Große Namen in bescheidenem Rahmen: Im Foyer des Théâtre national du Luxembourg fanden sich am 28. März die Freunde der Wiener Klassik ein, um Pianist Jean Muller und Schauspieler André Jung in die Klavierwerke und die sehr persönlichen Briefe des Bonner Komponisten Ludwig van Beethoven unter dem Motto Von Herzen – Möge es wieder zu Herzen gehen zu begleiten.
Von der Klaviersonate Nr. 1 in f-Moll über die Mondscheinsonate bis hin zum brachialen Abschluss mit der Großen Sonate für das Hammerklavier liefert Muller ein Dutzend Auszüge und integrale Werke aus Beethovens Repertoire der Jahre 1795 bis 1818. Im dialogischen Schlagabtausch liest André Jung Abschnitte aus Briefen vor, die entweder den Hintergrund zu den anstehenden Takten liefern oder aber Anekdoten aus derselben Schaffenszeit enthalten. Insbesondere schälen Jung und Wagner dabei Beethovens absolute Kompromisslosigkeit, sein Vermarktungstalent, seine leidenschaftliche und doch talentfreie Hingabe am Kochtopf, ja seine konsequente Ablehnung gesellschaftlicher Konventionen heraus. „Genie und Wahnsinn“ reicht hier als klischeebeladenes Prädikat nicht wirklich aus. Nein, an diesem Abend präsentieren die beiden Künstler ein breites Spektrum an erhabenen Klängen, intimen Schriften und einer unerwartet satten Portion Kotzbrocken. In tiefem Respekt verneigen sich Muller und Jung am Ende vor der rechts auf der Bühne weilenden Gipsbüste des Tonsetzers, doch bis dahin begegnen beide ihm mit ironischen, liebevoll komischen Kommentaren zu einem wohl recht unbequemen Zeitgenossen: „Bei Beethoven-Konzerten standen die Leute dicht gedrängt auf engem Raum, es herrschte keine erhabene Aufmerksamkeit, sondern eher die Atmosphäre eines modernen Rockkonzertes: die laute Musik brachte die kleinen Säle zum Beben, das Publikum erlebte eine unmittelbare körperliche Erfahrung. Beethovens Musik wollte provozieren.“ Als er einen Brief als Antwort auf einen Streit mit seinem Bruder, der sich als Gutsbesitzer rühmte, mit dem Beinamen „Hirnbesitzer“ unterschreibt, bestätigt er seine querulante Persönlichkeit ein weiteres Mal.
Die Textauswahl von Marion Rothaar aus Beethovens nahezu 2 000 Briefen offenbart zahlreiche Beobachtungen und gedankliche Ausbrüche. Sein Wunsch, „nur einmal ein Stück so gut wie Mozart komponieren“ zu können, bleibt ein Gerücht. Seine angehende Taubheit jedoch kündigt er seinem langjährigen Freund Wegner an: „Nur hat der neidische Dämon, meine schlimme Gesundheit, mir einen schlechten Stein in’s Brett geworfen, nämlich: mein Gehör ist seit drei Jahren immer schwächer geworden.“ Auch seine berühmt-berüchtigten Tobsuchtsanfälle hatten zur Folge, so manche Haushaltsgehilfin in die Flucht zu schlagen.
Am 24. März 1827, da Beethoven die Sterbesakramente empfängt, soll der eigenbrötlerische Musikus auf eine letzte Lieferung Rheinwein, die er nicht mehr genießen kann, die Worte „Schade, schade, zu spät!“ über die Lippen gebracht haben.
Jean Mullers mimische Leidenschaft, der regelmäßig augenzwinkernde Unterton der beiden Künstler, ja das schriftliche und musikalische Vermächtnis Beethovens selbst sorgen für einen überaus unterhaltsamen Abend in Wort und Ton aus den (Un-)Tiefen dieser Künstlerseele – ein Auftritt also, der den Wiener Klassiker mit liebevoller Komik anstupst, ohne dass er vom Sockel fallen möge.