Im Schimmer eines zarten Lichts wimmert Jeannes Silhouette am Rande eines Friedhofs. Wie aus der Surrealität des Jenseits winkt die kleine Tochter Marion ihr mit Blumen in den Händen zu. Sie ist nicht tot, doch wird sie sterben. Und ihr schrullig divenhafter Geliebter, der Dramatiker Maurice, wird unter Mordverdacht stehen. Aus Karrieresucht und im Rausch einer gemeinsamen Nacht mit seiner Affäre Henriette wird er sich einmal wünschen, die Kleine solle sterben. Diese affektive Floskel wird belauscht und dem Kommissariat zugespielt.
Regisseur Frank Hoffmann inszeniert August Strindbergs Rausch am Théâtre naional in einer Koproduktion mit Recklinghausen, Hannover und Berlin. Und Hoffmanns Bühnenarbeit überzeugt auch und gerade im Detail. Mit nahezu impressionistisch anmutenden Klängen am Klavier begleitet René Nuss die Darsteller in die Eingangsszene. Dort wird die formale Marschrichtung deutlich. Die Banalität der Handlung wird in der Form komplex – sowohl auf der Ebene von Stimmungsbildern als auch auf im Bühnenbild. Christoph Rasche liefert eine Bühne aus kreuz- und kubusförmigen Modulen, sie sind beweglich und vervollständigen mit den zwei verschiebbaren Vorhängen ein Gesamtbild, das dem Publikum eine Wahrnehmung erlaubt, die Grundstein für Strindbergs Konzeption ist: Rausch ist eine aus fiktiven und autobiografischen Elementen zusammengestellte Erinnerungscollage aus dem Leben des schwedischen Dichters. Kunstkrise, glücklose Ehen und der Tod des eigenen Kindes werden durch Lichtverhältnisse, Geräuschkulisse und Bühnenvariationen als Erinnerung, als nüchterne Gegenwart und manchmal als traumhaftes Zwischenstück erzählt. Die Erzählung gleitet zwischen Friedhof, Crèmerie und Partyraum hin und her.
Die Regie darf, wohl auch aufgrund der breitgefächerten Koproduktion, mit einem Ensemble aufwarten, das dieses Kulissenspiel mit Leben füllt. Mag der Produktion auch so manches Mal der Spannungsbogen fehlen, die Darsteller brillieren und tragen den Abend: Robert Stadlober spielt den Dramatiker Maurice hochkomisch und cholerisch, verzweifelt und körperlich grotesk überspannt. Wolfram Koch als Pfarrer und Kommissar liefert eine herrliche Vorstellung ab. Souverän vermag er beide Rollen zu mimen, ohne völligen Kostümwechsel, ja, er thematisert den Wechsel beider Figuren sogar nach den Mitteln des epischen Theaters. Auch Jacqueline Macaulay wirkt in ihrer selbstherrlich hedonistischen Lebensauffassung und lasziv weiblichen Art sehr überzeugend. In weiteren Rollen spielen Kaly und Yuki Bara-Nuss, Sinja Dieks, Maik Solbach, Christiane Rausch, Roger Seimetz und – herrlich in ihren wahnerfüllten Gesangseinlagen – Maria Gräfe. Auffällig ist in diesem Sinne, dass gerade Koch und Stadlober mit ihrer Gestik zu großen darstellerischen Momenten beitragen. Und kaum ein Detail schleicht sich so sehr durch das Spektrum der Eindrücke hindurch wie dieser eine Moment nach Maurices polizeilicher Vorladung, in dem Wolfram Koch seine obere Wangenmuskulatur einmal kurz aufzucken lässt, bevor er auf dem Bühnenboden hinter die Kulissen gezogen wird. Es mag unglücklich sein, sich bei einem solchen Ensemble auf einen Darsteller zu versteifen, aber Wolfram Koch zählt nun einmal zweifelsohne zu den Größten seines Fachs.
Mit Rausch von August Strindberg ist Frank Hoffmann eine dramaturgisch akzeptable, im Sinne der formalen Gestaltung von Kulisse, Licht und Motivik, nicht zuletzt darstellerisch hervorragende Arbeit gelungen.