Absicherungs des Pensionswesens

Agenda gesucht

d'Lëtzebuerger Land vom 19.04.2007

Als Sozialminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) im August letzten Jahres von jener Tripartite-Arbeitsgruppe sprach, die über die langfristige Absicherung des Pensionssystems „nachdenken“ sollte, malte er das Bild einer entspannten Runde aus Regierungsvertretern und Sozialpartnern, die zu Lösungen gelangen könne, „wenn wir uns nicht vom politischen Tagesgeschäft treiben lassen“. Denn in einem Krisenszenario sei man nicht, die Rentenversicherung„kurz- und mittelfristig gesund“ (d’Land, 11.08.2006). 

Die Arbeitsgruppe einzurichten, gehörte zu den Beschlüssen, die dieTripartite im April letzten Jahres traf. Eigentlich sollte sie schon imNovember 2006 zusammentreten und bis ungefähr Ende dieses Jahres ihre Beratungen abgeschlossen haben. Aber dem lag die Annahme zugrunde, dass bis Ende 2006 über das Einheitsstatut im Privatsektor entschieden sein würde. Heute ist kaum abzusehen, wann das der Fall sein wird; aber so lange werden die Gesprächeum die Pensionen nicht beginnen.

Am Montagvormittag trafen sich Regierung und Patronats-Dachverband UEL erneut zum Einheitsstatut und vertagten sich ein weiteres Mal. Muss man aus diesem Konflikt schließen, dass die Arbeitgeberseite in die Gespräche um die Absicherung des Pensionssystems, wenn sie denn beginnen, mit dem Apriori „Lohnnebenkostensenkung“ gehen würde?

Detailliertere Vorstellungen zum Rentensystem will die UEL im Maiauf ihrer Journée de la presse veröffentlichen. Aber vielleicht gibt es dieses Apriori so nicht, obwohl die UEL die Rententischbeschlüsse 2001 nicht mitgetragen hatte. Die Reserven im System betragen immerhin über sechs Milliarden Euro – mehr als drei Jahresausgaben der Pensionskassen. Sie würden laut der letzten aktuariellen Studie der Generalinspektion der Sozialversicherung (IGSS) zwischen 2030 und 2036 unter das gesetzlich vorgeschriebene Minimum fallen. Demnach käme Luxemburg bis Mitte der 2020-er Jahre ohne Beitragserhöhungen aus (d’Land, 10.02.2006). Verglichen damitist das Gleichgewicht der Krankenkassenfinanzen zerbrechlich wiedünnes Glas und eignete sich eher als Ziel für eine kurzfristige Einsparstrategie.

Wahrscheinlich resultiert genau daraus die Haltung des Patronatszum Einheitsstatut. Da fragt es sich auch, ob nicht die Patronatsvertreter an der Renten-Denkfabrik am Ende sogar wenigervorbelastet teilnehmen könnten, als die beiden für die Staatsfinanzenzuständigen christlichsozialen Minister dem LSAP-Sozialminister gestatten, im Namen der gesamten Regierung als Gralshüter des solidarisch umlagefinanzierten Systems aufzutreten. Denn es war Premier Jean-Claude Juncker gewesen, der den ersten – verbalen – Angriff auf das Solidarsystem und die gedrittelte Verantwortung von Versicherten, Arbeitgebern und Staat für die Finanzierung des Pensionssystems führte, als er in seiner Erklärung über die politischen Prioritäten der Regierung am 12. Oktober 2005 verlangte, über den Finanzfluss aus dem Staatshaushalt in die Rentenkassen „müssen wir reden“. Seitdem wurden immer wieder Ausgabenposten aus dem Staatsbudget auf die Rentenkassenumgelegt: 2006 wurde der Drittelbetrag des Staates umdieVerwaltungskosten der Rentenkassen gekürzt. Seit Anfang dieses Jahres wird auf Empfehlung der Tripartite vom letzten Jahr der Ausgleich für Rentenempfänger, die Beitragsperioden im Krieg verloren haben, aus den Rentenkassen beglichen, ebenso die Babyjahre. Was der Sozialminister verteidigte, da es „dieFundamente der Sozialversicherung nicht mal ankratzt“, worin derStaatsrat allerdings in seinem Gutachten zum zugehörigen Tripartite-Gesetz bereits einen „Paradigmenwechsel“ erkannte. 

Haushaltsminister LucFrieden schließlichkündigte vor vier Wochen an, die Regierung werde sich des Defizits im Zentralstaat annehmen und verwies ausdrücklich auf die Sozialtransfers (d’Land, 23.03.2007). 

Mars Di Bartolomeo meinte letzten Sommer zwar noch, die Ergebnisse der Beratungen sollten Wahlkampfthemen werden.1 Aber wenn die nächste Regierung bis Ende 2009 mit den Sozialpartnern über die Wiederaufnahme der automatischen Indexanpassungverhandeln muss und ein Index-Wahlkampf schon programmiertist, würde es eines großen politischen Wagemuts von CSV undLSAP bedürfen, einen Index-und-Renten-Wahlkampf zu führen. Der ganz allmählich immer näher rückende Wahltermin führt möglicherweise dazu, das die Renten-Arbeitsgruppe das Thema Reservenbildung zurückstellt und mit ihr eventuelleDefiskalisierungs-Begehrlichkeiten.

Zumal die Beratungen Tripartite und nicht Quadripartite-Charakterhaben: ein „Rententisch II“ unter Beteiligung der politischen Parteienist ausgeschlossen. So wird verhindert, dass die Diskussion kurz vor den Wahlen entgleiten und womöglich gar auf Rentenerhöhungen zu sprechen kommen könnte. Stattdessen könnte die Runde sich zunächst auf die Beschäftigungsproblematik älterer Arbeitnehmer konzentrieren.

Zu Mars Di Bartolomeos Versprechen vom letzten Sommer um die zu führende Renten-Reflexion gehörte auch, keine pauschale Erhöhung des Renteneintrittsalters zu wollen. Das First Forum on Europe’s Demographic Future, herausgegeben vom EU-StatistikamtEurostat, bestätigte Anfang November letzten Jahres die schon inder Vergangenheit für Luxemburg aufgestellten, im EU-Vergleich erfreulichen Trends: Der Anteil der über 60-Jährigen könnte sich von heute 19 auf 26 Prozent im Jahr 2030 erhöhen, während er dann im EU-Mittel bei 32 Prozent liegen wird und in den Nachbarländern bei 31 Prozent (Frankreich und Belgien), beziehungsweise 36 Prozent (Deutschland). Bei anhaltender Netto-Immigrationnach Luxemburg von im Schnitt 3 000 Menschen jährlich,wüchse der Anteil der über 60-Jährigen sogar bis 2050 nur um einenProzentpunkt gegenüber 2030 – in den Nachbarländern wäre dieser Anstieg zwei- bis dreimal so hoch.

Es blieben allerdings die Beschäftigungsaussichten Älterer zu verbessern, wenn der Sozialminister aus den demografischen Zusammenhängen ableitet, anstelle einer Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters solle das reale, das gegenwärtig bei 58 Jahren liegt, dem legalen angenähert werden. Schon das ist kompliziert genug. Denn beispielsweise hat die Lissabon-Strategieeinerseits einen europaweiten Wettbewerb um möglichst niedrigeLohnnebenkosten bei gleichzeitig maximaler Produktivität entfacht,andererseits Ziele aufgestellt, wie den Beschäftigungsanteil der 55- bis 64-Jährigen bis 2010 in allen Mitgliedstaaten auf mindestens 50 Prozent zu steigern. Von den EU-15-Staaten erreichte Luxemburg 2005 mit Belgien das schlechteste Ergebnis von nur 30 Prozent.

Zu den Zusammenhängen wurden im letzten Jahr mehrere Studien des Ceps-Instead veröffentlicht. Regelrecht diskriminiert würden Arbeitnehmer von über 50 bei der Vergabe von Jobs nicht, doch „bon nombre d’entreprises se rejoignent sur un diagnostic commun qui pénalise probablement les travailleurs âgés: les coûts salariaux et leur manque d’adaptation aux nouvelles technologies“.2 Und vielleicht ist es ja auch die Kostenfrage, die gerade kleinereBetriebe davon abhält, die Arbeitsbedingungen speziell für ältere Mitarbeiter anzupassen: dass das geschieht, ist umso wahrscheinlicher, je größer ein Unternehmen ist, je mehr ältere Mitarbeiter es hat und falls eine Personalabteilung für dieProblematik offen ist.3 Und es könnte gleichfalls sein, dass Kosten-Nutzen-Kalkül dort dominiert, wo eigentlich auch ganz gezielt die Employability älterer Beschäftigten gestärkt werden soll: zwischen 2003 und 2004 zumindest hätten über 50-Jährige zwei Mal geringere Aussichten zur Teilnahme an einer Weiterbildung gehabt als ihre jungen Kollegen, und „tout se passe comme si les travailleurs âgés ‚passaient en dernier’“4.

Damit ist ein Diskussionsfeld abgesteckt, das von einer eventuellenAbänderung bestehender Vorruhestandsregelungen bis hin zu einererneuten Reform der Gesetzgebung über die Berufsinvalidität reicht. Sozial- und Arbeitsministerium stimmen mit Gewerkschaften wie Patronatsverbänden darin überein, dass die bestehenden Möglichkeiten, eine Teilzeitbeschäftigung mit Frühverrentungzu verbinden, „kaum genutzt“ würden. Ein Grund dürfte der sein, dass eine solche Lösung frühestens ab 57-Jährigen offen steht undeine 40 Jahre lange Beitragskarriere voraussetzt. Währenddessen haben auch zwei Reformschritte aus den Jahren 2002 und 2005 es noch nicht vermocht, Arbeitnehmern, die nicht als berufsinvalid anerkannt wurden, aber als arbeitsunfähig an ihrem letzten Arbeitsplatz, in einem ausreichenden Maß zu einer Weiterbeschäftigung zu verhelfen und ihre verbleibenden Kapazitäten zu nutzen.

Ob ein solcher Arbeitnehmer innerhalbseines Betriebes oder draußenauf dem Arbeitsmarkt zu „reklassieren“ ist, entscheidet seit Sommer2002 ein gemischtes Komitee bei der Adem. Insbesondere die externe Reklassierung aber klappt derart schlecht, dass nicht nur die Adem einen immer größer werdenden Sockel teilweise Arbeitsunfähiger, die langzeitarbeitslos sind, anhäuft. Von den Ende Januar dieses Jahres 1 582 für eine extern Platzierung bei der Adem Eingeschriebenen waren 60 Prozent schon mehr als ein Jahr ohneJob (d’Land, 02.03.2007). Die geltende Gesetzgebung sieht allerdings vor, dass nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes nach 18 Monaten ein Wartegeld gezahlt wird – seine Höhe entsprichteiner Invalidenrente und ist zahlbar aus den Rentenkassen.

Wenn das bestehende System wegen der kleinen Trefferquote der Adem bei externer Platzierung noch immer den Anreiz bietet, via Invalidenregelung vorzeitig Abschied aus dem Berufsleben zu nehmen, anstatt ein Angebot zur Nutzung verbliebener Kapazitäten zu machen5, dann wäre der Ansatz, ein System von Teilinvaliditätkoppelbar mit Weiterbeschäftigung zu machen, wahrscheinlichein fruchtbringen-der Ansatz der Renten-Tripartite. Zumal, falls einEinheitsstatut auf legislativem Weg durchgesetzt werden sollte.

1 Der Voix du Luxembourg sagte Di Bartolomeo am 19.8.2006: „Nous mènerons la reflexion jusque fin 2007. Les partis politiques devront en fairel‘un des principaux thèmes de la campagne électorale pour les législatives de juin 2009. Chaque parti devra se positionner sur la viabilité économiquedes régimes et annoncer la couleur des mesures qui devraient être mises en musique par le prochain gouvernement.“

2 Genevois, A.S.: Stigmatisation des travailleurs âgés: mythe ou réalité?? Population [&] Emploi Nr. 16, Ceps-Instead, 2006

3 Zanardelli, M.; Leduc, K.: Favoriser le vieillissement actif: les pratiques des entreprises en matière d‘aménagement des conditions de travail en fin de carrière. Population [&] Emploi, Nr. 14, Ceps-Instead, 2006

4 Zanardelli, M.; Leduc, K.: Favoriser le vieillissement actif: les pratiques des entreprises en matière de formation continue pour les travailleurs âgés. Population [&] Emploi, Nr. 15, Ceps-Instead, 2006

5 Hartmann-Hirsch, C.: L‘incapacité de travail. Une mesure de maintien à l‘emploi aux effets pervers ??, Population [&] Emploi, Nr. 19, Ceps-Instead, 2006

 

Peter Feist
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