Nein, heute müsste ich nicht mehr dem Großherzog Treue schwören: „Je jure fidélité au Grand-Duc.“ In der Verfassung steht auch nicht mehr, der Grand-Duc sei „par la grâce de Dieu“ im Amt. Er kann auch nicht mehr, wie vor einigen Jahren, ein Gesetz aus persönlichen Gewissensgründen blockieren. Doch er „macht“ die (internationalen) Verträge, in Krisenzeiten kann er reglementarisch regieren und so weiter. Das sei ja nicht die Praxis, heißt es. Aber warum steht es noch so da, wo doch ausgerechnet die letzte Verfassungsreform den Text der Wirklichkeit anpassen sollte? Aber unser Großherzog habe doch keine wirkliche Macht mehr, heißt es. Die Monarchie sei kompatibel mit der liberalen Demokratie und keine Gefahr für sie.
Also alles nur Symbolik?
„Le Grand-Duc (…) est le symbole de l’unité et de l’indépendance nationales“, steht in der Verfassung. Das ist allerdings mehrdeutig. Verkörpert er nur den gemeinsamen Grundkonsens, auf dessen Grundlage wir die gesellschaftlichen Konflikte ausfechten, im Sinne des „Verfassungspatriotismus“ von Jürgen Habermas? Oder ist er doch Projektionsfläche eines ungesunden rechten Nationalismus? Soll die Ideologie der nationalen Einheit gerade die gesellschaftlichen Konflikte vertuschen – und das heißt auch: gesellschaftlichen Widerstand delegitimieren? Nach dem Motto: alle in einem Boot mit einem Steuermann?
Anfang des 20. Jahrhunderts schrieb der Sozialwissenschaftler Max Weber zur Funktion des Monarchen in einer parlamentarischen Demokratie, dieser garantiere „die Legitimität der bestehenden Besitz-Ordnung kraft seines Charismas“. So ganz harmlos ist also die in ihm verkörperte nationale Einheit nicht, wenn er die „Besitz-Ordnung“, sprich die soziale Ungleichheit, die Vermögensverteilung – oder sollen wir sagen: den Kapitalismus – legitimieren soll. Ob das gelingt, hängt wohlverstanden von den parlamentarischen wie zivilgesellschaftlichen Kräfteverhältnissen ab.
Wodurch kann man die Monarchie ersetzen? Nun ja, natürlich: durch eine „Republik“. Aber ein Blick in die Geschichtsbücher und die Zeitungen zeigt, dass Republiken Diktaturen sein können. Selbst die liberal-demokratischen Republiken des Westens sind nicht vor autokratischen Entwicklungen gefeilt. Wenn der Monarch ersetzt werden soll durch einen Präsidenten als Staatschef, stellt sich immer noch die Frage seiner Machtbefugnisse. Brauchen wir überhaupt einen „Staatschef“? Die Schweiz hat keinen, besser: abwechselnd je eine/n andere/n.
Republik – aber welche?
In ihrem alternativen Verfassungsentwurf von 2016 schlug Déi Lénk als Staatsnamen die „République du Luxembourg“ vor, und die Medien stürzten sich darauf. Aber eine politische Priorität war die Abschaffung der Monarchie nie. Ein Monarch ohne Macht ist zwar ein Relikt aus vormodernen Zeiten, eigentlich unvereinbar mit den Prinzipien der Demokratie, aber eine direkte Gefahr droht ihr von ihm offenbar (heute zumindest) nicht.
Woraus aber nicht folgt, dass es keine Alternative zu dem Anachronismus geben sollte. Deshalb schlug Déi Lénk eine Präsidentschaft vor. Allerdings mit erheblichen Einschränkungen. Er/sie wird gewählt von der Abgeordnetenkammer, ohne politische Machtbefugnisse. Jede Partei kann eine Kandidatur vorschlagen. Das Mandat ist nicht erneuerbar und kann von der Kammer mit einfacher Mehrheit widerrufen werden. Es muss abwechselnd eine Frau und ein Mann sein (nota bene: auch nicht-binäre Personen müssten berücksichtigt werden). Es ist klar, dass sich damit nichts an den gesellschaftlichen Verhältnissen geändert hätte. Auch so ein Präsident kann als Garant der „Besitz-Ordnung“ gelten.
Deswegen sollten wir uns durch die Frage der heimischen Monarchie oder Republik nicht ablenken lassen von allgemeinen Tendenzen der „Monarchisierung“ in Politik und Wirtschaft, in unserer und in anderen Gesellschaften. Angefangen mit dem autoritären Regierungsstil unseres Premiers. Er will das Land führen wie ein chief executive officer, und im kapitalistischen Betrieb ist das ja eine Art Monarch. Wie früher der König, geht er im Wald spazieren (oder jagen), wenn das Volk sich aufmüpfig zeigt. Allerdings ist es seinem mäßigen Charisma nicht gelungen, den Widerstand gegen die bestehende Besitz-Ordnung oder zumindest gegen deren Verschärfung zu ignorieren, geschweige denn zu brechen.
Der Schatten des Königs
Wenn wir die behaglichen und ungefährlichen Räume des großherzoglichen Palais hinter uns lassen und uns in der Welt umschauen, wird es schnell ziemlich ungemütlich. Es scheint zwar keine Rückkehr zu geben zur absoluten Monarchie des Ancien Régime mt ihrem feudalen Ausbeutungssytem. Aber im rechten politischen Spektrum vermutet man manchmal eine mehr oder weniger diffuse Nostalgie. Der französische Historiker Roger-Lacan, der ein Studie über den Royalismus geschrieben hat, erklärt: „Si les mouvements royalistes ont presque disparu, l’ombre du roi hante l’arène publique“ (Le Monde, 07.07.25).
Der Schatten des Königs erscheint allerdings in neuem Gewand. Inmitten der „westlichen“ Demokratien. Ausgerechnet im Geburtsland der hochgelobten liberalen Demokratie wischt ein selbsternannter King mit seinen Tech-Kurtisanen die sozialen und demokratischen Rechte vom Tisch. Befiehlt der ganzen Welt, wie sie zu gehorchen habe. Und die Vertreter/innen der anderen liberalen Demokratien fallen ihm zu Füßen. Am peinlichsten der Nato-Generalsekretär zuletzt in Den Haag.
Die Freiheitsstatue wirkt wie aus der Zeit gefallen. Hat Kafka das geahnt, als er in seinem Romanfragment Amerika der Freiheitsstatue statt der Fackel ein Schwert in die Hand gab? (Gefunden bei Uwe Timm, Kafkas Reisepass.) Gott habe ihm das Leben gerettet, meinte Trump nach dem gescheiterten Anschlag, dem Gott danke er, den liebe er. Die neuen Monarchien also, wie die alten, legitimiert durch die Gnade Gottes. Mit Gottes Hilfe fördern sie die Besitz-Ordnung: mehr für das Kapital, weniger für die Arbeit. Deshalb ist es kein Paradox, wenn ausgerechnet sogenannte Libertäre sich dem Despoten andienen, wenn der ihnen größtmögliche unternehmerische Freiheit verschafft. Im Übrigen ist nie ganz klar, wie sich wirklich die Macht zwischen dem Monarchen und seinen Kurtisanen verteilt.
Trump ist allerdings nicht allein. In Ungarn, in Israel, in Argentinien… in der Form der „illiberalen Demokratie“, berufen sich autokratische Herrscher auf Wahlresultate, um Kernelemente der Demokratie wie Gewaltenteilung, Pressefreiheit, unabhängige Justiz auszuhöhlen. Und selbst die Europäische
Union und ihre Kommission, ohnehin schon kein Musterbeispiel in Sachen Demokratie, scheinen von der monarchischen Versuchung erfasst. „Ursula von der Leyen, l’hubris du pouvoir absolu“, titelt der Europa-Korrespondent Jean Quatremer in Libération (8.07.25)
Werden sie nicht kontrolliert und gebremst von demokratischen Organen, von gesellschaftlichen Gegenmächten, intermediären Institutionen und Akteuren, entfalten die politischen Exekutiven ihre autoritären und autokratischen Tendenzen. Die Monarchisierung hat verheerende Folgen: Relativierung des inneren und des internationalen Rechts, Aggressivität, imperiale Vorstöße. Bleibt zu hoffen, dass der Widerstand, der sich zu regen beginnt, an Kraft gewinnt.
Monarchie am Arbeitsplatz
Ist die autokratische Tendenz in der Politik nicht ein Spiegelbild der wirtschaftlichen Welt, der Betriebswelt, in der schon längst das monarchische Prinzip verankert ist? Wir reden gern und zu Recht über Löhne, Sozialleistungen und so weiter, schreibt die US-Philosophin Elizabeth Anderson, „aber wenn es darum geht, auf welche Weise die Chefs das Leben ihrer Untergebenen beherrschen, fehlen uns die richtigen Worte“. (Private Regierung, Suhrkamp 2020). Noch deutlicher bei der französischen Philosophin Dominique Méda: „L’entreprise, monarchie de droit social“ (Libération, 11.09.2017). Auch sie bedauert, dass es darüber kaum eine Debatte gebe.
Mich erinnert das an den 1960er Spruch vor dem Betriebstor: „Hier verlassen Sie den demokratischen Sektor“ (in Anspielung auf das geteilte Berlin). Gewiss, das Arbeitsrecht schützt die Lohnabhängigen vor übertriebener Herrschaft. Aber ebendort wird noch immer explizit das Salariat definiert durch den „lien de subordination“, also die Unterordnung – unter wen wohl? Das ist scheinbar so selbstverständlich, dass niemand nachfragt, ob solche Unterordnung überhaupt mit unserer Verfassung und ihren Grundrechten vereinbar ist. Der Spaß mit der Freiheit und Gleichheit hört eben dort auf, wo der ökonomische Ernst beginnt.
Dennoch führt das Bild des Unternehmers als Monarch schnell in die Irre. Zum einen, weil die wirtschaftliche Macht nicht mehr nur Einzelpersonen oder Großfamilien zukommt. Sie wird immer diffuser. Allerlei Investitionsfonds, Börsenspekulanten, bestimmen mit Hilfe von Algorithmen und bald wohl mit künstlicher Intelligenz, wie gearbeitet werden muss, damit die Rendite stimmt. Zum anderen sind die Unternehmer, welcher Art auch immer, nur Verkörperungen eines Systems, Charaktermasken, schrieb Marx: „[…]dass die ökonomischen Charaktermasken der Personen nur die Personifikationen der ökonomischen Verhältnisse sind, als deren Träger sie sich gegenübertreten“. Sie profitieren allerdings von diesen Verhältnissen und müssen sie also verteidigen. Dazu dient ihre ökonomische und politische Macht.