Der Neujahrstag 2007 war für die europäische Frachttransportbranche ein historisches Datum. Seitdem gilt für den Güterverkehr per Eisenbahn, was auf der Straße schon seit den Neunzigerjahren Usus ist: Jeder Transportunternehmer darf überall seine Leistungen anbieten. Auch die CFL Cargo, das Joint venture von CFL und Arcelor Profil, auf dessen Bildung sich Ende 2005 die Eisenbahntripartite geeinigt hatte. Nachdem die Wettbewerbshüter der EU-Kommission es am 9. Oktober letzten Jahres genehmigten, wurde es am 17. Oktober offiziell gegründet und am 20. Dezember in einem Staatsakt mit Großherzog und Transportminister eingeweiht. Für zehn Jahre wurde es vertraglich abgemacht. Nach zwei Jahren, also bis Ende 2008, soll die CFL Cargo s.a. schwarze Zahlen schreiben. Das ist ein ehrgeiziges Ziel.
Denn das Joint venture, dessen Kapital zu zwei Dritteln von den CFL und zu einem Drittel von Profil Arcelor gehalten wird, übernimmt fast vollständig den Frachtbetrieb der CFL, der als „strukturell defizitär“ gilt. Weniger, weil die Gehälter und Lauf- bahnen der Güterbahner mit Eisenbahner-Statut hoch, weil mit denen der Staatsbeamten assimiliert sind. Sondern weil Luxemburg klein und rasch durchquert ist und schon nach relativ kurzer Wegstrecke hohe charges terminales an den Übergängen zu fremden Netzen entstehen. Zweitens, weil die Bahn bisher innerhalb Luxemburgs eine Art service public im Frachtbereich unterhielt und auch wenig rentable Fuhren von Einzelwaggons übernahm. Drittens, weil sie mit dem Straßengüterverkehr konkurrierte und die Preise von Lkw-Speditionen, wenn es sein musste, unterbot. Wobei die Transportpreise auf der Straße zwischen 1991 und 2005 um rund ein Drittel fielen.
In diesem Preiswettbewerb sind andere Bahnen in ähnlicher Lage wie die luxemburgische. Doch wenn diese, von wenigen Transporten abgesehen, überwiegend Zubringer für Nachbarbahnen war und kaum über Sterpenich, Thionville, Wasserbillig und vielleicht Trier hinaus fuhr, entstand daraus eine besondere „strukturelle“ Schwäche – und große Abhängigkeit von Hauptkunden Stahlindustrie: 2005, als Arcelor zeitweise weniger produzierte, wuchs das Fracht-Defizit von zuvor 30 Millionen auf über 35 Millionen Euro. Als 2006 die Produktion anzog, stiegen schon im ersten Trimester das Frachtvolumen der CFL um 15 Prozent und die Einnahmen daraus um fast 30 Prozent.
Deshalb ruhen so viele Hoffnungen auf dem Joint venture à̀ la luxembourgeoise: Arcelor Profil stellt der CFL Cargo zehn Jahre lang ein Mindest-Transportvolumen zur Verfügung. CFL Cargo übernimmt an die 500 CFL-Güterbahner. CFL Cargo garantiert zwei Jahre lang, wenig rentable Transporte der CFL im Inland nicht aufzugeben. CFL Cargo wird eine - hoffentlich - aktivere Rolle auf dem gemeinsamen EU-Frachtmarkt spielen. Ihre innovativen Konzepte werden – hoffentlich – auch ein Argument sein für den Stahlstandort Luxemburg. Die Allgemeinheit hofft implizit mit: Dass der Staat über ein am 23. November letzten Jahres verabschiedetes Gesetz den CFL fünf Bahnhöfe im Gesamtwert von 68 Millionen Euro und der Arcelor-Mittal-Gruppe Schieneninfrastrukturen für 64 Millionen Euro abkaufte, half beiden, die 147 Millionen Euro Eigenkapital von CFL Cargo zu bilden und war eine Solidarmaßnahme gegenüber Bahn und Schwerindustrie.
Nicht zuletzt der Schwerindustrie gegenüber: Weil nach der Freigabe des Schienenfrachtverkehrs der Gütertransport buchhalterisch von anderen Bahn-Aktivtäten getrennt sein muss, hätten die Arcelor-Profil-Betriebe mit höheren Transportpreisen rechnen müssen. Die CFL hätten ein 30-Millionen-Defizit einpreisen müssen. Unter ihren potenziellen Wettbewerbern um Stahlfracht aber sind ebenfalls defizitäre Bahnen; die deutsche Railion erwirtschaftete 2005 ein Minus von 65 Millionen Euro, SNCF Fret rechnete 2006 mit minus 47 Millionen. Da ist eine finanziell entlastete CFL Cargo der bessere Partner. Zumal Railion und SNCF Fret ihrer Größe wegen für fähig gehalten werden, mit der Zeit preisbestimmende Oligopole zu bilden. Was um so schwerwiegender gewesen wäre, als für Langstahlprodukte wegen ihrer schieren Länge kaum Lkw-Transporte eine Alternative sein können.
Aber bei CFL Cargo sind die Arbeiten an der Zukunft noch voll im Gange. „Theoretisch einfach“ sei es, das Strukturdefizit aufzufangen, meint Generaldirektor Fernand Rippinger, der von Arcelor Profil kommt und dort früher den Langstahl-Versand koordinierte. „Drastische und tiefgreifende Restrukturierungen sind nötig.“ Dazu gehören Vereinfachungen wie die, dass ein Zug, der etwa aus dem Differdinger Stahlwerk in Richtung Ausland geht, innerhalb Luxemburgs nicht mehr fünfmal mit einer anderen Lok versehen und hin und her rangiert werden muss, sondern nur noch einmal – dass das Joint venture gemeinsames Rollmaterial verwendet und auf CFL- und Arcelor-Gleisen verkehrt, macht es möglich. Für „mehr Kundennähe und Punkt-zu-Punkt-Verbindungen“ sorgen soll die Bedienung bestimmter Endkunden mit „ferngesteuerten“ Loks: dort ist der Lokführer gleichzeitig noch Rangierer und Frachtpapierverantwortlicher. Die CFL hatten diesen Betrieb in Pilotversuchen zu erproben begonnen. Bei CFL Cargo soll er eine wichtige Rolle spielen, sollen kurzfristig zwölf neue Loks gekauft werden und zum Teil 50 Jahre alte CFL-Maschinen ersetzen. Durch solche Neuerungen gewann CFL Cargo auch den Transport zwischen dem Flachstahlwerk Florange und dem Galvanisierwerk in Düdelingen, der bisher komplett über die Straße ging.
Die Transporte nach Florange haben noch eine zweite Bedeutung: „Einen ersten Fuß in der Tür“ auf dem französischen Markt, nennt Fernand Rippinger das. Das ist ziemlich hoch einzuschätzen, da die französischen Behörden derzeit noch für jede Transportaktivität gesonderte Sicherheitsbescheinigungen vergeben. Nicht nur schon länger etablierte ausländische Privatbahnen, auch Großkonkurrent Railion klagt darüber als „Protektionismus zugunsten der SNCF Fret“.
Für CFL Cargo ist damit der eigentlich strategische Teil ihres Unternehmensprojekts beührt: Frachttransporte aus Luxemburg und dem grenznahen Raum bilden und am Terminal in Bettemburg zusammenführen, soll ein Teil des Geschäfts sein. Doch solche short haulers sind wenig rentabel – das meinte auch die EU-Wettbewerbsbehörde in ihrer Zulassungsbegründung für CFL Cargo. Erst der long haul lohnt sich, und auf dieses Segment war die europaweite Marktöffnung ja gerichtet.
Die CFL setzten zuletzt im Rahmen des Sibelit-Unternehmens Lokomotiven und Lokführer in einem gemeinsamen Pool mit SNCF und SNCB ein und erledigten Transporte zwischen Antwerpen und Basel. Noch immer tun sie das; CFL Cargo soll erst nach und nach übernehmen. Abgesehen davon, soll die neue Gesellschaft aber auch auf Langdistanzen stärker mitbieten, als die CFL es konnten. Weil ohne solche Überlegungen der Unterhalt einer Güterbahn kaum sinnvoll wäre, wurden sie schon während der Tripartite angestellt: Von einer Verdoppelung des internationalen Verkehrs bis 2008 gegenüber 2005 war die Rede und von einer Steigerung der Tonnen-Kilometer um mehr als das Doppelte. Der CFL Cargo-Chef hält sich bedeckter. Aber Transporte zwischen den Arcelor-Profil-Werken und dem Ruhrgebiet zum Beispiel, die früher ab der Grenze ein deutscher Transporteur übernahm, werde CFL Cargo nun auf der ganzen Strecke erledigen; „zumindest einige dieser Transporte“. Und nach dem Vorbild „Florange“ stehe ein anderes Projekt kurz vor dem Abschluss, „auf einem anderen Markt, mit einem ganz anderen Produkt, mit viel mehr Kilometern“. Nur für die Stahlwerke zu fahren, die dem Joint-venture-Partner gehören, sei „Monokultur und nicht zukunftsweisend“, meint Rippinger.
Doch auf dem long haul stellt sich die Frage nach der Wettbwerbsfähigkeit im Preis. Die Lohnkosten um 30 Prozent senken zu müsen, meinte die CFL-Direktion in ihrem Strategieentwurf zur Fracht vor drei Jahren. Da ging es darum, mit anderen Bahnen konkurrieren zu können. Für den den CFL-Cargo-Chef sind andere Bahnen potenzielle Partner, der Konkurrent der Straßentransport. „In dessen Bereich“ Transportpreise anbieten und dennoch profitabel sein soll der neue Schienenfrachtbetrieb, darüber hinaus „flexibel und kundennah“.
Was das konkret bedeuten wird, dürfte in den nächsten Monaten klarer werden: zum Beispiel an der Geschwindigkeit, mit der CFL-Güterbahner, die zur CFL Cargo abgestellt wurden, zurück ins Mutterhaus geschickt werden. Konventionsgemäß sollen 239 CFL-Bahner bei CFL Cargo arbeiten, über 250 weniger als heute. Rückkehrer sollen umgeschult und bei den CFL für Infrastrukturarbeiten, als Fahrkartenkontrolleure oder in der neuen Sicherheitsbrigade eingesetzt werden. Die Zahl der von Arcelor Pro- fil ausgeliehenen Bahner soll kontant bei 85 bleiben, Abgänge werden ersetzt.
Bei aller Partnerschaft von Bahn und Stahlkonzern gibt es für CFL Cargo jedoch keine Exklusivität für Arcelor-Stahltransporte. Welchen genauen Anteil der lukrativen internationalen Transporte über weite Distanzen CFL Cargo erhält, weiß allein der Businessplan der neuen Firma. Es sind auf jeden Fall mehr als 50 Prozent der internationalen Transporte des Jahres 2005 von Luxemburg aus, das als Referenzjahr dient. Doch da 2005 das Jahr des hohen Defizits der CFL-Schienenfracht wegen zeitweilig wenig Stahltransporten war, könnte eine wachstumswillige CFL Cargo auch um Transporte ab Differdingen oder Belval hart verhandeln müssen.
Um die von ausländischen Arcelor-Werken sowieso, und um solche von Mittal Steel auch. Da könnte CFL Cargo Wettbewerbern begegnen, die keine Lkw-Spediteure sind, denen gegenüber aber auch das Arcelor-Statut mit seinen Lohnbedingungen nicht mithalten kann. Dieser Zusammenhang dürfte Einfluss haben auf die noch nicht abgeschlossene Neudefinition der Arbeitsbedingungen der CFL-Cargo-Mitarbeiter auf „mehr Flexibilität und Polyvalenz“ hin, insbesondere der von den CFL gekommenen.
Auch auf die Kollektivvertragsverhandlungen, die demnächst beginnen sollen. Klar scheint, dass CFL Cargo eigene Wege geht; entschlossener, als die Transportgewerkschaften es sich noch während der Tripartite vorstellten. Damals glaubte man, die neue Gesellschaft werde eher eine CFL-Filiale, die auch unter der Transportlizenz der CFL fahren werde. Heute stellen FNCTTFEL-Landesverband und Syprolux nicht ohne gewisse Entgeisterung fest, dass das neue Unternehmen lizenzmäßig schnell auf eigene Füße gestellt wurde, dass seine Direktion nicht im CFL-Gebäude ihren Sitz nehmen wird, dass schon Neueinstellungen von Mitarbeitern geplant sind, die weder ein CFL- noch ein Arcelor-Statut haben werden. Aber dass bei CFL Cargo eine Geschäftsdynamik herrscht, die zu erzeugen man sich von der CFL-Direktion so lange gewünscht hatte, das wird auch bemerkt.