In mir gibt es nicht nur ein Tier, sondern Millionen, wenn wir die Bakterien als Lebewesen zu den Tieren zählen wollen. Ohne sie gäbe es mich nicht. So bin ich von Anfang an auf viele Lebewesen außer mir und in mir angewiesen und werde auf meine Verbundenheit mit dem Leben der Natur verwiesen.
Was ist eigentlich an diesem „Tier in mir“ so schlimm, seit Darwin unsere Abstammung aus dem Tierreich als höchstwahrscheinlich hingestellt hat? Wird unsere imaginierte Ebenbildlichkeit Gottes dadurch in Frage gestellt? In früheren Zeiten gab es durchaus das Bestreben, die Kluft zwischen Mensch und Tier möglichst groß zu machen. Könnte man nicht umgekehrt fragen: „Wie viel Mensch steckt im Tier?“ Da diese Verbindung in beide Richtungen läuft, wäre es logisch, den Unterschied zwischen Mensch und Tier nicht zu übertreiben. Und dem Menschen könnte man hierbei nahelegen, dass wir alle im selben Boot leben. Übrigens: Die Arche Noah ist eine eher seltene Stelle in der Bibel, wo diese Gemeinsamkeit von Mensch und Tier eine Rolle spielt.
Vermutlich hat die Ablehnung des Tieres in uns zwei Gründe: Unsere menschliche Eitelkeit fühlt sich in der hohen Meinung von sich selbst verletzt und unsere Vorstellung der Sterblichkeit und Dinghaftigkeit, mit der das Tier, mit dem wir ja schonungslos umgehen, in erster Linie verbunden wird, erinnert uns unangenehmerweise an die eigene Natürlichkeit und Sterblichkeit.
Lange Zeit wird das Tier in der Geschichte als negativ und minderwertig konnotiert, der Mensch hingegen als ein Wesen, welches das Tier „überwunden“ hat. „Das Tier in mir“ wird dann zur Bestie in mir, und somit wird unsere Triebhaftigkeit und Aggressivität in einen Bereich des Minderwertigen verwiesen, den es zu überwinden gilt. Das Tier kann seine Triebe und seine Egozentrik nicht kontrollieren, dem Menschen hingegen erlaubt seine Freiheit, Distanz zum eigenen Triebleben zu gewinnen. Und somit gilt ihm das Tier als ein Modell unfreier Triebe, denen es vollständig ausgeliefert ist. Höhepunkte dieser Differenz zwischen Mensch und Tier werden in den Dompteurleistungen im Zirkus und den Stierkämpfen gefeiert, wobei auch das Tier, das seine Dompteure und Jäger besiegt, am Ende sein Leben verliert.
Die Sicht Descartes hat insofern negativ gewirkt, als er im Tier eine empfindungslose Maschine, einen Automaten ausmachte, der nicht anders als ein Objekt behandelt zu werden verdient. Mit dieser Auffassung eines Vorreiters der Wissenschaft dis-tanzierte sich der Mensch noch weiter vom Tier, dessen Leiden und Schmerzen ihm gleichgültig wurden. Nun hat die zoologische Forschung in letzter Zeit besonders auf die „altruistischen“ und „empathischen“ Neigungen bei unseren Vorfahren oder animalischen Verwandten, den Bonobos, verwiesen. Empathie und Mitgefühl sind in dieser modernen Deutung Eigenschaften von Tieren, die der Mensch übernommen hat. Wenn wir uns mit diesem „Erbe“ beschäftigen, stellt sich heraus, dass „das Tier in mir“ nicht nur egozentrisch wirkt und auch keine Bestie ist, sondern auch das Wohl der Gemeinschaft im Auge hat. Und wieso muss das Wohl der Gemeinschaft dem Eigennutzen zuwider sein? Hiermit wird die Ethik des Menschen aus dem Tierreich ableitbar und der Abgrund zwischen Mensch und Tier verringert sich. Die Ethik muss sich nicht mehr auf eine höhere Instanz berufen und ergibt sich aus der natürlichen Entwicklung der Lebewesen.
Wozu also das Tier in uns verdrängen oder negieren?