Juncker zum Pensionssystem

Länger arbeiten

d'Lëtzebuerger Land vom 12.01.2006

Neujahr war nicht nur das Stichdatum, an dem die Quellensteuer in Kraft trat, Arztbesuche und Alcopops teurer wurden. CSV und LSAP hatten in ihrem Koalitionsabkommen von 2004 den Jahreswechsel auch vorgemerkt, nach dem „le Gouvernement prendra, le cas échéant, à la suite du prochain bilan actuariel prévu pour la fin 2005 les mesures qui s'imposent afin de garantir la pérennité du régime.“ (S. 80) Nach dem Abschluss des Haushaltsjahres 2005 soll wieder einmal nachgerechnet werden, ob die in der Erklärung zur Lage der Nation vom 7. Mai 1997 für den „1. Januar 2015“ angedrohte Rentenmauer (S. 29) näher rückt – mit oder ohne 700 000-Einwohnerstaat.

Eine der sich dann „aufdrängenden Maßnahmen“ ist seit Jahren im Gespräch. Auch wenn sie unter den vielen Reformvorschlägen, die Premierminister Jean-Claude Juncker am 12. Oktober in seiner Erklärung zu den politischen Prioritäten der Regierung aufgezählt hatte, bisher weitgehend unbeachtet blieb. Er hatte nämlich gemeint, dass die Sozialpartner „darüber diskutieren müssen, ob es keine Gründe dafür gibt, ab eines festzulegenden Jahres nach 2012 Jahr für Jahr einen oder zwei Monate mehr zu arbeiten“ (S. 14).

Dass der Premier die seit 150 Jahren schrittweise gesenkte Lebensarbeitszeit wieder erhöhen möchte, kommt nicht von ungefähr. Schon auf dem Europäischen Gipfel von Barcelona im Frühjahr 2002 hatten die Staats- und Regierungschefs sich das Wort gegeben, das tatsächliche Renteneintrittsalter mittelfristig um fünf Jahre zu erhöhen. Denn dieses liege zu weit unter dem gesetzlichen Renteneintrittsalter. 

Hierzulande setzte das erste Rentengesetz, vom 6. Mai 1911, das Renteneintrittsalter auf 68 Jahre fest. Bereits durch das Gesetz vom 2. Juni 1914 wurde dieses Alter auf 65 Jahre gesenkt. Heute liegt es, wie in den meisten anderen europäischen Ländern, noch immer bei 65 Jahren. Anrecht auf einen vorgezogenen Ruhestand ab 60 Jahre hat aber, wer 40 Jahre lang versichert war.  Durch die Reform vom 24. April 1991 wurde zudem das Mindestalter für den Ruhestand auf 57 Jahre zugunsten jener Versicherten gesenkt, die 40 Jahre lang Beiträge zahlten.

Somit liegt das durchschnittliche effektive Renteneintrittsalter unter dem gesetzlichen. Nach Angaben des Rapport général sur la sécurité sociale au grand-duché de Luxembourg 2004 (S. 289) lag das Durchschnittsalter beim ersten Bezug einer Altersrente im Jahr 2003 bei 60,9 Jahren für die Männer und 63,2 Jahren für die Frauen. Am längsten waren die Arbeiterinnen erwerbstätig, bis durchschnittlich 64,1 Jahre, am kürzesten die männlichen Angestellten, bis 60,5 Jahre. Der Altersdurchschnitt bei den Hinterbliebenenrenten lag höher und bei den Invaliden- sowie Waisenrenten erwartungsgemäß niedriger – denn 20-Jährige können verunfallen und Zehnjährige Waisen werden.

Als Haupterklärung für die Notwendigkeit einer Heraufsetzung des Renteneintrittsalters wird die Belastung der Rentenkassen durch die gestiegene Lebenserwartung der Versicherten angeführt. Allerdings steigt die Lebenserwartung der Bevölkerung nicht erst seit zehn oder 20 Jahren, sondern dank der Fortschritte der Medizin und Hygiene seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie stellte aber im 20. Jahrhundert so lange kein Problem für die gesetzliche Altersversicherung dar, wie die Löhne und Gehälter und somit auch die Beiträge Schritt mit der Entwicklung der ebenfalls rasch steigenden Produktivität hielten.

Das von Premier Jean-Claude Juncker vorgegebene Datum von 2012 zur schrittweisen Erhöhung des Renteneintrittsalters hat nicht nur eine symbolische Bedeutung – 2011 feiert die gesetzliche Rentenversicherung ihren 100. Geburtstag. 2012 ist auch wieder eine alle sieben Jahre vorgesehene aktuarielle Untersuchung des Rentensystems fällig. Und in der am 15. Februar 2001 vorgestellten Evaluation actuarielle et financière du régime général d’assurance pension du grand-duché de Luxembourg hatte das Bureau international du travail (BIT) auch zwei Szenarien für die Zukunft der Rentenversicherung aufgestellt. Eines davon geht von einem jährlichen Wirtschaftswachstum von zwei Prozent pro Jahr aus. Unter diesen Bedingungen – bei denen die Reformen des Rententischs nicht berücksichtigt waren – würden die Beiträge der Erwerbstätigen zu den Rentenkassen der Privatwirtschaft bis 2010 ausreichten, um die Renten der Ruheständler im Umlageverfahren zu bezahlen. Danach steige aber sowohl die Zahl der hier zu Lande wohnenden Rentner, als auch diejenige der pensionierten Grenzpendler. Dadurch überträfen nach 2010, so das BIT, die Umlagekosten den Beitragssatz und müsse die Regierung dann die Renten kürzen oder die Beiträge erhöhen (S. 64).

Durch die Erhöhung des Renteneintrittsalters nach 2010 würden beide vom BIT vorgegeben Ziele gleichzeitig verfolgt: die Erwerbstätigen arbeiteten länger und zahlten somit mehr Beiträge, und sie bezögen während einer kürzeren Lebenszeit Renten.Das Bureau international du travail rechnete vor, dass jede Erhöhung des Rentenalters um ein Jahr langfristig 1,2 Prozent oder 0,27 Prämienpunkte sparen würde. Deshalb empfahl es, die vorgezogene Rente erst ab 60 Jahren und nach 40 Versicherungsjahren, dann aber unabhängig von den Beitragsjahren, zu gewähren.

Allerdings empfahl das BIT auch, die gesetzlichen Reserven vom 1,5-fachen Deckungsgrad über sieben Jahre auf den doppelten Deckungsgrad über zehn Jahre zu erhöhen (S. 98). Doch die Regierung tut seither genau das Gegenteil: mit Transfers an die Krankenversicherung, der Aufbürdung sämtlicher Verwaltungskosten, der geplanten Finanzierung der Erziehungspauschale und der geplanten Kürzung der staatlichen Beiträge verringert sie die Reserven der Rentenkassen, weil „die Überschüse zu einem großen Teil aus der Staatskasse kommen“, so Juncker (S. 22).

Das BIT weist darauf hin, dass die Einsparungen bei einer Heraufsetzung des Renteneinstiegsalters in Luxemburg geringer wären als in anderen Ländern. Das hänge einerseits damit zusammen, dass der Anteil der Altersrenten an den Ausgaben der Rentenversicherung niedriger sei als in den Nachbarländern sei, und andererseits damit, dass die Frauen aufgrund ihrer uneinheitlicheren Versicherungslaufbahnen in der Regel bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter von 65 Jahren warten müssen, ehe sie in den Ruhestand treten könnten. Das BIT schätzt auch, dass als Reaktion auf eine Erhöhung des Renteneinstiegsalters die seit einem Jahrzehnt angestrengt ge

Romain Hilgert
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