Diesen August wird die Revue Achtzig. In den Anfangsjahren prägte Katrin C. Martin das Magazin. Was wollte die extrovertierte Chefredakteurin?

„Nah am Leser“

d'Lëtzebuerger Land vom 08.08.2025

Die Anekdote über Katrin C. Martins chronisches Zuspätkommen fasst Léon Nilles in einem Revue-Nachruf im Jahr 1984 zusammen: „Alles, was an der Pétrus Rang und Namen hatte, war der Einladung pünktlich gefolgt.“ Ob Verein, Bank oder Partei – wer auch immer zu einer öffentlichen Veranstaltung einlud, Katrin Martin habe stets als Nachzüglerin auf sich aufmerksam gemacht. Sie vollführte an der Tür eine elegante Drehung, sodass „ihr bis zu den wohlgeformten Waden reichendes, extravagant geschneidertes Kleid herumwirbelte“, und dabei sagte sie: „Hei ass d’Revue!“. „In jeder Bewegung eine Lady“ – so beschrieb sie Revue-Chefredakteur Lucien Thill im Jahr 1970. Die Hochgewachsene habe ihre männliche Umgebung „verblüfft“ mit ihrem „Esprit und nicht zuletzt mit ihren sechs Fremdsprachen“, die sie angeblich fließend sprach und schrieb.

Von März 1949 bis Dezember 1951 war Katrin Martin Chefredakteurin der Revue und formte die Illustrierte nach dem Grundsatz, sie müsse „unterhalten und belehren“. Zu dem Zeitpunkt war sie vier Jahre alt; gegründet wurde sie 1945 von dem Graphiker und Glasmaler Emile Probst „zur Schueberfouerzeit“. Luxemburg bilde „eine winzige Familie in der großen Welt, und deshalb müssten die Begebenheiten in Düdelingen auch in Wemperhardt Interesse finden“, befand Martin. Sie und ihre – häufig freischaffenden – Mitarbeiter scheuten ihrem Versprechen zufolge „weder Mühe noch Ausgaben, um unser Heimatleben ausführlich im Bild zu präsentieren“. Das Magazin war Luxemburgs erste Illustrierte mit reichlich Platz einnehmenden Fotos – die Leser /innen sehen im Mai 1951 beispielsweise Fließbandarbeiter im Goodyear-Werk, Feldblumen, Jungs und Mädchen beim Fechten. Martin selbst schrieb während ihrer drei Jahre bei der Revue Reportagen, legte den Aufbau der Zeitung fest, fuhr zu Pressekonferenzen, Fußballspielen und Radrennen – und „zankte sich Beiträge und Fotos herbei“, wie Pol Aschman ihre Arbeit zusammenfasste. Als Chefredakteurin gewann sie unterschiedliche Mitarbeiter und „Gelegenheitsmitarbeiter“ für ihr Blatt – unter anderem Paul Leuck, Tony Krier, Pel’l Schlechter, Victor Molitor, Marguerite Bach und den bereits erwähnten Aschman.

Die Revue-Chefredakteurin schrieb querbeet über alles Mögliche; ihre Texte sind seit Anfang des Jahres über eLuxemburgensia einsehbar. So besuchte sie etwa die Neelfabrik in Bissen und streifte dabei die „wirtschaftspolitischen Sorgen“ des Sommers 1949. Handwerk und Kleinindustrie klagten, der Konkurrenz aus Belgien nicht gewachsen zu sein, die den heimischen Markt mit Stahl überschwemme. Aber Martin schweifte – wie es für Magazine Mitte des 20. Jahrhunderts nicht unüblich war – immer wieder in literarische Beschreibungen ab, auch bei Wirtschaftsthemen: Die Nagelfabrik niste in einem „waldschönen Hügelkranz“, dessen „Torbögen von Jahrhunderten erzählen, während die Dynamos und modernen Maschinen ihre metallenen Strophen singen“. Auf einer Messe für Urbanismus und Maschinenbau in Limpertsberg verzichtete sie auf politökonomische Kommentare und staunte stattdessen über die ausgestellten Objekte: Die Firma Kraus habe „eine Menge der allerneuesten Errungenschaften“ präsentiert – „Rechenmaschinen, Schreibmaschinen, Kopiermaschinen, Vervielfältigungsmaschinen und wie sie alle heißen“.

Von der Messe fuhr sie ins Itziger Kinderheim, von dort weiter zur Prinzenhochzeit nach Nancy, um über „Kronen aller Zacken und Edelleute aller Sprachen“ zu berichten – und anschließend zurück ins Staatsministerium, um „in alle Büros einzudringen“ und die Beamten „zusammenzutrommeln“. Dabei, so schreibt sie, blitzlichterte die Kamera „ungeniert“, und „der indiskrete Bleistift“ notierte „das Gesehene ins Heftchen“. Wurde es zeitlich eng und rückte die Deadline schneller heran, als gedacht, griff Martin auf Reportagen zurück, die sie bereits in ihrem Buch Bis wo der Pfeffer wächst (1948) veröffentlicht hatte, wie Oktober 1949, als sie von ihren Tagen in Feuerland berichtete. Anstelle gesellschaftspolitischer Analysen liefert sie erneut vor allem Landschaftsbeschreibungen: „Steil ragte die Küste, an der wir entlang ritten. Gletscher formten ein Panorama, so wechselreich an Licht und farbigen Schatten, so gewaltig, so erhaben, dass ich es wie eine antike Sage in mich übergehen fühlte.“

Mehrfach verfasste sie Beiträge über die von ihr als „Kolonisten“ bezeichneten Auswanderer. Über Argentinien befindet sie: „Kein Land absorbiert den Europäer so schnell“ wie das südamerikanische. Die Luxemburger Auswanderer seien dort „allmählich in den Einheimischen aufgegangen“, und vor allem der Krieg habe sich für die ackerbauenden Auswanderer ausgezahlt. Sie selbst lebte in den 1930er-Jahren in Südamerika und war vor allem in Buenos Aires als Journalistin tätig. Auch die „Kolonisten“ in Kanada hätten während des Kriegs mit ihren Dollars an den hungrigen Europäern verdient, wie sie in einem Beitrag vom Mai 1949 mit dem Titel Die Öslinger in Kanada festhält. Darin schreibt sie über die „Bigonville Farm“ in der Provinz Saskatchewan, mit deren Eigentümer sie in Kontakt stand. Er sei „ein tüchtiger“ und „tief religiöser Öslinger, der unserem Lande in der Fremde sehr zur Ehre gereicht“. 42 Pferde, 120 Rinder und 1 000 Stück Federvieh zähle sein Bestand. Trotz des Erfolgs in der Ferne vermisse er sein Ösling, stellte die Journalistin fest. Er habe ihr in einem Brief mitgeteilt: „Ach, ich möchte noch einmal die Glocken von Bondorf im Abendrot läuten hören und den Jangli, wenn er von Kötschette herangestuckert kommt.“

Der Journalistin war Bondorf (Bigonville) keineswegs fremd. Als Kind lebte sie in dem Dorf an der belgischen Grenze, wo ihr Vater als Zollbeamter tätig war. Nach dem Besuch der Lehrerinnenschule in Luxemburg-Stadt arbeitete sie zunächst im Nordwesten des Landes als Lehrerin, zog dann allerdings nach Paris, um dort „vermutlich“ Journalismus zu studieren, wie das Autorenlexikon des CNL festhält. In Paris heiratete sie den Italiener Ernesto Luigi Comparini und erhielt die italienische Staatsbürgerschaft. Laut Autorenlexikon führte sie in Paris, Florenz und Monte-Carlo Interviews „mit weltbekannten Schriftstellern wie Pierre Loti, Anatole France, Gabriele D’Annunzio und Emil Ludwig, die sie in ihren jeweiligen Domizilen aufsuchte“. Allerdings sind auf Anhieb keine Quellen für die genannten Publikationen auffindbar – wie überhaupt viele Details der Biografie der Journalistin bislang im Dunkeln liegen.

Katrin Martin war nicht die erste Frau mit Führungsbefugnis bei der Revue. Da der Grafiker Emile Probst seine Energie nicht in seine publizistische Kopfgeburt investieren wollte, überließ er die Leitung anfangs Marie-Paul Noesen, die als „Redaktionssekretärin“ zwei Ausgaben pro Monat verantwortete. Sie legte die Grundlagen dafür, dass Abonnenten durch Hausbesuche angeworben wurden und ein Netz lokaler Vertreter und Austräger entstand – um die Post zu entlasten, die zeitweise nur noch ein Fünftel der Magazine ausliefern musste. Als Probst die Herstellungskosten zu hoch wurden und er nach Brüssel zog, verkaufte er das Blatt 1949 an die Druckereifamilie Bourg-Bourger. Von Beginn an verstand sich die Revue als „Familienblatt“ und trug zum psychopolitischen Programm des Nachkriegspatriotismus bei, das das Bild der Nation als Familie verankern sollte, wie Romain Hilgert in Zeitungen in Luxemburg 1704-2004 analysiert. Neu an der ihr war überdies, dass mit dem Abonnement eine Lebens- und Invalidenversicherung verbunden war, und jeden Monat konnten Leserinnen und Leser bei der Gléckspolice Polstersessel, Waschmaschinen, Pelzmäntel, Fahrräder oder Konzertschränke gewinnen.

Zur Attraktivität der Zeitschrift trug überdies bei, dass sie sich modisch-modern gab sowie zugleich weltmännisch und national. Näh- und Strickanleitungen standen neben Neuigkeiten aus der Pariser Modewelt. Die Rubrik Die Welt der Frau wirkt aus heutiger Sicht unvermeidlich anachronistisch: „Unter eine dünne, weiße Bluse gehört ebenfalls ein weißes Unterkleid“, lautet ein Ratschlag. Außerdem enthielt die Illustrierte Comic-Seiten, Auszüge eines Romans, eine Rubrik für Briefmarkensammler, und auch das Vereinsleben und das Sportgeschehen kamen nicht zu kurz. Der spätere Chefredakteur Lucien Thiel attestierte Martin ein „seltenes Gespür fürs Zeitungsmachen“. Mit ihrer Strategie, „so nah wie möglich am Leser“ zu sein, habe sie gepunktet, etwa mit den Hochzeitsphotos, „auf denen sich Jungvermählte stolz der Luxemburger Öffentlichkeit präsentierten“. Diese Rubrik blieb bis ins 21. Jahrhundert ein Dauerbrenner. Die Mischung hatte Erfolg: 1945 lag die Auflage bei 2 000 Exemplaren, zehn Jahre später waren es bereits 25 000. Die Revue sprach unterschiedliche Milieus an und konnte ein breites Publikum erreichen. Anders, als der Auflagenanstieg vermuten lässt, war die Nachkriegszeit mit ihrem ökonomischen Aufschwung und dem Wiederaufbau demokratischer Institutionen jedoch keine Hochphase der Presse. Vielmehr kam es zu einer politischen Konzentration der Tageszeitungen: Jede der vier großen Parteien verfügte über ein eigenes Blatt – die Sozialisten über das Tageblatt, die DP über den Journal, die Kommunisten über die Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek und die CSV über das Luxemburger Wort. Die Revue und das 1954 gegründete Lëtzebuerger Land bildeten als Wochenpresse eine Ausnahme.

Geschadet hat dem Wochenblatt der Workoholismus seiner Chefredakteurin wohl kaum. Pol Aschmann beschrieb sie in der Revue als „eine Frau von außergewöhnlicher Tatkraft, sprühendem Geist und unbändiger Energie“. Ihren Journalistenberuf habe sie „leidenschaftlich geliebt“ und ihm ihre Freizeit geopfert. „Aufschneider, Snobs, Phantasielügner“ seien ihr gegen den Strich gegangen. Ihre Launen wiederrum konnten ihrem Umfeld zusetzen: Die „geborene Schauspielerin“ (wie sie Léon Nilles nannte) konnte rumtoben; Drucker, Setzer, Korrespondenten und Fotografen waren vor ihr nicht immer sicher. Sie warteten dann „bis der Sturm sich im ersten Stockwerk gelegt hatte“, bevor sie sich wieder in ihr Büro wagten. Der Chefredakteur des Land, Carlo Hemmer, lobte 1955 ihre künstlerische Qualität, diese sei „bei ihr selbstverständlich“; sie verfüge über einen „nuancierten Wortschatz“. In ihrem damals neuesten Werk, einer Sammlung literarischer Porträts über die Luxemburger Prominenz, werde diese allerdings stark idealisiert, schmunzelte Hemmer, und wunderte sich über die engelhaften Charaktere, die angeblich das Großherzogtum ausmachten: „Unter den über sechzig dargestellten Persönlichkeiten findet sich keine einzige, welche einer Intrige, einer Lüge, einer Ungerechtigkeit fähig wäre.“

Das Aussparen von Grautönen fällt in manchen Reportagen besonders ins Auge. So urteilt Martin bei ihrem Besuch im Itziger Kinderheim: „Solcher Art ist die Güte der Schwestern, dass ihre Zöglinge sie niemals vergessen.“ Beim Blick in den Schlafsaal entdeckt sie „nett“ aneinandergereihte „schneeweiße Betten“, die „auf kindliche Müdigkeit warten“. Im „Stühlchen sitzend, auf dem Pferdchen schaukelnd“ sah sie die Ein- bis Zweijährigen. Alle Räume, die die Journalistin besichtigte, waren „voll guten Lichts“. Nur ist es schwer vorstellbar, dass in einem Heim mit 84 Kindern, deren Eltern krank sind, als Schiffer unterwegs oder die Erziehungsberechtigung entzogen wurde, der Alltag gänzlich ohne Konfliktpotenzial und seelische Schmerzen dahinfloss. 

Ihre Beschreibung der Yaghan-Indigenen auf dem Feuerland-Archipel ist hingegen derart abstrus und herablassend, dass Zweifel aufkommen, ob sich die geschilderten Szenen tatsächlich ereignet haben (in der Revue von Oktober 1949). Sie schreibt, sie habe „Indianer“ vor ihrer „Höhle“ gesehen, aus der „ein moderiger Dunst von Fisch und Unrat“ drang. Als ihr Begleiter „Pedro“ ein Bündel Essen aufschnürte, habe sich „eine dämonische Szene“ entfaltet: „Die Wilden brüllten herum, schnitten Grimassen, wälzten sich auf der Erde, als ob hungrige Teufel in sie geraten wären. Dann stürzten sie sich auf das gebratene Lamm und rissen daran, wo sie eben packen konnten.“ Unklar ist zudem, ob sich zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch Yaghan-Indigene auf den Inseln aufhielten. An anderen Stellen in ihren Reisereportagen konnte sie mit geistreichen und humorvollen Vergleichen auftrumpfen; über die Gibraltarfelsen etwa schreibt sie: „Freudlose Kakteen dösen auf der roten Erde. Agaven recken ihre Büschel bleichgrüner Säbel. Palmen sind atemlos vor Müdigkeit. Magere Ziegen rupfen gierig herum. Sie scheinen den Schatten abzurupfen.“ Und in ihrem Kriegstagebuch, das später in ihrer Zeitschrift veröffentlicht wurde, schildert sie die Tage vor der Befreiung mit Gespür. Wie die Enge und Orientierungslosigkeit vor Kriegsende: „Winzig klein ist unser Heimatland, aber wie weit ist es bis Schimpach, bis Schengen, wenn keine Spur von Möglichkeit vorhanden ist, hinzugelangen! Man kann nicht telephonieren. Man hat keinen Wagen mehr, kein Fahrrad. Die Züge sind vom Gleis verschwunden.“

Anfang 1952 übernahm Martin die Leitung der Luxemburger Regionalseiten der Tageszeitung La Meuse. Drei Jahre später zog sie nach Florenz, nachdem ihr hierzulande ein Prozess wegen Spielschulden gemacht worden war. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie fortan mit Übersetzungen und schrieb gelegentlich unter dem Pseudonym Dino D. für ihr einstiges Kind, die Revue. Auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts blieb das Wochenblatt ein vielverkauftes Presseprodukt. Das finanzielle Rückgrat bildete über Jahrzehnte hinweg das Anzeigengeschäft. Für Werbeeinnahmen stellte es in den 1960er-Jahren auf Farbdruck um. Noch Mitte der 1990er-Jahre schwärmte Lucien Thiel vom Anzeigenmarkt, dem „in hohem, vielleicht zu hohem Maß“ Bedeutung zukomme. Zwanzig Jahre zuvor hatte Thiel seinen Lesern erklärt, dass man trotz Inflation, höherem Personalaufwand und zunehmendem Umfang den Verkaufspreis nur allmählich erhöhen müsse. Neun Franken kostete das Magazin im Jahr 1950, zwölf Franken im Jahr 1970. Das Betriebsgeheimnis lautete: Anzeigen. „Der Werbeboom der Nachkriegszeit brachte den Zeitungen jenes für ihren Ausbau notwendige Geld, das sie anderwärts nur durch ständiges Verteuern ihres Verkaufspreises hätten eintreiben können“, erläuterte Thiel. Er rechnete 1970 vor: Jede Anzeige erlaube eine Texterweiterung um zwei Seiten. Werbung sei „zur absoluten Notwendigkeit geworden“. Laut einer Berechnung der BNL-Mitarbeiterin Sarah Stephan machten Anzeigen Ende des Jahres 1954 bereits 20 Prozent der bedruckten Seiten aus, zu Beginn desselben Jahres waren es nur die Hälfte.

Inzwischen ist der Werbemarkt für Printpublikationen weitgehend zusammengebrochen. Die aktuelle Herausgebergesellschaft, Éditions Revue S.A., hat letzte Woche ihre Bilanz veröffentlicht: Im vergangenen Jahr verzeichnete sie einen Verlust von knapp 500 000 Euro, im Jahr davor lag das Minus bei etwas über 500 000 Euro. Literarisch-beschreibende Reportagen werden zudem zunehmend durch Instagram, YouTube und andere privat geführte Plattformen verdrängt, die ununterbrochen Videoschnipsel verbreiten und nah am Publikum sind, wie einst Martin vorgab.

Stéphanie Majerus
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