Wer leistet was wo und wann?

Analytische Pflege wie noch nie

d'Lëtzebuerger Land vom 01.10.2009

In dem voluminösen Entwurf zum Staatshaushalt beanspruchen die loi budgétaire und die Kommentare dazu zwar selten mehr als ein Zehntel aller Seiten. Dafür verspricht das Budgetgesetz oft interessante Lektüre: Hier bringt die Regierung auch gerne mal Gesetzesänderungen unter, die sie lieber nicht an die große Glocke hängt.

So war es, als 2007 das Budgetgesetz eine kleine, aber delikate Änderung an der Pflegeversicherung traf. Die war zwar soeben erst reformiert worden. Doch Anfang 2007 gab es Polemik: Zuvor hatte die Pflegeversicherung all jenen Pflegebedürftigen, die in Heimen untergebracht sind, ziemlich pauschal 2,5 Stunden pro Woche an „Hilfe im Haushalt“ zuerkannt. Nun sollte es Geld dafür nur noch in Ausnahmefällen und für höchstens 1,5 Stunden geben. Denn Ende 2004 war ein Gesetz aus dem für das Funktionieren aller Heime zuständigen Familienministerium in Kraft getreten, das die Unterbringungspreise in den Heimen berührte. Dieses Gesetz, fand das Sozialministerium, lege fest, dass Haushaltshilfe jeder Art im Heimpreis inklusive sei. Das Familienministerium widersprach jedoch. Und verschiedene Heime hatten in der Zwischenzeit ihre Preise um teilweise weit über 200 Euro monatlich erhöht und erklärt, die ausbleibenden Zahlungen für Haushaltshilfe seien halt ein Schlag ins Kontor gewesen. 

Die Peinlichkeit, dass zwei Ministerien einander widersprachen, während draußen im Land die Heimpreise stiegen, löste die Regierung, indem sie ins Budgetgesetz zum Staatshaushalt 2008 schrieb, dass die Haushaltshilfen provisorisch wie früher gezahlt würden – vorausgesetzt, die Heime nähmen die Preiserhöhungen zurück. Ein Jahr später tauchte im Budgetsetz 2009 die gleiche Bestimmung auf. Im kommenden Jahr hingegen gelten neue Regeln: Für Haushaltshilfen, die sich „direkt“ einer Person zuordnen lassen, bezahlt die Pflegeversicherung 1,19 Stunden pro Woche, für „indirekt“ zuzuordnende 1,38 Stunden. 

Was wie eine bürokratische Spitzfindigkeit aussieht, ist es zum Teil auch: Die neuen Regeln sind ebenfalls ein Kompromiss. Zwar gründen sie auf einer Studie, die Sozialminister und Familienministerin gemeinsam in Auftrag gaben. Doch die ermittelte zum einen, dass Hilfeleistungen im Haushalt eines pflegebedürftigen Heimbewohners nicht nur in Ausnahmefällen umfangreicher sind als für nicht pflegebedürftige Insassen. Zum anderen stellte sie fest, dass nicht jeder Aufwand sich ohne Weiteres einer Person zuordnen lasse. Leere zum Beispiel ein Mitarbeiter des Heimes die Spülmaschine in der Küche, komme das allen Insassen zugute und könne nur „indirekt“ verrechnet werden. Weil das kaum neue Erkenntnisse sind, entstanden daraus nicht nur zwei Tarife – in der Summe ändern sie auch überhaupt nichts an den derzeiti­gen Ausgaben der Pflegeversicherung für Haushaltshilfe in den Heimen. 

Zum großen Teil besteht der Sinn der neuen Bestimmung darin, ein schwelendes politisches Problem aus der Welt zu schaffen, das die Regierung auf längere Sicht Glaubwürdigkeit gekostet hätte.Damit aber ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Die Studie, auf deren Geltungsumfang sich zu einigen Sozial- und Familienministerium 2007 monatelange Diskussionen kostete, tritt Anfang nächsten Jahres in Phase zwei und soll sämtliche Kosten der Senioren- und Pflegeheime erfassen, die mit der Pflegeversicherung zu tun haben: Dann sollen aus der Aktivität der Heime während zwei Jahren so viele Daten produziert werden, dass die Häuser in ihrer Buchführung transparent werden. Einzug soll halten, was seit Einführung der Pflegeversicherung 1999 Pflicht ist, aber nur auf dem Papier steht: eine analytische Buchführung, die strikt unterscheidet, welche Leistungen eines Heimes in Aufwand und Entgelt der Pflegeversicherung zuzurechnen sind und welche nicht. 

Was sich liest wie eine Trivialität, könnte nächstes Jahr Anlass für eine Grundsatzdebatte werden, wie es sie seit Einführung der Pflegeversicherung nicht mehr gab. Denn wenn die die Pflegeversicherung verwaltende Gesundheitskasse CNS mit den Dienstleistern die Tarife verhandelt, wird anerkannt, dass Leistungen Durchschnittswerte sind. Leistet etwa das eine Heim einen Pflegeakt in 20 Minuten, kann ein anderes dafür 30, ein drittes 40 Minuten benötigen – in Betracht gezogen für die Bestimmung des Geldwerts der Leistung wird am Ende der Durchschnitt im Zeitaufwand. 

Dagegen soll die Anfang 2010 startende analytische Buchführung der Häuser nach zwei Jahren eine Betrachtung des ganzen Sektors gestatten. Festgestellt würde der Aufwand für eine Leistung dann unmittelbar dort, wo er entsteht. Und wer ihn ermitteln lässt, akzeptiert womöglich keine Durchschnitte im Aufwand mehr. So logisch es für eine Sozialversicherung wäre – in den zehn Jahren, die ins Land gingen, ohne dass jemand so viel Transparenz erzwang und sie dann auch zu nutzen verstanden hätte, haben sich von Haus zu Haus verschiedene Pflegeansätze entwickelt. Sie schlagen sich auch in unterschiedlichem Aufwand an verschieden qualifiziertem Personal nieder. Da das Pflegeversicherungsgesetz die freie Wahl  des Dienstleisters garantiert und im Sektor Wettbewerb herrschen soll, bei all dem aber keine Zwei-Klassen-Pflege zulässig ist, stellt sich die Frage nach dem Wohin der Pflegeversicherung insgesamt. Kein Wunder, dass das Budgetgesetz vorsichtshalber vorschreibt, die Tripartite-Beschlüsse von 2006 über die Beitragsanteile der Versicherten und des Staates, die ursprünglich zum Jahresende auslaufen solten, um weitere 12 Monate zu verlängern. 

Peter Feist
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