Bildungssystem in Luxemburg

Doppelt hält besser

d'Lëtzebuerger Land vom 11.10.2013

In dem ziemlich plötzlich anberaumten Wahlkampf müssen sich die Luxemburger Politiker nun mit Dringlichkeit gegenüber den Bürgern über die vergangene Schulreform äußern und schnellstmöglich neue Vorschläge anbieten. Die Reformen im Schulwesen sind bereits seit längerem ein fragiles Thema. Bildungsministerin Mady Delvaux-Stehres (LSAP) war in den vergangenen Jahren immer wieder scharfer Kritik ausgesetzt. In einem Punkt aber stimmen alle Parteien überein: Die multikulturelle Gesellschaft Luxemburgs bringt sprachliche Schwierigkeiten mit sich, die sich schon im Grundschul- oder Vorgrundschulalter äußern. Die meisten Parteien sind sich bewusst, dass bereits Kinder zwischen vier und sechs Jahren Nachhilfe in Luxemburgisch bekommen müssten, sollten sie die Sprache nicht genügend beherrschen. Dies würde die Einschulung und die damit einhergehende Kommunikation auf Lëtzebuergesch vereinfachen.

2005 kam die serbische Studentin Gabrijela Reljić nach Luxemburg, um hier ein Master-Studium in Psychologie zu absolvieren. 2013 wurde sie von den Amis de l’Université mit dem Preis für die beste Doktorarbeit ausgezeichnet; diese sei wissenschaftlich exzellent und innovativ.

Reljić ist Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Inside an der Universität Luxemburg. In ihrer Arbeit wollte sie herausfinden, welche Rolle die Muttersprache von Kindern mit Migrationshintergrund in der schulischen Laufbahn und bei der schulischen Leistung spielt und wie man diese Kinder pädagogisch besser integrieren kann. Pisa-Studien vermelden seit 2000 und bis heute, dass Kinder mit Migrationshintergrund erheblich schlechtere Resultate in Lesen und Mathematik erzielen als ihre Mitschüler. Die OECD teilt mit, dass in Luxemburg mehr als 30 Prozent der Kinder aus Immigrantenfamilien mit ihren Leistungen deutlich unter dem Durchschnitt lägen, sowohl beim Lesen als auch in Mathematik. Beide Disziplinen sind ausschlaggebend für den pädagogischen Erfolg und besonders bedeutend ist es, diese Mängel so früh wie möglich zu beheben, damit die betroffenen Kinder nicht während ihrer gesamten schulischen Laufbahn den Anschluss verlieren.

Gabriela Reljić widmete ihre Dissertation dem bilingualen Schulunterricht. In den USA spricht ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung als Muttersprache Spanisch statt Englisch. Weil Psycholinguisten herausgefunden haben, dass ein Unterricht sowohl in der Muttersprache als auch in der Zweitsprache das Lernvermögen deutlich fördert, wurden in den USA bilinguale Programme in Schulen eingeführt und erzielten beachtlichen Erfolg.

Reljić fand, dass ein bilingualer Unterricht auch für Europa von großem Nutzen sein könne. Das Beibehalten der Sprache, die ein Kind als erste erlernt, sei die Basis für eine gelingende schulische Laufbahn – so lauten die Ergebnisse aus den USA. Die Doktorandin entschied sich dafür, ihre wissenschaftliche Arbeit in drei verschiedene Teile zu gliedern. Im ersten Teil prüfte sie in Serbien und in Luxemburg während 18 Monaten das Lese- und Mathematikvermögen von Vier- bis Sechsjährigen. Alle Teilnehmer an dieser Studie kamen aus Immigrantenfamilien.

In Luxemburg machte Reljic mit den ausgewählten Kindern den so genannten Pips-Test, Performance Indicators in Primary School. Während luxemburgische Kinder die anderen Schüler in den Leistungen weit übertrafen und bei 79 Prozent richtigen Antworten lagen, kamen portugiesische Kinder nur auf 33 Prozent, Kinder anderer Nationalitäten immerhin auf 56 Prozent. Besonders bei der Aussprache und dem Wortschatz lagen Kinder mit Migrationshintergrund weit hinter Luxemburgern.

Doch gerade diese beiden Faktoren sind bestimmend für die gesamte schulische Laufbahn eines jeden Kindes. Eine Studie aus Großbritannien hat ergeben, dass ein Kind, das niedrige schulische Leistungen im Alter von vier Jahren aufweist, einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent auch mit elf Jahren noch schlechte Noten erhalten wird.

Im zweiten Teil ihrer Forschungsarbeit fand Reljić heraus, dass es eine starke Korrelation zwischen guten Lesekapzitäten und dem schulischen Erfolg insgesamt gibt. Kinder aus luxemburgischen Familien waren stark im Lesen und hatten deshalb auch weniger Probleme in Mathematik und anderen Fächern. Die „Lesebehinderungen“ der Kinder aus Immigrantenfamilien wirkten sich allerdings auf deren gesamte Lernkapazität aus. Reljić ist der Meinung, dass es ausschlaggebend ist, so früh wie möglich etwas gegen die Sprachbarriere zu tun, um schulischem Versagen vorzubeugen. Studien untermauern dies mit dem Befund, dass Kinder, die bereits im Vorschulalter Hilfe bei sprachlichen Schwierigkeiten bekommen, eine bessere schulische Karriere haben.

Am wichtigsten für die Arbeit von Gabriela Reljić war wohl eine europaweite Meta-Analyse über den quantitativ messbaren Erfolg bilingualer Sprachprogramme. Die Untersuchung stellte fest, dass Kinder aus Einwandererfamilien nach einer Eingliederung in ein bilinguales Schulprogramm um bis zu 20 Prozent besser abschnitten als die Kinder mit Migra-tionshintergrund, die ausschließlich in der Zweitsprache unterrichtet wurden. Dieser dritte Teil ihrer Forschungsarbeit belegte sowohl Reljics eigene Vermutung als auch die Befunde, die sich in den USA zu dieser Frage ergeben hatten.

Reljić geht davon aus, dass die Einführung eines bilingualen Unterrichts in Luxemburg die Möglichkeit, schulisch zu scheitern, für Kinder aus Einwandererfamilien erheblich senken würde. Langfristig würden weniger Kinder die Schule frühzeitig verlassen. Bessere schulische Leistungen von Kindern mit Migrationshintergrund würden sogar dem Staatshaushalt Ausgaben ersparen. Alles in allem könne man sagen, es gebe durch ein bilinguales Programm weniger Frustration wegen schulischem Misserfolg, weniger enttäuschende Rückschläge und weniger Vorurteile gegenüber angeblich „lernunfähigen“ Kindern.

Reljić berichtet, dass das Bildungsministerium an ihren Forschungsergebnissen interessiert sei. Als nächstes will die zielstrebige Wissenschaftlerin ein bilinguales Programm in Portugiesisch und Deutsch prüfen. Durch das Testen von Kindern mit portugiesischem Migrationshintergrund will sie den Erfolg dieses Modells messen. Beim gegenwärtigen Stand der Dinge im Bereich Bildungspolitik und angesichts der Wahlkampfdebatten über Bildung werden Forschungsarbeiten wie diese sicherlich dringend benötigt, um Luxemburg neue Impulse zu verleihen und innovative Programme zu initiieren.

Céline Dervaux
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