Bahnfrachtliberalisierung

Schicksalsjahr 2008

d'Lëtzebuerger Land du 15.11.2001

Sie schien ein Lob für die CFL-Direktion zu enthalten - die Antwort, die Transportminister Henri Grethen (DP) vor zwei Wochen auf eine parlamentarische Anfrage des LSAP-Abgeordneten Marc Zanussi gab. Dass die EuroLuxCargo S.A., hundertprozentige Tochter der CFL und Vermarkterin von Frachtdienstleistungen der Luxemburger Bahn, sich bei der Deutschen Bahn um die Übernahme der Rangierdienste am Güterbahnhof Trier-Ehrang bemüht, habe, so Grethen, offensichtlich damit zu tun, dass beide Unternehmen eine echte Chance zum Weiterbestehen in einem liberalisierten europäischen Umfeld nur über die Ausdehnung der Aktivitäten über die Landesgrenzen hinaus sähen.

Immerhin hatte Grethen seit seinem Amtsantritt mehr Geschäftssinn und Risikofreude bei den CFL angemahnt. Dass EuroLuxCargo für die CFL im Frühsommer dieses Jahres eine kleine norddeutsche Privatbahn aufgekauft hat, war mehr als nur eine Fingerübung auf dem EU-Bahnmarkt gewesen, der ab 1. Januar 2008 vollständig liberalisiert sein soll: "Überaus günstig" sei der Kaufpreis von 190 000 Euro gewesen, meint EuroLuxCargo-Direktor Marc Calmes. Vor allem in strategischer Hinsicht - sichert der Besitz dieser kleinen Bahn den CFL, und damit ihrer Tochter EuroLuxCargo, doch die begehrte Lizenz, um auf dem deutschen Markt aktiv zu werden. Zwar sieht eine EU-Direktive aus dem Jahre 1995 vor, dass die Mitgliedsstaaten an ihre Bahnbetrieben diese Lizenz zum Anbieten von Frachtverkehrsleistungen in anderen EU-Ländern über nationale Gesetze vergeben können. Das entsprechende Gesetz passierte auch noch unter der CSV-LSAP-Koalition im Juni 1999 das Parlament. Doch die Ausführungsbestimmungen per großherzoglichem Reglement befinden sich noch in Ausarbeitung.

Trier-Ehrang ist jedoch nur ein Mosaikstein in den Bemühungen der CFL, ihren Bestand für die Zukunft zu sichern. Vor allem im Frachtbereich, ihrer wichtigsten Transportaktivität. Und während noch im Sommer die Direktion dazu aufrief, nichts zu überstürzen, mahnt Verwaltungsratspräsident Jeannot Waringo unterdessen zur Eile. Zum einen, weil die CFL-Bilanz im Geschäftsjahr 2000 im Betriebsergebnis ein Minus von 312 Millionen Franken auswies. "Die waren", sagt Waringo, "überwiegend dem Güterverkehr geschuldet." Der hatte im Vergleich zum Vorjahr mit Mehrkosten von 205 Millionen zu Buche geschlagen.

Zweitens, weil die Aussichten auf Besserung derzeit gering sind. "Wir spüren die europaweit rückläufige Konjunktur." Zahlen möchte Waringo nicht nennen, vielleicht  bessere sich die Lage ja. Aber auch dann bliebe das alte Problem der hohen Kosten für den Frachtbetrieb bestehen; wegen der Kleinheit des Landes, den Verzögerungen bei Lok- und Lokführerwechseln an den Grenzen, die trotz Binnenmarkt auftreten. Obwohl die CFL im Güterverkehr ihre Leistung und die beförderte Tonnage pro Kilometer von 19,3 Millionen im Jahre 1999 auf 20 Millionen im Jahr 2000 steigern konnten, gelte in großen Teilen: Je mehr Fracht bewegt wird, desto unrentabler werde der Betrieb. "Die 312 Millionen Minus vom letzten Jahr", sagt Jeannot Waringo, "sind kein Konjunkturdefizit." Für 2001 wird mit einem ähnlich hohen Verlust gerechnet; im Budget 2002 wurde er auf der Oktober-Sitzung des CFL-Verwaltungsrats gleich eingeplant und könnte auf der Dezember-Versammlung noch nach oben korrigiert werden. 2003 soll die Bilanz wieder ausgeglichen sein. 

2003 aber wird ein Schicksalsjahr für alle europäischen Bahnen. Dann öffnen sich die ersten 50 000 Kilometer liberalisierter Gleiskorridore, ehe Anfang 2008 die restlichen 100 000 Kilometer geöffnet sein wird. Dass eine schon wegen der Größe ihres Heimat-Aktionsfeldes potente Bahnen wie die SNCF oder die DB sich auch für Gütertransporte von, nach und durch Luxemburg interessieren könnten, hält der CFL-Verwaltungsratschef ab 2003 für "evident"; vor allem wegen der lukrativen Transporte, welche die Stahlindustrie durchführen lässt. Schon reden DB und SNCF über das weitere Vorgehen im Saar-Lor-Lux-Raum; schon führe die CFL, so Jeannot Waringo, Gespräche mit der Arbed um Zukunftsoptionen auf den Transport von Schrott hin und von Halbzeugen ab den Elektrostahlwerken. Auch die Trier-Ehrang-Pläne haben in diesen Überlegungen ihren Platz: Warum Trier-Ehrang für die DB uninteressant geworden ist, erläutert Marc Calmes an der großen Karte der europäischen Güternetze, die in seinem Büro hängt. Köln, Koblenz und Mannheim sind für die DB die Knotenpunkte für den Frachtumschlag, die sie lieber selbst betreibt. Ehrang liegt in dünn besiedelter Umgebung. 3 000 Züge passieren den Bahnhof jährlich. Doch die meisten davon mit Fahrziel Luxemburg: Schrottladungen für die Elektroöfen der Arbed. "Wir wollen einfach verhindern, dass ein anderer Anbieter direkt vor unserer Haustür dort aktiv werden könnte." Dass der Betrieb für EuroLuxCargo gewinnbringend bleibt, soll eine Jahrespauschale sichern. Über die wird derzeit verhandelt. Wenigstens fünf Prozent Gewinnspanne hätte EuroLuxCargo gern. Nicht um reich zu werden; Taktik ist alles.

Unterdessen wird die Nischensuche verstärkt. Die Sprachenkenntnis des Lok- und Dispatchingpersonals soll eine Rolle spielen, auch deren Kenntnis der Bahnsysteme der Nachbarländer. Noch liegt das CFL-Strategiekonzept nicht vor, seine Veröffentlichung wurde in diesem Jahr zweimal verschoben und für Februar/März 2002 angesetzt. Schon auf der Oktobersitzung des Verwaltungsrats aber kam ein Projekt zur Sprache, das die CFL und EuroLuxCargo als Anbieterin von - äußerst lukrativen - Container-Ferntransporten ab dem Terminal Bettemburg in Richtung Italien und Spanien etablieren soll. Eventuell in Zusammenarbeit mit einem Spediteur, um den Kunden so nah wie möglich zu kommen. Noch vor einem Jahr hielt die CFL-Direktion dergleichen wegen der großen Kostenunterschiede im Schienen- und im Straßengüterverkehr für nicht machbar. Heute schon.

Kein Wunder, dass die Gewerkschaften dieser Entwicklung mit gemischten Gefühlen zusehen. Am Eisenbahner-Statut dürfe auf keinen Fall gerüttelt werden, erklärt die Transportsektion der FNCTTFEL immer wieder. "Es brodelt unter dem Dach!", titelte vor zwei Wochen das FNCTTFEL-Organ Le Signal, Syndikatssekretär Roland Schreiner, Mitglied im CFL-Verwaltungsrat, mutmaßte, den Eisenbahnern gehe es bald ans Eingemachte. Soeben hatte der Verwaltungsrat beschlossen, die EuroLuxCargo aufzuwerten: künftig soll sie selbstständig mit Kunden verhandeln, bei den CFL Transportleistungen kaufen und sie vermarkten. Das sei ein Schritt hin zu einer eigenständigen Bahngesellschaft. Die Mobilisierung der Belegschaft, tat Le Signal kund, beginne unverzüglich.

Doch das geschah nicht. Die FNCTTFEL wolle, sagt ihr Präsident Nico Wennmacher, erst einmal "informieren". Sie trete dafür ein, den Güterverkehr zu erhalten, ihn auszubauen, die CFL möglichst als ganzen Betrieb zu erhalten, und wenn sich Filialisierungen schon nicht umgehen ließen, dann müsse unbedingt das Bahnerstatut erhalten bleiben.

Defensive Töne von der so streitbaren Gewerkschaft. Die aber darauf hindeuten, wie ernst die Perspektiven für die CFL gesehen werden. "Warum kann der Staat nicht einspringen?", fragt Nico Wennmacher, dass von ihm Mehrkosten übernommen werden können, halte das Eisenbahngesetz von 1997 doch fest; und dass damit - wörtlich - "notamment" Maßnahmen zur Stützung der Personalkosten gemeint sind, öffne zusätzlichen Handlungsspielraum, um die Bahn konkurrenzfähiger gegenüber dem Straßentransport zu machen. Defizite im Güterbereich entstünden ja nur, weil die externen Kosten, die laut Weißbuch der EU-Kommission zwei Prozent des EU-BIP ausmachen, den Straßenbenutzern nicht in Rechnung gestellt werden.

Altschulden in Höhe von 4,3 Milliarden Franken hatte der Staat für die CFL 1997 übernommen, als er sie in die kommerzielle Selbstständigkeit entließ. Die jährlichen Überweisungen zur Stützung der Personal- und Sozialkosten schwanken um die 600 Millionen, betrugen im Jahr 2000 rund 560 Millionen Franken, im Staatsbudget 2002 sind 780 Millionen vorgesehen.

Doch: Das 1997 verabschiedete Eisenbahngesetz setzt diese Zahlungen nur für zwölf Jahre an. 2008 müssten sie enden; das will die europäische Gesetzgebung so, und dass dieses Datum zusammenfällt mit der Freigabe der Gleiswege für die Konkurrenz ist kein Zufall. Die Rechnung ist einfach zu machen: Ohne Staatshilfe ist Lohn- und Gehaltsstützung so lange nicht zu haben, wie der Betrieb defizitär ist.  Da trifft es sich gut, dass mit dem Auslaufen des Eisenbahngesetzes auch das Statut der Bahner neu gefasst werden muss.

Prinzip Hoffnung der Gewerkschaften ist der Plan der EU-Kommission geworden, im nächsten Jahr eine Rahmenrichtlinie vorzulegen, die allen Verkehrsträgern endlich die Anrechnung aller externen Kosten vorschreiben soll. Auch die Gütertransporte der CFL und ihrer Tochter EuroLuxCargo könnten dadurch konkurrenzfähiger gegenüber der Straße werden.

Doch diese Aussicht ist theoretisch, da der Inhalt dieser Direktive noch nicht klar ist, die Fuhrunternehmerlobby in Europa obendrein sehr einflussreich. Und da zur Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Recht Jahre vergehen - es sei denn, es handelt sich um Anti-Terrorismus-Maßnahmen - ist es durchaus denkbar, dass die Epoche machende Anrechnung der externen Kosten mit ihrem Mehr an Wettbewerbsgerechtigkeit für die CFL zu spät in Kraft tritt.

 

 

Peter Feist
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