In der Abgeordnetenkammer fand eine Aktualitätsstunde zur Lebensmittelsicherheit statt. Lockerungen von Umweltauflagen und der Fleischkonsum standen zur Disposition

Weizenkrieg

d'Lëtzebuerger Land vom 18.03.2022

In der Ukraine steht jetzt die Mais-Aussaat an. Aber die Menschen aus den landwirtschaftlichen Regionen sind auf der Flucht oder helfen mit ihren Traktoren, marode Panzer von der Straße zu räumen. Die globalen Mais-Exporte stammen zu 16 Prozent aus Russland und der Ukraine; 30 Prozent des Weizens auf dem Weltmarkt kommt aus der Region. Verschärft werden die Spannungen durch den Einkauf Chinas von großen Getreidemengen aus Russland. Xi Jinping füllt die Speicher, um sich auf mögliche Engpässe vorzubereiten. Hinzu kommt, dass die steigenden Energiepreise die Lebensmittelpreise in die Höhe treiben. Weil zum einem die Transportkosten steigen und zum anderen synthetische Dünger einer energieintensiven Herstellung bedürfen.

„Mit jedem Tag spitzt sich die Energiepreis-Krise weiter zu. Und damit die Gefahr von Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit“, behauptet Martine Hansen, Co-Fraktionspräsidentin der CSV, diesen Mittwoch in einer Aktualitätsstunde im Parlament. Eine Lösung, um die europäische Produktion zu erhöhen, könne eine „zeitlich befristete Aussetzung der verpflichtenden vierprozentigen Stilllegung von Ackerflächen“ sein, wie sie von der Farm to Fork-Strategie der EU vorgesehen ist. Bereits Anfang März stellte die hiesige Bauernzentrale in einer Mitteilung die gleiche Forderung. Und rief überdies dazu auf, „die vorgesehenen Einschränkungen bei der Düngung und dem Pflanzenschutz“ aufzuheben. Nicht nur viele europäische Bauernverbände, konservative Agrarpolitikerinnen und Agrarunternehmen wettern jetzt gegen den Green Deal der EU, der mehr Bio-Anbau und stillgelegte Ackerflächen zum Artenschutz fordert, sondern auch Universitätsprofessoren wie Matin Qaim, der sich in der FAZ über „Ökoträume“ ärgert.

Diese Argumentationslinie sei dünn, kontern Umweltverbände, linke Politikerinnen und ökologisch orientierte Agrarwissenschaftler. Wer wirklich einen Haufen Teig für Brot aufgehen lassen will, sollte ohne Zwischenstopp für den Lebensmittelmarkt produzieren, statt Tierfutter zu erzeugen. Aber in dem Zusammenhang müssten Anbauprioritäten auf dem Teller geregelt werden – Fleisch muss häufiger Gemüse weichen. Die Schweizer Forschungsanstalt Agroscope hat 2018 berechnet, dass bei „machtpolitischer oder kriegerischer Bedrohungen“ die Fleischproduktion zugunsten von Teigwaren und Kartoffeln eingeschränkt werden sollte. In der Zeit behauptet der Agrarwissenschaftler Joachim von Braun, Europäer würden altruistisch handeln, wenn sie „beim Fleischkonsum den Gürtel enger schnallen“. Lediglich Myriam Cecchetti (déi Lénk) und Chantal Gary (déi Gréng) sprachen diesen Punkt an; zu viele Ackerpflanzen landen im Futtertrog, – meinte  die Abgeordnete der Grünen während der Aktualitätsstunde vergangenen Mittwoch. Die LSAP Politikerin Tess Burton ihrerseits erwähnte, das Landwirtschaftsmodell der EU und Luxemburgs beruhe unter anderem auf dem Import von fossilen Brennstoffen, mineralischem Dünger und Tierfutter aus dem Osten. 

Tatsächlich ist Russland weltgrößter Exporteur von Düngemitteln, dessen Hauptkunden Europa und Brasilien sind. Genaue Zahlen zum Düngemittelimport konnte das Statec nicht nennen, da diese nicht direkt über Russland eingekauft werden. Mit dem Düngemittel-Zukauf finanziert man jedoch nicht nur die Kleptokratien der Welt, sondern trägt mittlerweile zur Nährstoffüberversorgung bei. Mit unangenehmen Folgen: Der Stickstoffüberschuss gefährdet sauberes Grundwasser, versauert Ökosysteme und heizt das Klima an. 

Der Pestizidgebrauch ist nicht minder unproblematisch. Erst diese Woche publizierte eine Forschergruppe um den Biologen Joanito Liberti von der Universität Lausanne eine Studie, deren Ergebnisse ein weiteres Mal darauf hindeuten, dass der Einsatz von Pestiziden die Bestäubungsleistung von Bienen beeinträchtigt. Um den Ertragswert und die Qualität von Obst sowie bestimmter Ackerpflanzen zu steigern, bedarf es jedoch der professionellen Kooperation mit Bienen. Fällt diese aus, müssen Blüten per Hand bestäubt werden – wie in der chinesischen Provinz Sichuan, wo die Insektenfauna durch Pestizide stark reduziert wurde. Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie die Pestizidsucht der Bauernzentrale die Grundlage des Lebens zerstört.  

Vor diesem Hintergrund fordert die Bauernzentrale trotzdem „in den kommenden Monaten“ müssten „ökologische Aspekte“ der Europäischen Agrarpolitik „in den Hintergrund treten“. Gusty Graas  (DP) erwiderte am Mittwoch allerdings auf diese Behauptung der Bauernzentrale: „Man soll nicht eine Krise gegen eine andere ausspielen“. Myriam Cecchetti fragt ihrerseits, ob die Agroindustrie das Feuer mit Benzin löschen wolle. 

Mehrmals wurde während der Debatte darauf hingewiesen, dass Europa als Agrarexport-Standort nicht direkt von Lebensmittelengpässen betroffen sei. „Eis Rayone sinn net eidel“, beschwichtigte Marc Goergen (Piraten). Und mit einem Instrument wie dem Index könne man die hohen Lebensmittelpreise abfedern. Der LSAP-Landwirtschaftsminister Claude Haagen erklärt die hiesige Ernährungssicherheit ebenfalls als gewährleistet. Sieht aber trotzdem Grund zur Sorge: Vor allem in afrikanischen Ländern wird es zu einer leidvollen Hungersnot kommen – und zu neuen geopolitischen Unbekannten. 

Hauptimporteure von ukrainischem Getreide sind der Libanon und Ägypten; 60 bis 80 Prozent ihres Getreideimports stammt aus der Region. Weitere Importländer sind unter anderem die Türkei, Indonesien, Nigeria und Kenia. Wegen der Pandemie kämpfen diese Länder zudem mit einer Inflation und höheren Schulden. UN-Generalsekretär Antonio Gueterres warnte diese Woche vor einem „Wirbelsturm des Hungers“. 

Der LSAP-Landwirtschaftsminister erwähnte überdies auf Land-Nachfrage, er vermute, dass die EU am Montag das noch nicht verabschiedete Agrargesetz überarbeiten werde, und die Minister die vorgesehene Stilllegung von vier Prozent Ackerland überdenken. Diese Flächen könnten beispielsweise für einen proteinhaltigen Leguminosen- oder Erbsen-Anbau frei werden. Sieht er in dem Kontext vor, die Fleischproduktion nicht weiter anzukurbeln? Ein Instrument hierfür sei die in Kraft getretene Subventionsbegrenzung auf 250 Vieh, antwortet der Landwirtschaftsminister. 

Der Fokus auf die vier Prozent brachliegenden Agrarflächen täuscht jedoch darüber hinweg, dass die Lebensmittelengpässe nicht allein an Erzeugungskapazitäten gekoppelt sind. Transport und Lagerungsbedingungen sowie Spekulationsfragen spielen ebenso mit rein. In einem Tageblatt-Gastbeitrag schreibt die Wirtschaftswissenschaftlerin Jayati Ghosh, die in Massachusetts an der Amherst Universität lehrt: Finanzinvestoren würden gehäuft in Nahrungsmittel investieren, „um ihr Geld zu parken“. Die LSAP-Abgeordnete Tess Burton fragte in dem Zusammenhang, ob es nicht sinnvoll sei, die Spekulation auf Nahrungsmittel zu begrenzen, auch damit nordafrikanische Länder nicht weiter destabilisiert werden. „Wenn der Spekulationsdruck zunimmt, werden die ohnehin schwachen Volkswirtschaften noch mehr geschädigt“, schreibt Jayati Ghosh. Was heisßt das auf längere Sicht? Rutschen Millionen von Menschen wieder in die absolute Armut; kommt es zu Konflikten über Ressourcen; verdichten sich die Migrationsbewegungen? Leider ist mit all dem zu rechnen.

Diese Agrarkrise zwingt uns auch darüber nachzudenken, wann Putins Freunde wie Matteo Salvini oder Marine Le Pen wieder die Bühne betreten – falls Professor Stephan von Cramon-Taubadel von der Universität Göttingen recht hat. Er schätzt nämlich ein, Putin werde den „Hunger als Waffe“ einsetzen, wie er gegenüber agrarheute erwähnt. Der Autokrat wolle die Migration aus armen Getreideimportländern ankurbeln, um die Solidarität und Demokratie in der EU zu schwächen.

Stéphanie Majerus
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