Es ist ein wenig wie bei gute Nachrichten, schlechte Nachrichten: Am vergangenen Wochenende erreichten Luxemburg die ersehnten Impfdosen des US-Pharmakonzerns Johnson & Johnson. Halb so viel wie erwartet und zugesagt, nämlich 2 400 Dosen statt der von Premier Xavier Bettel angekündigten 4 800.
Die Freude währte jedoch nicht lange. Der Impfstoff, der den Vorteil hat, dass er nur einmal verimpft werden muss, liegt erstmal auf Eis: In einer Kühltruhe wird er jetzt auf unabsehbare Zeit sicher verstaut. Der Grund: Bei der Verimpfung des Serums Janssen waren in den USA sechs verdächtige Trombosefälle aufgetreten, die die US-Gesundheitsbehörden FDA und CDC zu einem Stopp veranlasst haben. Jetzt soll geprüft werden, ob die ungewöhnlichen Blutgerinnsel in den Gehirnvenen durch den Impfstoff verursacht wurden. Johnson & Johnson kündigte daraufhin an, die Verschiffung nach Europa bis auf weiteres zu verschieben. Auch die Europäische Agentur Ema untersucht und prüft den Wirkstoff erneut.
Das EU-Land Dänemark verzichtet derweil dauerhaft auf den Einsatz des Corona-Impfstoffes von Astrazeneca. Die Impfkampagne werde ohne das Präparat des britisch-schwedischen Unternehmens fortgesetzt, gab der Direktor der dänischen Gesundheitsverwaltung, Søren Brostrøm, am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Kopenhagen bekannt.
Die Nachrichten über gefährliche Nebenwirkungen rund um die beiden Adenoviren enthaltenden Anti-Covid-19-Impfstoffe reißen nicht ab – und sie sind nicht gut für das Vertrauen in die Prävention von Covid-19 durch gezieltes Massenimpfen. Waren es zunächst bei Astrazeneca fehlende Datensätze zur Wirksamkeit bei der Altersgruppe der über 65-Jährigen, weshalb das Serum zunächst nur eine Teilzulassung erhielt, und später seltene Trombosefälle, ist es nun mit Janssen der nächste Corona-Impfstoff, der für Schlagzeilen und Verunsicherung sorgt.
Verunsicherung Dabei hält sich die Zahl der gemeldeten schweren Nebenwirkungen in Grenzen: Von Luxemburg wurden 1 072 Fälle mit unerwünschten Reaktionen nach Brüssel in die dortige Datenbank gemeldet, von denen aber nur 120 als so bedeutsam eingestuft wurden, dass sie zu vorübergehender Arbeitsunfähigkeit führten. Eine Krankmeldung kann aber, wohlgemerkt, schon bei grippeähnlichen Symptomen, wie Fieber und Schüttelfrost, erfolgen.
Kein Fall, so das Gesundheitsministerium auf Land-Nachfrage, sei so brisant und neuartig gewesen, dass die Nebenwirkungsliste auf dem Beipackzettel hätte ergänzt werden müssen. Drei Todesfälle sind in Luxemburg bisher gemeldet. Davon sollen, so gibt das Ministerium an, zwei aber nicht mit der Impfung in Verbindung stehen (Stand: 15. April). Der Fall der 74-jährigen Frau, die zwei Wochen nach dem Erhalt ihrer Astrazeneca-Dosis an einem Hirngerinnsel verstorben war, wird noch untersucht. Inzwischen sind neben den Gesundheits- die Justizbehörden eingeschaltet, eine Autopsie wurde am Dienstag durchgeführt. Die Resultate sind noch nicht bekannt.
Das Hin und Her um die Impfstoffe hat Folgen: In den Luxemburger Impfzentren wurden bis zum 12. April 66,6 Prozent Pfizer und 26,6 Prozent Astrazeneca geimpft. 7,1 Prozent der verimpften Dosen waren Moderna. In Leserbriefspalten großer Tageszeitungen berichten Menschen, die gebeten waren, sich impfen zu lassen, zum Zentrum geeilt zu sein, dann aber enttäuscht die Spritze abgelehnt haben, als sie erfuhren, dass sie mit Astrazeneca geimpft werden sollten. Das, obwohl Forscher wie Markus Ollert, Professor am Luxembourg Institute of Health, betonen: „Es ist einiges falsch gelaufen, obwohl der Impfstoff sicher ist, gut wirkt und sicher vor schweren Infektionen und Erkrankungen schützt, in einem ähnlichen Maße wie es andere Impfstoffe auch tun.“ Laut Ministerium liegt die Rate derer, die das Serum Astrazeneca ablehnen, bei etwa 1,4 Prozent. Arzneimittelfreiheit besteht beim Impfen weiterhin nicht, auch wenn es im November bei Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) noch so klang, als könnte jede/r Luxemburger/in seinen Impfstoff frei wählen. Aber das war vor den Lieferschwierigkeiten. Das sei „im Moment noch nicht vorgesehen, da noch nicht genug Impfstoff von jedem Produzenten verfügbar ist, der die freie Wahl rechtfertigen würde“, heißt es dazu von Seiten des Gesundheitsministeriums.
Inzwischen ist die fünfte Impfstation einsatzbereit: Diese Woche öffnete der Hangar der Luxembourg Air Rescue (LAR), eine private Luftrettungsgesellschaft das Zentrum auf Findel, in dem wöchentlich 50 000 Dosen verimpft werden können. Groß ist der Ansturm aber nicht – weil die Imfpstoffe fehlen. Ein sechstes Zentrum steht bereit auf der Lux-Expo eröffnet zu werden, alles ist fertig – aber auch da gilt: Ohne Ware keine Kundschaft.
Kritik wächst Derweil wächst die Kritik an der Impfstrategie der Regierung. Nicht nur, dass offenbar eine ganze Reihe an Personen, obwohl in einer Risikogruppe eingeordnet, bis heute keine Einladung bekommen haben. Der Präsident des Dachverbands der Heimträger (Copas), Marc Fischbach, hatte mehrfach beanstandet, dass verschiedene Pflegekräfte noch bis Mitte März keine Einladung zum Impfen erhalten hatten. Am Montag meldeten sich Patientevertriedung und Konsumentenschutz, nachdem sich Bürger/innen hilfesuchend an sie gewandt hatten: Obwohl ihr Hausarzt ihnen einen bestimmten Impfstoff empfohlen hatte, seien weder die Meinung des behandelnden Arztes noch das Attest bei der Impfung berücksichtigt worden: Der Mediziner vor Ort an der Impfstation allein entscheidet.
Es mehren sich Berichte in Leserbriefen, wonach Menschen zum Impftermin gegangen sind, in Erwartung einen bestimmten Impfstoff zu erhalten – und enttäuscht von dannen zogen. Dem Land wurde der Fall eines Menschen mit Trisomie 21 berichtet, der als Mitglied der Risikogruppe 2 per Brief ausdrücklich zugesagt bekam, mit den Impfstoffen von Biontech/Pfizer oder Moderna geimpft zu werden. Als seine Mutter mit ihm zum Impftermin erschien, wurde sie barsch darauf hingeweisen, den Impfstoff gebe es nicht, sie müsse mit dem Serum von Astrazeneca vorlieb nehmen. Schweren Herzens ließ sich die Mutter überreden – und hatte trotzdem kein gutes Gefühl dabei. Vorwürfe, die die Ärztevereinigung AMMD nicht so stehen lassen will, die sich „überrascht“ gab: Es genüge, dass der Patient oder der behandelnde Arzt im beigefügten Zettel Allergie ankreuze, dann werde vor Ort nach Alternativen geschaut, so AMMD-Generalsekretär Guillaume Steichen. Allerdings ist es nicht immer eine Allergie, die die Hausärzte befürchten: Sie können oder wollen auch aus anderen Gründen einen bestimmten Impfstoff nicht empfehlen.
Was der Streit zeigt: Die Ungeduld und das Unverständnis über die schleppende Impfstrategie nehmen zu. Xavier Bettel zeigte sich zu Beginn dieser Woche zuversichtlich, schon im April, Mai beim Impfen „den Turbo zünden“ zu können. Nur womit? Bei der Debatte zur Verlängerung des Covid-19-Gesetzes vor den Osterferien musste sich Bettel von der politischen Opposition vorwerfen lassen, sich nicht genügend dafür einzusetzen, dass sich der Lieferstau endlich löse. Die ADR fordert „weniger Pressekonferenzen“, der Premier solle sich besser verstärkt „für nationale Interessen“ einsetzen. Neu auf dem Markt zu verhandeln, birgt indes verschiedene Risiken: Das Verhandlungsgewicht eines kleinen Landes wie Luxemburg ist gering beim weltweiten Wettrennen auf Corona-Impfstoffe – und liefe auf deutlich teurere Preise hinaus. Außerdem, so die Einschätzung von Experten, ist es für Nachverhandlungen tendenziell zu spät: Produzenten-Länder wie die USA versorgen zunächst nur die eigene Bevölkerung und liefern sehr zögerlich ins Ausland.
Was also tun, wenn sich an der Impfstoffmenge in den kommenden Wochen nur allmählich etwas ändern wird? Daumen drehen und warten? Und sich weiter schützen: „Die Impfungen haben sicherlich einen positiven Impakt, dass die Infektionszahlen sinken werden. Aber wann genau, weiß niemand“, warnte der Epidemiologe Joël Mossong am Mittwoch im RTL-Podcast Wellebriecher. Rund 34 000 Menschen seien derzeit zweimal geimpft und damit sicher geschützt, etwa 60 000 sollen Antikörper tragen. Allerdings erklärte Mossong weiter: Aus Erfahrung sei bekannt, dass rund ein Viertel möglicherweise nicht über ein genügend hohen Antikörperspiegel verfügen, weil sie zum Beispiel nur leichte oder gar keine Symptome während ihrer Covid-19-Ansteckung hatten. Diese Menschen könnten sich neu mit dem gefährlichen Virus infizieren. Dasselbe gilt für ältere Menschen, weshalb Schutz weiter nötig sei.
Inzwischen geht die Sorge umher, dass sich zu wenige für eine Impfung interessieren könnten. Nachdem bei der ersten Phase unter den Ärzt/innen die Beteiligung mit 60,2 Prozent recht ordentlich war, und auch die Impfbereitschaft der Bewohner/innen der Alten- und Pflegeheime sowie insgesamt der Älteren mit rund 70 bis 75 Prozent groß war, ist unklar, wie sich die Beteiligung weiter entwickeln wird. Beim Gesundheits- und Pflegepersonal gehen die Behörden von einer Impfrate von rund 52 Prozent aus. Die Phase 5 der ab 55- bis 64-Jährigen hat gerade erst begonnen, bisher liegt die Impfrate dort bei 15 Prozent, allerdings hat längst nicht jede/r eine Einladung bekommen – und es waren Osterferien.
Zu ihrem Termin nicht erschienen sind nach Angaben des Gesundheitsministeriums bisher 32 783 Geladene. 88 134 Personen haben das Gratis-Angebot wahrgenommen, sich im Impfzentrum testen zu lassen. Wie wird es sein, wenn die gesamte Bevölkerung ihre Einladung erhält? Mittlerweile mehren sich Stimmen, die fordern, im Falle von nicht genutzten Impfterminen, die Dosis frei zu geben für Impfwillige, die zu keiner Risikogruppe zählen – Impfdrängeln mit Erlaubnis sozusagen. Laut Angaben der Gesundheitsbehörden sind die Restbestände, also die Impfdosen, die nach einem Impftag übrigbleiben, jedoch überschaubar: Die meisten würden noch vor Ort bei Dienstende dem Personal, das im jweiligen Impfzentrum arbeitet, angeboten, die zur prioritären Kategorie zählen. Danach kommen die dran, die nicht zu einer prioritären Gruppe zählen. Außerdem können Restdosen an Leute aus prioritären Kategorien angeboten werden, die nicht im Impfzentrum vor Ort sind. So kann der/die Leiter/in der Impfstation den Notruf 112 anrufen, um Rettungssanitätern die Restdosen anzubieten, da diese ebenfalls Vorrang haben. Und erst danach dürfen Personen angerufen werden, die in keine dieser Kategorien fallen, wobei diese keine familiären Beziehungen haben dürfen zum verantwortlichen Personal im Impfzentrum.
Das war nicht immer so präzise geregelt: Als das Impfzentrum in der Halle Victor Hugo in Luxemburg-Limpertsberg seine Türen öffnete und mit den Impfungen begann, blieben an einigen Tagen Dosen übrig, die dann an eilig herbeigerufene Mediziner in der Umgebung und an ihre Familienmitglieder verimpft wurden. Die aufgetauten Dosen hätten andersfalls weggeschmissen werden müssen, hieß es.
Ungemach droht möglicherweise aus einer anderen Richtung, je länger die Pandemie dauert und das Virus frei zirkulieren kann: Expert/innen warnen vor Supermutanten, gegen die die bisherigen Impfstoffe sich eines Tages als wirkungslos erweisen könnten. Bei der brasilianischen Variante P.1 erzielten die Biontech/Pfizer-Impfstoffe Tozinameran (Comirnaty®, BNT162b2) und AZD1222 eine ähnliche Wirkung wie bei der britischen Variante B.1.1.7, wie aus einer noch nicht von Fachleuten begutachteten Studie hervorgeht, die die Universität Oxford Mitte März auf dem Preprint-Server BioRxiv veröffentlicht hatte.
Durchwachsen sind die Resultate bei der südafrikanischen Variante: Der Impfstoff von Biontech/Pfizer wirkt gegen die südafrikanische Virusmutation etwa zwei Drittel weniger effektiv. Trotzdem sei der Impfstoff weiterhin in der Lage, das Virus zu neutralisieren, heißt es in der Laborstudie, die Mitte Februar im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde. Einer israelischen Preprint-Studie zufolge könnte die südafrikanische Variante indes den Impfstoff von Biontech/Pfizer unterbrechen,
Zuvor hatte eine Studie in Südafrika ergeben, dass Astrazeneca nur zu 20 Prozent vor der südafrikanischen Coronavirus-Variante schützt, weshalb geplante Impfungen mit dem Vakzin ausgesetzt wurden. In Deutschland und Luxemburg dominiert die britische Variante die Neuinfektionen, an zweiter Stelle folgt die südafrikanische. In Brasilien schrecken neuerdings Bilder vor allem junger Menschen auf, die zunehmend schwere Verläufe verzeichnen. Forscher/innen halten es für möglich, dass dies auf die brasilianische Mutante zurückzuführen ist. Ebenfalls eine Rolle spielen könnte, dass jüngere Menschen zu sorglos auftreten und sich nicht mehr schützen und gleichzeitig die älteren Menschen durch Impfungen zunehmend geschützt sind. Das Virus sucht sich dann einen anderen Wirt.
„Es gibt keinen anderen Weg als die Impfung“, betonte Epidemiologe Joël Mossong am Mittwoch. Man sei „klar nicht im Fall, dass Indizien sinken und wir wieder alles aufmachen können.“ Das Risiko bestehe, „dass sich das Virus in der jungen Bevölkerung stärker verbreitet und wir dann auch mehr hospitalisieren müssen“, warnte Mossong. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Schon jetzt ist das Durchschnittsalter der Patient/innen, die im Krankenhaus oder auf der Intensivstation liegen, niedriger als noch im Oktober oder November.