„Brauche mir déi?“, fragte UEL-Präsident Michel Reckinger vor zwei Wochen im RTL-Radio, als er auf die Maximalrente von knapp 10 400 Euro im Monat angesprochen wurde. Das war rhetorisch gemeint. Reckinger möchte die Frage stellen, „wieviel wir als höchste Rente auszahlen müssen“. Von dort aus möchte er „proportional weiter nach unten schauen“, wo sich noch kürzen ließe.
Die Maximalrente müsste demnach ziemlich verbreitet sein. Ist sie aber nicht: 2023 wurde sie kein einziges Mal zuerkannt, erklärt die IGSS dem Land auf Anfrage. Als Generalinspektion der Sozialversicherung muss die IGSS das wissen.
2024 dürfte das kaum anders sein. Denn die „Pension maximale“, die von der IGSS auf ihrer Internetseite in den „Paramètres sociaux“ veröffentlicht wird, ist ein theoretischer und historisch gewachsener Wert. In ihm stecken ein Referenzbetrag zum Index 100 von 1948 sowie der Cotisatiounsplaffong auf ein Bruttogehalt vom fünffachen Mindestlohn. Weil zum Schluss alles mit fünf Sechsteln multipliziert wird, dem Faktor aus den „alten“ Beamtenpensionen, könnte die Maximalrente nicht einmal erhalten, wer 40 Jahre lang Beiträge auf ein Bruttogehalt entrichtet hat, das immer mindestens dem fünffachen Mindestlohn entsprach. Auch das talentierteste Talent am Finanzplatz nicht.
Womit alle Überlegungen zu dieser hohen Rente sich erledigt haben könnten, weil sie in der Debatte, die und nach einsetzt, politisch nicht viel Wert hätten. Doch das kann man nicht behaupten. Einerseits, weil das Maximum nur für Renten gilt, die neu vergeben werden, wenn jemand in den Ruhestand tritt. Andererseits, weil das Maximum nur im régime général der Rentenversicherung existiert, in das der Privat-
sektor sowie Arbeiter und Angestellte im öffentlichen Sektor fallen. In den Regimes für Beamt/innen bei Staat und Gemeinden und für die CFL-Bediensteten mit staatlich assimiliertem Eisenbahnerstatut dagegen gibt es kein Maximum und keine Grenze für die Beiträge.
Erklärt die IGSS, dass 2023 im régime général niemand die Maximalrente erreicht hat, sind die vergangenenes Jahr neu zuerkannten Renten gemeint. Die schon bestehenden Renten können durchaus höher liegen als der Maximalbetrag für neue. Bestehende Renten steigen mit jeder Indextranche und werden jährlich an die Reallohnentwicklung angepasst.
So kann es kommen, dass im Jahr 2022, für das die IGSS über ausführliche Statistiken verfügt, 32 Pensionen im régime général höher lagen als 9 000 Euro brutto. Von diesen wiederum „weniger als fünf“, so die IGSS, höher als jene 10 392,67 Euro, die seit dem 1. Januar dieses Jahres das Maximum für neue Renten sind – aber eben nur für neue in diesem Jahr beim aktuellen Indexstand. Man kann das für bemerkenswert halten, aber darin drückt sich nur aus: Wer über Jahrzehnte hohe Beiträge entrichtet hat und auf eine hohe Anfangsrente kommt, anschließend in der Pension lange lebt, kann seine Rente über die Jahre beträchtlich wachsen sehen.
Offenbar jedoch profitiert nur ein kleiner Kreis der Pensionierten von den ganz großen Zuwächsen. Und bedenkt man, dass 2022 im régime général insgesamt 148 608 Altersrenten ausgezahlt wurden, erscheinen nicht nur die 32 Renten von mehr als 9 000 Euro als Ausnahmen. Sondern auch die 2 649 Pensionen, die 7 000 Euro oder mehr betrugen. Von denen übrigens lediglich 229 neue Renten waren.
Wenn im régime général die hohen Renten demnach gar nicht so zahlreich sind, leuchtet nicht ohne Weiteres ein, wie der Reformvorschlag funktionieren soll, den die UEL im Juli in ihrem Beitrag zum rentenpolitischen Bericht des Wirtschafts- und Sozialrats gemacht hat: Die UEL würde die Höhe der Renten viel weniger abhängig von den im Laufe einer Kar-
riere in die Rentenkasse eingezahlten Beiträgen machen, dagegen viel mehr abhängig von pauschalen Anteilen pro Beitragsjahr.
Gegenüber der Rentenreform von 2012, die über 40 Jahre gestreckt, bis 2052, eine Kürzung der kleinen Renten um 13 Prozent festschrieb, die der großen um fast 16 Prozent, würde die UEL weitergehen. Eine in ihren Augen „pension basse“, die dieses Jahr 3 000 Euro brutto betrüge, würde sie bis 2052 auf 2 623 Euro senken. Eine „pension intermédiaire“ von 5 000 Euro dieses Jahr auf 3 749 Euro 2052. Eine „pension haute“ ginge von 10 000 auf 6 567 Euro zurück.
Doch wenn die wirklich hohen Renten die Ausnahme sind im régime général mit der Pensionskasse CNAP und im Jahr 2022 die Renten ab 7 000 Euro nur 1,8 Prozent aller Altersrenten ausmachten, dann fragt sich, ob der Unternehmerverband in ein paar Wochen vielleicht noch einschneidendere Forderungen bei niedrigeren Renten erheben wird, um in den nächsten drei Jahrzehnten bloß keine Erhöhung des Beitragssatzes erleben zu müssen. Ob der Verlust in der Rente durch zusätzliche Arbeitsjahre bis 65 ausgeglichen werden könnte und ob so viele Arbeitsplätze für ältere Beschäftigte mit höheren Gehältern als denen von jungen frontaliers zur Verfügung gestellt würden, wäre eine weitere Frage. Und eine Geschichte für sich.
Umso wahrscheinlicher würde dann aber ein Konflikt um die tatsächlich hohen Renten. Die Michel Reckinger eigentlich nur gemeint haben kann, als er „brauche mir déi?“ fragte. Von den Beamtenpensionen lagen im Jahr 2021 bei den Frauen 22 Prozent und bei den Männern knapp 27 Prozent bei 8 500 Euro oder mehr. Was einerseits damit zu tun hat, dass in den Spezialregimes für Staat, Gemeinden und CFL kein Cotisatiounsplaffong besteht und Limits nur die Gehältertabelle setzt. Vor allem jedoch kommen die in der Statistik hohen Beamtenrenten durch jene Pensionen zustande, die im Übergangsregime gezahlt werden und brutto zwischen fünf Sechstel (83,33 Prozent) und 72 Prozent des letzten Gehalts betragen. Renten, die Anfang dieses Jahres an ehemalige Staatsbeamte gingen, waren zu 94 Prozent Pensionen im Übergangsregime. Was einleuchtet: Erst seit 1999 wird zwischen „alten“ und „neuen“ Beamtenrenten unterschieden.
Weil die Regierung sich bisher hütet, etwas zu den Beamtenpensionen zu sagen, und die „Konsultation“ durch CSV-Sozialministerin Martine Deprez sich nur um das régime général drehen soll, ist die UEL nicht so verwegen, öffentlich weiter vorzupreschen, als ihr Präsident es im Radio mit der Bemerkung tat, zwar gehe es „heute“ um die nationale Pensionskasse. Doch „wenn wir dabei sind, die Pensionskasse zu reformieren, dann muss das andere automatisch auch kommen“.
Dass die UEL mit „dem anderen“ nicht nur meint, die seit 1999 geltende Kopplung der Regimes für „neue“ Beamtenpensionen ans régime général zu verstärken und vielleicht auch für sie eine Beitragsobergrenze einzuführen, steht zu vermuten: Michel Reckinger hielt die Frage, ob „die Allgemeinheit“ die derzeitigen Beamtenpensionen mit dem hohen Anteil an Fünf-Sechstel-Renten in dieser Höhe weiterzahlen soll, nicht für den Einstieg in eine „Neiddebatte“, sondern für „eine Frage der Gerechtigkeit“.
Politisch geht es der UEL dabei vermutlich noch um etwas anderes. Wenn in Luxemburg die Lebenserwartung steigt, gleichzeitig immer mehr beruflich Aktive in Rente gehen, dann dürfte der Anteil pensionierter Beamtinnen und Eisenbahner/innen in den nächsten Jahrzehnten besonders wachsen: Im öffentlichen Sektor nahm die Beschäftigung in den letzten Jahren besonders stark zu. Die „alten“ und besonders hohen Beamtenrenten im Übergangsregime werden dabei nicht so schnell verschwinden: Das Ministerium für den öffentlichen Dienst schätzt, dass die letzten Pensionen im Übergangsregime Mitte der 2040-er Jahre neu zuerkannt werden (d’Land, 21.6.2024).
Daraus folgt, dass in der wahlberechtigten Bevölkerung der Anteil derer immer weiter zunehmen wird, die entweder selber eine Beamtenpension beziehen oder pensionierte Beamt/innen unter ihren Angehörigen haben. Wenn der Moment, an die Beamtenpensionen zu rühren, politisch jetzt schon nicht gut ist, dann wird er in Zukunft immer schlechter. Weil jedoch Kürzungen im régime général schnell eine Neiddebatte provozieren könnten, wenn die Beamtenregimes vorteilhafter bleiben und sogar das alte Regime noch 20 Jahre lang mitgeschleppt werden muss, wird das Fenster für die Durchsetzbarkeit jeglicher Rentenreformen mit Kürzungen immer kleiner. Beziehungsweise werden diese Reformen elektoral immer riskanter. Vielleicht liegt es gerade daran, dass die CSV-DP-Regierung die „breite Rentendebatte“ in ihren Koalitionsvertrag schrieb, obwohl im Wahlkampf davon keine Rede war. Und vielleicht lag der UEL in ihrer Note an formateur Luc Frieden gerade deshalb so viel an der „responsabilisation de toutes les parties prenantes à la soutenabilité à terme du système pour éviter toute augmentation des taux de cotisations à charge des salariés et des employeurs“.