochondrie gehört seit bald 40 Jahren zum Geschäftsmodell der Partei. Doch die Empörung über Maskenpflicht, Ausgangssperren und geschlossene Kneipen ist bis in grüne Regierungskreise verbreitet. Nur die öffentliche Äußerung wird sich verbissen. Die grünen Minister hängen an ihren Dienstlimousinen.

Umgehend stellte die neue Cargolux-Vorsitzende ihr Irrlicht unter den Scheffel. „Die irrationalistischen Philosophen verstehen freilich nur selten, irrational zu handeln“, notierte Max Horkheimer. „Auch vertragen sie sich untereinander und mit allen offiziellen Cliquen, die ihrem Fortkommen dienen können, ausgezeichnet“ (Gesammelte Schriften, Bd. 11, S. 274).

Romain Hilgert
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