RIP unsere Jugend!

d'Lëtzebuerger Land du 23.08.2024

Jetzt ist es wieder losgegangen auf Oma-Facebook, mit den Heul-Emojis, den Sniffs, den Kerzen, dem RIP. Mit dem Nonstop-RIP und dem Liken von RIPs. Weil Einer, angeblich der Schönste und Coolste ever, den Weg allen Fleisches gegangen ist. Schon mal vorgegangen ist. So ein menschliches Meisterwerk, perfekt gemeißelt, aus Fleisch, Marmor, Blut. Von einer Perfektion, die etwas Gnadenloses hatte, die Kälte der Schönheit, die wehrlos macht. Das ist ihr Recht, die Schönheit hat immer Recht. Eine Perfektion, der ich ratlos gegenüberstand.

Gestandene Rockerinnen, raubeinige Künstlerinnen weinen plötzlich einem marmorglatten Poster-Boy Krokodilstränen hinterher, man könnte meinen, ihr Schoßhündchen habe das Zeitliche gesegnet oder wenigstens ein Naheliegender. Oder Keith Richards wäre gestorben. Oder Marlon Brando. Gut, hatten wir schon. Jemand mit Abgründen. Marlon Brando, wie er im Letzten Tango seinen Kaugummi an das Balkongeländer klebt, bevor sein Blick ins Nichts hineinschmilzt. Das war Leben, das war Kino!

Wer räkelt sich am Swimming Pool wie in einer endlosen Werbeeinschaltung? Auf diese Oberfläche, glatt wie die spiegelnde Wasserfläche des Pools, konnte ich nichts projizieren, an ihrer Vollkommenheit prallte ich ab, an ihrer brutalen Leere. Angestrahlt, überstrahlt wurde diese von der einzigen, alleinigen, göttlichen Romy Schneider. Sie war eine Göttin, er ein Beau! Wie hatte er es wagen können, sie zu verschmähen?

So dachte ich damals. Ich hatte keinen Zugang, keinen Schlüssel, die Kälte seiner Figuren ließ mich kalt. Von denen ich dann nur wenige sah, französische Filme mit Autos, Ganoven, Autos waren nicht mein Ding, ich war abonniert auf schwedisches Schweigen, auf die Schwere und Wollust der Italiener.

Wer war dieser Schauspieler, der meiner Degeneration, ja, meiner peer group, zu meinem Erstaunen so zugesetzt hat? Dieser so genannte eiskalte Engel, der Metzger gelernt hatte und in Indochina gekämpft hatte und dort im Gefängnis war? Schwere Kindheit, klar, schöne Frauen, Waffen, Mordanklage. Der Stoff, aus dem die Träume sind. Der Stoff, aus dem die Traummänner sind, heute heißen sie bad boys, es gibt immer noch reichlich Nachfrage.

Er hatte seinen Fan/innen nicht den Gefallen gemacht, früh zu sterben, als vermarktbare Konserve der ewigen Jugend, als Ikone der makellosen Lässigkeit, es gab keinen brutalen Fall. Nur den brutalen banalen Verfall. Das Alter hatte aus ihm einen Menschen gemacht, einen wie die anderen, einen alten grauen Mann mit Tränensäcken, er gehörte nicht zu denen, die im Alter extra interessant wirken, er hatte auch keine extra interessanten Ideen. Oder tröstliche zumindest. Weise. Er hatte so Alte- Graue-Männer-Ideen. Wie man jetzt doch anmahnen muss. Wie jetzt doch angemahnt wird. Angesichts der Invasion trauernder Emojis. Als ob es darauf ankäme! Ob jemand ein Arschloch war oder ein vorbildlicher Mensch, allen derzeit gängigen Verhaltenscodes entsprechend. Ob einer für oder gegen die Todesstrafe war und wie viele Geschlechter er gut fand und ob Putin sein pote war. War der wohl nicht, aufgrund seiner Unterstützung hat ihm die Ukraine den Verdienstorden des Landes zuerkannt.

Aber um all das geht es nicht. Nicht der Tod Alain Delons mache ihn traurig, sondern der Tod „seines“ Alain Delon, postet ein FB-Freund. Eines Teils seiner Jugend. Eines Teils der Jugend derer, die jetzt, melancholisch in sich blickend, Trauer klicken. In sich eintauchen oder versinken, in diese Unschuld und Frische der frühen Sechziger, noch stöckeln die Schönen unter aufgetürmten Haaren, die Menschen schauen blendend aus, zumindest im Film, Delon schaut blendend aus, eine blendende Zukunft erwartet alle, es gibt jede Menge Zukunft. Zwar überschlagen sich die Autos immerzu, aber dann krabbeln alle raus und es geht munter weiter, bis es schrecklich schlecht endet, aber das ist dann ein richtig gutes Ende.

Gestern habe ich Les Félins gesehen. Es hat mich erwischt, Nachsitzen nach fünfzig Jahren ist angesagt, vielleicht kann ich den Delon-Code noch knacken? Es gibt doch ein Rätsel. Und worum geht es? Es geht immer um das Rätsel.

Michèle Thoma
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