„Unsere gegenwärtige Lage erlaubt es uns“, denn „die öffentlichen Finanzen sind gesund“. So wies Premierminister Xavier Bettel (DP) am Dienstag in seiner Regierungserklärung vor dem Parlament Einwände zurück, das neue Koalitionsabkommen von DP, LSAP und Grünen sei zu gewagt, zu freigiebig, zu teuer (S. 27).
Doch die liberale Sparkoalition von 2013 hatte nach eigener Darstellung mit ihrem Zukunftspak, einer kopernikanischen Wende in der Haushaltspolitik und einer günstigen Wirtschaftskonjunktur „das Terrain vorbereitet“ (S. 27), um nun während der kommenden fünf Jahre das „Erfolgsmodell Luxemburg weiter stärken zu können“ (S. 26). Anders als 2013 kam das Thema Haushaltspolitik zum Schluss der Regierungserklärung, und LSAP-Fraktionssprecher Alex Bodry machte sich am Mittwoch auch keine Sorgen, wenn die Regierung statt eines laut Maastrichter Kriterien erlaubten Defizits „ab 2020 mit einem neuem mittelfristigen Haushaltsziel von +0,25, eventuell +0,50 Prozent rechnen“ müsse.
Vergangene Woche unterzeichneten die drei Parteien das Koalitionsabkommen, das Ressort um Ressort die Einzelmaßnahmen auflistet, die während der Legislaturperiode ergriffen werden sollen. Diese Woche versuchte der Premier in seiner Regierungserklärung, aus den Einzelmaßnahmen eine Geschichte zu stricken, ein kohärentes politisches Projekt der unverhofft doch noch zu einer Mehrheit und einer zweiten Legislaturperiode gekommenen Koalition.
Also erzählte Xavier Bettel von der internationalen Aufmerksamkeit, die das Erfolgsmodell Luxemburg in den vergangenen Tagen mit der Ankündigung auf sich gezogen habe, dass „Luxemburg das erste Land der Welt“ werde, wo in einem Jahr jeder kostenlos Bus, Straßenbahn und Eisenbahn fahren könne. Das kühne Versprechen soll nicht nur wahlweise die Haushalte entlasten oder die Umwelt schützen, sondern auch die Nation branden.
Luxemburg sei auch „eines der ersten Länder, das sich eine tiefgreifende Strategie im 5G gab“ (S. 12), der Handynorm, mit der Kühlschränke und Autos untereinander telefonieren können. Bei FinTech, die erlauben soll, über Handy ein Darlehen für den Kühlschrank aufzunehmen, und Blockchain zur Verschlüsselung der Buchführung werde Luxemburg „seinem Ruf als First Mover“ (S. 13) gerecht, versprach Xavier Bettel.
Im digitalen Bereich wolle man zu „einem Leader in der Welt gehören“ (S. 11), den „Rahmen schaffen für weitere Innovationen auf Weltspitzenniveau“ (S. 12). Als „Vorreiter im digitalen Bereich“ werde Luxemburg sogar „die sogenannten E-Sportarten in Zukunft anerkennen“, Videospiele als athletische Disziplin.
In drei Jahren schaue dann „der Rest der Welt auf Luxemburg“, wenn „Esch 2022 europäische Kulturhauptstadt“ werde (S. 21). Bei der Transparenz und Bürgerbeteiligung soll Luxemburg ebenfalls „ein internationaler Vorreiter werden und sich positiv von seinen Partnern in Europa abheben“ (S. 23). Denn das Regierungsprogramm zeuge von „einer Politik, die Luxemburg und seine Rolle in der Welt stärkt“ (S. 28). Selbstverständlich soll Luxemburg auch einer der ersten Staaten werden, der den Europatag am 9. Mai zum gesetzlichen Feiertag erklärt. Die Regierung scheint das Geschäftsmodell der Unternehmensberater zu ihrem Weltbild gemacht zu haben und politischen Erfolg nur noch am nationalen Ranking im globalen Wettbewerb zu messen.
Nicht nur Bus und Bahn werden kostenlos, „der Cannabis wird in dieser Legislaturperiode aber auch allgemein legalisiert“, um „den Markt aus der finsteren Ecke herauszuholen und damit die Leute zu schützen, die Cannabis konsumieren“ (S. 19). Überhaupt habe die Regierung „in den letzten Jahren viel daran gearbeitet, um aus den grauen und finsteren Ecken herauszukommen und als innovatives, weltoffenes und modernes Land angesehen zu werden“ (S. 11).
In den USA, in Großbritannien, in Italien und nunmehr in Frankreich scheitert gerade, was die amerikanische Philosophin Nancy Fraser einen fortschrittlichen Neoliberalismus nennt, die Verbindung einer Entfesselung der Marktkräfte und des Finanzkapitals mit einer ökologischen, multikulturellen, feministischen und minderheitenfreundlichen Politik, die eine massive Umverteilung von unten nach oben vergessen lassen soll. Da kommen DP, LSAP und Grüne und versprechen, in den kommenden fünf Jahren den untergehenden „fortschrittlichen Neoliberalismus“ hierzulande auf einen neuen Höhepunkt zu treiben, die lokale Koalition von anonymen, ausländischen Kapitalbesitzern über die Kompradorbourgeoisie von Steuerberatern und Geschäftsanwälten bis hin zu umweltbewussten Kleinbürgern.
Denn nach dem Scheitern des legislativen Ausländerwahlrechts und der ökonomischen Disziplinierung 2015 siegte der fortschrittliche Neoliberalismus bei den Wahlen über die CSV, die in einem unerwarteten Debakel endete, und über die ADR, die ihren großen Durchbruch verpasste. Im Gegensatz zu den Nachbarländern konnte er sich als Versprechen einer glücklichen Globalisierung behaupten, weil Luxemburg wie kaum ein anderer Staat von der Entfesselung der Finanzmärkte profitierte. Sogar in solchem Maß, dass das Trickle down ausreichend Mittel übriglässt, um Neoliberalismus für den Exportmarkt und rechten Keynesianismus für den Binnenmarkt nebeneinander zu organisieren: Auf der allerletzten Seite seiner Regierungserklärung erinnerte sich der liberale Premierminister noch schnell in einem Satz an die nicht so kosmopolitischen subalternen Klassen, für die „die Erhöhung des Mindestlohns und die Entlastungen bei der Kinderbetreuung, dem öffentlichen Transport“ vorgesehen seien.
LSAP-Sprecher Alex Bodry musste deshalb betonen, dass die Mindestlohnerhöhung seit der Unterzeichnung des Koalitionsabkommens „eine Politik der ganzen Regierung“ geworden sei, die den Working poor zugutekomme und sich auf „die ganze Lohnskala“ auswirke. Doch „innovativ, weltoffen und modern“ durfte die geschwächte Sozialdemokratie nicht mehr sein, Rifkin und Asteroidenbergbau waren in der Regierungserklärung keine Erwähnung mehr wert. Der OGBL machte nach der Sitzung seines Nationalvorstands am Dienstag keinen Hehl aus seiner Zufriedenheit mit dem Koalitionsprogramm.
Dafür äußerten sich die Sprecher der Unternehmerlobbys eher missmutig. Sie hatten sich 2013 etwas Anderes von einer liberalen Koalition erwartet und hätten nun eine CSV/DP-Regierung bevorzugt, weil sie das Trickle down für übertrieben halten. Dabei stellte der Premier in seiner Regierungserklärung sogar eine Umverteilung von der Grundrente zum Kapital in Aussicht, denn die hohen Wohnungspreise seien „ein Faktor, der mögliche Investitionen in Luxemburg bremst. Ein Betrieb muss seinen Mitarbeitern außergewöhnlich hohe Löhne zahlen, weil durch das Wohnen das Leben bei uns teuer ist“ (S. 6), was manchen Investor abschrecke.
Der Opposition ging es nicht besser. Die Rechte von CSV bis ADR hatte bei den Wahlen kein Kapital aus der Wachstumsdebatte ziehen können, aus der Warnung, dass die Grenzpendler die Luxemburger Kultur und Umwelt bedrohten. Weil die CSV in einer veränderten Gesellschaft nicht mehr die reaktionären Pfaffen abgeben will, sehnt sie sich danach, auch für das Versprechen einer glücklichen Globalisierung stehen zu können.
So schien die CSV am Mittwoch im Parlament entwaffnet: Mangels politischer Alternative mäkelte die neue CSV-Fraktionssprecherin Martine Hansen schwerfällig an der Form herum, nannte das Koalitionsprogramm neidisch ein „Schönwetterpaket“, das durch Wirtschaftswachstum gegenfinanziert werden müsse, und tischte konservative Volksweisheiten wie „den Apel fir den Duuscht“ als Finanzpolitik auf. Sie traute sich aber nicht, den kostenlosen öffentlichen Transport oder die kostenlose Betreuung in den Maisons relais abzulehnen.
Der haushaltspolitische Sprecher der CSV, Gilles Roth, verteidigte nicht einmal das Sakrament der Ehe, sondern nannte die geplante Abschaffung der Steuerklassen „verlockend und modern“ – wenn auch leider unrealistisch. Um dann einen Antrag einzubringen, damit die von einem CSV-Finanzminister erfundene Steuerklasse 1a entschärft werde. Als es hieß, dem fortschrittlichen Neoliberalismus einen konservativen und autoritären mit Sicherheit und Disziplin, Familienwerten und Religionsunterricht entgegenzusetzen, hatte Martine Hansen nicht einmal den Mut, die Legalisierung von Cannabis abzulehnen. Legales Kiffen sei „nicht unbedingt eine Priorität für die CSV“, meinte sie, warnte vor einer „Banalisierung“ der Droge und mahnte zur Vorsicht.