Zufallsgespräch mit dem Mann in der Eisenbahn

Inter arma silent musea

d'Lëtzebuerger Land vom 18.03.2022

Die Liberalen zieren sich gerne mit dem Spruch: „Je ne suis pas d’accord avec ce que vous dites, mais je me battrai jusqu’à la mort pour que vous ayez le droit de le dire.“ Sie schreiben ihn Voltaire zu. Er stammt von Evelyn Hall (alias S.G. Tallentyre, The Friends of Voltaire, London, 1906, S. 199).

Der liberale Premier Xavier Bettel will nicht für die Meinungsfreiheit von Russia Today sterben. Er verbot die Verbreitung der russischen Fernsehprogramme. Weil sie „en integralen Deel vun dësem Krich“ seien. Den Russland gegen die Ukraine führt.

Ganz wohl war ihm „als Medien- a Kommunikatiounsminister“ dabei nicht. „Verstitt mech net falsch! Lëtzebuerg huet mat der SES e groussen Impakt op d’Diffusioun vu Medien. Mir sinn e Mediestanduert”, betonte er am 28. Februar.

Der Medienstandort hat seinen liberalen Ruf zu verlieren. Den Ruf, gegen Geld jeden Dreck zu senden: Vom kanadischen Pornoprogramm XXX GirlGirl bis zum rechtsextremen Hindu-Sender Republic Bharat TV.

Unter den Propagandaprogrammen wurden nun die russischen zensiert. Die Regierung hatte „sech dofir staark gemaach, fir eng europäesch Léisung ze fannen”. Damit der „Mediestanduert“ seine Hände in Unschuld waschen kann. Die Post meldete, dass „[s]uite à la décision de la Commission européenne [...] POST Luxembourg a supprimé ce lundi 28 février 2022 la chaîne RT-Russia Today de son offre de télévision ,PostTV’”.

RTL und Zeitungsverleger lehrten den Minister, die Gewerbefreiheit ins Gewand der Meinungsfreiheit zu hüllen. Nun musste er sie enthüllen. Das verwirrte ihn: „Mir hunn, ëh... Mir sinn eis bewosst, dass dës Mesuren an, ëh op där enger Säit, och d’Liberté de presse do ass, déi sinn – mee op der Balance... hei ass, kann een net méi vu Liberté de presse schwätzen, wann fir d’Propagandazwecker, militäresch Zwecker och benotzt ginn.” Die Geste soll ein kleiner Trost für die Ukrainer sein. Weil ihnen niemand militärisch zu Hilfe kommt.
Zwei Tage später kündigte das Luxembourg City Film Festival an, „en accord avec le Gouvernement et la Ville de Luxembourg” alle russischen Filme aus seinem Programm zu streichen. Das Schaufenster des staatlich ausgehaltenen Filmgewerbes machte Kunst zum Mittel des Kriegs. Statt zum Mittel gegen Krieg.

Dann pflegen Schöngeister zu klagen: „Inter arma silent musae.“ Die Sentenz wird Cicero zugeschrieben. In seiner Verteidigungsrede für Titus Annius Milo heißt es jedoch: „Inter arma enim silent leges“ (IV.11). Artikel 24 der Verfassung verfügt: Die Meinungsfreiheit und „la liberté de la presse sont garanties, sauf la répression des délits commis à l’occasion de l’exercice de ces libertés“. Um Fernsehprogramme zu zensieren, bedarf es folglich einer Richterin, die eine Straftat feststellt.

Vielleicht umfassen die EU-Sanktionen ein Kriegsrecht, das die Verfassung zum Schweigen bringt. Andererseits betonen Premier Xavier Bettel und Außenminister Jean Asselborn, dass sich Luxemburg nicht im Krieg mit Russland befinde. Damit wäre Artikel 118 bis des Strafgesetzbuchs nicht anwendbar. Er ahndet Feindpropaganda im Kriegsfall.

Der Journalistenverband, der Verlegerverband und der Presserat sind vaterländisch gesinnt. Sie verteidigen die Pressefreiheit diesmal lieber nicht. Russia Today ist ihnen keinen Ärger an der Heimatfront wert. Falls erwünscht, können sie sich um die Pressefreiheit beim Ennemi sorgen.

Der erste Schritt ist immer der schwierigste. Für die CSV ist er getan. In einer parlamentarischen Anfrage schlugen Laurent Mosar und Diane Adehm am 4. März Alarm. Sie fanden „[e]ng änlech gelagert Berichterstattung, mat kloren Zich vu gezielter Desinformatioun“ in einer „bestëmmter Lëtzebuerger Dageszeitung“. Deshalb solle der Staat ihr „d’Pressehëllef kierzen oder sträichen”. Als nächstes dürften sie den Bischof drängen, wieder einen Hirtenbrief gegen gottlose Blätter zu schreiben.

Romain Hilgert
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