In sanft dahinfließendem Tonfall führt uns der Bildband Luxemburg – Eine Zeitreise von Joseph Colbach, mit großformatigen, farbigen Fotos von Rob Kieffer, zu verschiedenen historischen Orten in Luxemburg und erzählt jahrtausendealte Geschichten. Beginnend mit dem Neolithikum, der Jungsteinzeit, lesen wir von urzeitlichen Knochenfunden oder vom Loschbur-Mann, dem „ältesten Luxemburger“, dessen Skelett in Hockerlage, die Arme über den Knien zusammengefaltet, im Müllerthal bestattet wurde, und ca. 8 000 Jahre später vom „Herrn Lehrer“ Nic Thill entdeckt wurde. Das Skelett ist heute im Naturhistorischen Museum in Luxemburg-Stadt zu sehen. Der Band führt zum Deiwelselter in Diekirch, erzählt von der Wiederaufrichtung eines Menhirs in Reckingen bei Mersch, und beschreibt die Pfade, die durch das Müllerthal führen und an deren Ränder noch Spuren vergangener Zeiten sichtbar sind: Seien es die Orte, an denen Mühlräder aus dem Gestein geschlagen wurden, sei es die übergroße Darstellung einer Frau und eines Mannes ohne Gesicht in einer Felswand im Waldstück Härdchen, das auch Victor Hugo beschrieb (ohne es jedoch mit eigenen Augen gesehen zu haben). Der Band führt über die Reitergräber, die Römervilla bei Echternach, die im ehemaligen Trevierergebiet liegt, bis in die Hauptstadt, wo die alte Festung Lucilinburughs analysiert wird oder zum Crispinusfelsen, dessen Sagen erzählt werden. Sind die mit Nadeln gespickten Kerzen, die hier stehen, ein Zeichen für Voodoo-Zauber in Luxemburg?
Komplex und ausführlich, mit dem Anschein der Vollständigkeit, verweist der Band auf zahlreiche weitere Informationen: So zum Beispiel, dass der tatsächlich älteste gefundene Luxemburger eine Frau war, deren unvollständig verbrannte Knochen noch vor den Loschbur-Mann aus dem Müllerthal datiert wurde. Die farbigen Fotos des Autors, Journalisten und Fotografen Rob Kieffer illustrieren einerseits die Orte, Artefakte und kulturellen Reliquien der unterschiedlichen Epochen, und zeigen gleichzeitig, wie sich diese in die sie umgebende Landschaft einfügen ... oder auch bereits von ihr eingenommen werden. Im Wandel der Jahreszeiten, von Bäumen überwachsen, inmitten von Weiden, wo vielleicht einst Flüsse flossen oder Wälder standen, entwickeln diese Orte auf den Bildern einen zauberhaften Charme. Fachbegriffe und Epochen werden erklärt, fremdsprachige Texte und Inschriften übersetzt. Ein kluges Coffeetable-Buch, weil es so schön aufgeschlagen liegen bleibt; ein Buch mit fundierten, historischen und kulturwissenschaftlichen Recherchen, ohne je schwer zu sein, das auch praktische Hinweise, ein extensives Quellenverzeichnis, Beschreibungen für die Anreise und die genaue Situierung der verschiedenen Stätten liefert.
Bis in die Moderne führt uns die Zeitreise: das Buch bespricht den Einfluss der industriellen Revolution der Jahrhundertwende auf das Großherzogtum und erzählt vom Ersten Weltkrieg, für dessen Ausmaß die Gëlle Fra wohl das bekannteste Symbol in Luxemburg ist, das an die Gefallenen erinnert, die in den Reihen Frankreichs für Luxemburg gekämpft haben – und zu einem Emblem des Landes geworden ist. Die Statue wurde 1940, während des Zweiten Weltkrieges, zerstört, und erst ganze 45 Jahre später wieder restauriert. Kritisch wird hinterfragt, weswegen diese Wiederherstellung so lange dauerte, obwohl der Verbleib der zerbrochenen Statue genau bekannt war, was auch 2014 massiv kritisiert wurde, als europaweit an den 1. WK gedacht wurde, Luxemburg allerdings eine geplante Ausstellung absagte und kaum Aufarbeitung dieser Vergangenheit leistete: 1914 waren deutsche Truppen in Luxemburg einmarschiert, die 20-jährige Großherzogin Marie-Adelheid jedoch auf dem Thron geblieben. Die gesamte Regierung sowie der dazugehörige Verwaltungsapparat (Staat, Justiz, Gemeinden) blieben unangetastet, wurden gar übernommen. Offiziell wurde zwar gegen diese Invasion protestiert, doch nichts daran geändert. Es ist eine turbulente Zeit, die von der verheerenden Spanischen Grippe hinweggeweht wurde, die wohl noch mehr Todesopfer forderte als der Krieg. Frantz Theis, dessen fünf Kinder an der Grippe starben, fertigte einen schmiedeeisernen Bogen, der noch heute in Consdorf über dem Eingang des Friedhofs gemahnt: „Aujourd’hui nous – demain vous.“ Heute wir – morgen ihr.
Der Band erzählt und erzählt, dass man stets weiterblättert, von der Ardennen-Offensive und dem 2. WK bis zum Robert-Schuman-Haus, dem Schengen-Abkommen bis in die heutige Zeit. Bis man schließlich auf dem Kirchberg steht, die Tram und die modernen Bauten, wie zum Beispiel die Philharmonie betrachtet, die vielleicht in einigen Jahrhunderten oder weiteren Jahrtausenden, vielleicht von Bäumen überwachsen, vielleicht als Ruinen, in einem anderen, ebenso prächtigen Bildband zu sehen sein werden ...