Ein Klassiker ist bekanntlich ein Autor, den alle kennen, aber kaum jemand gelesen hat. Seine Bekanntheit dürfte sich Léopold Hoffmann (1915‒2008) durch eine Publikationstätigkeit gesichert haben, die sich über ein halbes Jahrhundert erstreckt und mit einem Prix Batty Weber ausgezeichnet wurde. Dazu zählen über ein Dutzend Buchveröffentlichungen ‒ viele davon bei den damals tonangebenden Éditions Phi ‒ und eine langjährige Literaturkolumne im Luxemburger Wort, deren Texte über die Landesgrenzen hinaus beachtet wurden.
Und damit ist hier nicht eine verstreute Leserschaft in Trier oder Saarbrücken gemeint. Nein, wie ein Brief vom Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld an den luxemburgischen Literaturkritiker nahelegt, waren sogar manche Granden der deutschen Nachkriegsliteratur an seinem Urteil interessiert. Auch ansonsten schien Hoffmann für einen Schriftsteller, der sich in erster Linie als Gymnasiallehrer verstand, erstaunlich gut vernetzt, war Pen-Mitglied und pflege Kontakte zu zahlreichen Kolleg/innen in Deutschland, darunter eine Korrespondenz mit dem späterem Büchner-Preisträger Hermann Lenz, dessen früher Förderer er war.
Mit einer gewissen Vorfreude konnte man also der Veröffentlichung dieser Ausgewählten Werke Hoffmanns durch das Merscher Literaturarchiv entgegenblicken, auch weil nur wenige seiner Bücher noch im Druck sind und dieses somit ein „zu Recht eingefordertes Desiderat einlöst“, wie es der Herausgeber Samuel Hamen in schönster Wissenschaftsprosa ausdrückt. Neben früher Kurzprosa und literaturkritischen Beiträgen versammelt der Band einen Querschnitt durch das literarische Hauptbetätigungsfeld Hoffmann – und hier dann macht sich dann auch schnell Ernüchterung breit.
Ein Klassiker ist bekanntlich ein Autor „nicht eines Zeitalters, sondern für alle Zeiten“, jemand, in dessen Werk sich auch die Nachwelt wiederfindet. Wie Hamen gleich zu Beginn seines Nachworts einräumt, tut man sich mit Léopold Hoffmann allein aufgrund seiner Gattungswahl schwer in dieser Hinsicht. In den Sechzigern und Siebzigern veröffentlichte der Autor bevorzugt Aphorismen, danach eine Lyrik, die das Aphoristische mit anderen Mitteln fortsetzt. Auch wenn der Aphorismus im 20. Jahrhundert so etwas wie die heimliche Königsgattung der Luxemburger Literatur war, ist er auf Twitter mittlerweile wohl besser aufgehoben als zwischen zwei Buchdeckeln.
Thematisch dominieren Zeitkritik und Kulturpessimismus bei Hoffmann: Der christliche Humanist blickt ‒ wenn er nicht gerade literaturkritische Nabelschau betreibt, was er sehr oft tut ‒ skeptisch auf eine Welt, in der der lebendige Geist unter seiner Bürokratisierung und Kommerzialisierung begraben zu werden droht, sofern die atomare Wettrüstung dem nicht durch einen Erstschlag zuvorkommt. Viel ist von der „Fehlkonstruktion Mensch“ die Rede, die an das „Mängelwesen“ von Hoffmanns Zeitgenossen Arnold Gehlen denken lässt. Gerade die späteren Texte zeugen aber eher von einem Unwillen, mit dem Wandel der Zeit Schritt zu halten, als von einer anthropologisch oder philosophisch fundierten Kulturkritik.
So sehr man sich erhofft hätte, in dieser Edition auf ein Plädoyer dafür zu stoßen, warum man den „Doyen“ der Luxemburger Nachkriegsliteratur heute wieder lesen sollte, so sehr scheint es verständlich, dass sich der Herausgeber für eine konsequent historisierende Herangehensweise entschieden hat. „Hoffmanns Aphorismen, Mikro-Geschichten und Gedichte bürgen heute noch für ihre damalige Zeitgenossenschaft,“ schreibt Samuel Hamen, was eine etwas elegantere Art zu sagen ist, dass sie von eher dokumentarischem Interesse sind.
Rein literatur- und kulturhistorisch interessierte Leser/innen bekommen natürlich auch einiges geboten. Zu den spannenderen Funden zählen etwa zwei Erzählungen, die im unmittelbaren Kontext der Ardennenoffensive entstanden, und ein Reisebericht von 1953 aus Kirchhorst, wo der Autor sich mit den Dorfbewohnern über Ernst Jünger unterhält, der dort während des Zweiten Weltkriegs lebte.
Daneben ist vor allem das Nachwort lesenswert, bietet es doch einen konzisen Überblick über den Werdegang eines seinerzeit unumgänglichen Schriftstellers und Literaturkritikers vor dem Hintergrund seiner Zeit. Man hat gut daran getan, diesen Kommentar als Nachwort zu platzieren, denn als Einleitung hätte er einen dazu verleiten können, das Nachfolgende nur noch querzulesen. Man kann jedenfalls festhalten: Die Hoffmann-Renaissance bleibt aus, das Aphorismus-Revival vermutlich ebenso, dafür ist die Literaturgeschichtsschreibung mal wieder einen kleinen Schritt weiter.