Ich bin ein großer Fan von Bestimmungs- und Naturkunde-
büchern oder auch ihrer modernen Fortentwicklungen als Apps, die dir mit ein paar Klicks den Namen von Pflanzen oder Singvögeln verraten können. Aber man sieht nur, was man weiß. Man muss sie erst einmal entdecken. Im Kindergarten haben wir im Winter die Vögel in den Futterhäuschen beobachtet und benannt, in der Grundschule Blätter gesammelt, eingeklebt und mit Namen versehen. Auch heute horche ich bei Waldspaziergängen auf das Gezirpe, Gezwitscher und Getschilpe in Hecken und Gräsern und freue mich über neue Entdeckungen. Für jeden, der Freude an bebilderten und ausführlichen Nachschlagewerken zu den Wald- und Wiesenwundern hat, ist der Band E Bléck an eis Natur vun A-Z von Natur & Ëmwelt ein kleiner Traum.
Und auch ein dicker – 560 Seiten stark, passt der Band in keine Hosentasche, sondern ist zum Blättern und Nachschlagen zuhause gedacht. Er widmet sich vielfältigen Themen und Aspekten der Beobachtung der Natur und ist, wie das Buch selbst ankündigt, ein eigenes Ökosystem aus der Feder von 40 verschiedenen AutorInnen. Es besteht aus einem Lexikon mit 1 300 Stichwörtern, die die Flora und Fauna Luxemburgs betreffen. Dabei geht es aber nicht darum, alle Fakten zu liefern (dafür gibt es spezialisierte Nachschlagewerke), sondern um die Bezüge der Arten oder Einträge zu Luxemburg. Vom Ahorn zum Biber, vom Champignon zum Zitronenfalter, finden sich zwischendurch auch weiterführende Erklärungen, die Luxemburger Namen verschiedener Vogelarten, Redewendungen, alte Bauernregeln und zahlreiche andere Themen, die die Natur und Umwelt betreffen. Kranich oder Kahlschlag – sie hängen zusammen.
Das Buch ist aber nicht nur ein Lexikon, sondern bietet zwischendurch immer wieder längere Artikel zu partikulären Schwerpunkten: besondere Landschaften, Biotope und Lebensräume wie zum Beispiel Hecken, Aktionen von Natur & Ëmwelt, die Schwalbenrettungsaktion mit dem Flugzeug 1974 oder eine Fotoreportage zu bedrohten Tierarten. Bestimmte Orte werden vorgestellt, zum Beispiel der Altenhovener Bongert, wo jahrhundertealte Obstbäume stehen, mit über 80 verschiedenen Obstsorten. Apfelsorten wie Triumph aus Luxemburg, Boikenapfel oder der Weiße Trierische Weinapfel – andere konnten bisher noch nicht eindeutig bestimmt werden. Oder es geht um Feuchtgebiete wie die Baggerweiheren, mit all den hier anzutreffenden Tierarten: Storche, Rotmilane, Feldlerchen oder Neuntöter, die ihre übrig gebliebene Nahrung auf Dornen oder auch Stacheldraht aufspießen, um sie zu einem späteren Zeitpunkt zu fressen. Die mehrere Seiten umfassenden Artikel sind mit unzähligen farbigen Bildern oder Zeichnungen versehen, die Lexikonartikel mit tausend kleinen Vignetten, Bebilderungen der verschiedenen Pflanzenarten und Vegetationszonen sowie deren Besonderheiten.
Mit den Geschichten zu den verschiedenen Lebensräumen wird gleichzeitig die Geschichte der letzten 100 Jahre erzählt, aus denen Natur& Ëmwelt hervorgegangen ist. Die Begründer und die ersten Meilensteine werden vorgestellt. Am Anfang stand die Gründung des Vereins Société pour la protection des animaux et des sites in Esch-Alzette, dessen Hauptanliegen der Vogelschutz war. Bald erweitert sich die Vereinigung, benennt sich um, erwirbt ganze Reservate als Schutzräume, richtet u.a. ein Recherche- und Informationszentrum ein und verteidigt zunehmend Natur und Umweltschutz, den Erhalt der natürlichen Lebensräume. Im letzten Teil des Buches wird in 10-Jahres-Schritten die Geschichte der zusammengeschlossenen, gemeinnützigen Vereine beschrieben, die wichtigsten Projekte und historische Zeitzeugnisse wie Fotografien, Karikaturen oder Skizzen werden abgebildet.
Es ist auch die Geschichte der letzten 100 Jahre in Luxemburg. In einem Zeitalter, das sich Anthropozän nennt, weil selbst Natur und Geologie durch den Menschen mitgestaltet werden – wir heben Gruben aus, verschieben Erdmassen, fällen Wälder und leiten Flüsse um –, ist das Bewusstsein unseres Einflusses auf die Umwelt wichtiger denn je. Genau wie die Kenntnis des Bestandes an Tierarten und Pflanzen, Lebensräumen und Ökosystemen in unserer Umgebung. So widmet sich zum Beispiel das Kapitel „Rote Erde, grüne Oasen“ den Tagebau-Gebieten im Minett, im Süden Luxemburgs. Wie zeigen sich die Folgen des Tagebaus in der Landschaft und den neuen, heute dort angesiedelten Arten? Wie hat die menschliche Aktivität die Natur hier verändert, verdrängt oder aufleben lassen? Denn die Natur hat sich die Tagebauten, die Altlasten der Bergbauindustrie, auf ihre Art und Weise zurückerobert und das einst nackte Gestein in einen Wald verwandelt. Wie gestalten sich die Hänge, die Erdschichten heute? Welche Folgen können wir hieraus ziehen, wie die Natur um uns herum schützen oder beobachten? Denn genau darauf, auf das Lesen, Beobachten und Untersuchen der Landschaft um uns herum, machen die informativen Geschichten und Artikel in dem ausführlichen Band sehr große Lust.