Dieses Jahr werden in Luxemburg „50 Jahre Erziehen als Beruf“ gefeiert und gewürdigt. Um die Schaffung und den Aufschwung der erzieherischen und sozialen Ausbildungen und Studiengänge einzuordnen, muss der gesellschaftliche Kontext bedacht werden. Welche Wechselwirkungen bestanden damals und und bestehen heutzutage zwischen Veränderungen im sozialen Zusammenleben und in den Mentalitäten; in der Entwicklung der erzieherischen und sozialen Aktions-
felder sowie dem Ausbau der sozialerzieherischen Ausbildungen und Studiengänge?
Es waren politische und soziale Veränderungen im In- und Ausland, die bei den gesellschaftlichen Akteuren und den politischen Entscheidern das Bewusstsein schufen: Wir brauchen in Luxemburg einen erzieherischen und sozialen Sektor, der differenziert ist, sich auf mehreren Pfeilern gründet und multiple Aktionsfelder entwickelt. Aus diesem Bekenntnis ergab sich vor rund 50 Jahren eine nächste Notwendigkeit: Wir brauchen dafür gut qualifizierte Männer und Frauen.
Vor 50 Jahren hatte wohl kaum einer damit gerechnet, dass die ab 1973 entstehenden Berufe eine so beeindruckende Entwicklung nehmen würden. Eine aus heutiger Sicht alles anders als selbstverständliche Entwicklung. Bis dahin gab es eigentlich keinen professionell organisierten erzieherischen und sozialen Sektor, der diese Bezeichnung verdient hätte. Es gab zwar Ansätze von außerschulischen sozial- und sonderpädagogischen Einrichtungen, doch sie vor allem karitativer Natur. Entsprechende Ausbildungen und Studiengänge gab es in Luxemburg nicht.
Was hat sich in der Folge in diesen Kontexten entwickelt? Mit der Liberalisierung der Mentalitäten bei gewissen Teilen der luxemburgischen Gesellschaft sollten auch behinderte Kinder – heute sagen wir Kinder mit Beeinträchtigungen – das Recht erhalten, die Schule zu besuchen. Aber weder die Regelschule (école primaire), noch die Sekundarschule waren bereit für eine solche Neuerung. Mit der Schaffung der éducation différenciée wurde es dann ab 1972/73 für die politisch Verantwortlichen notwendig, zwei neue Ausbildungen zu schaffen: den moniteur d’éducation différenciée und den éducateur. Die Entwicklung dieser Ausbildungen war anfangs embryonal. Sie verlief in den nachfolgenden Jahren und Jahrzehnten absolut nicht geradlinig. Die sukzessiven Regierungen waren sehr vorsichtig: Nur wenige junge Menschen wurden zugelassen und ausgebildet.
Die Rechtsgrundlagen für diese Ausbildungen waren äußerst bescheiden, nur ein paar Sätze im 1973 verabschiedeten Gesetz über das Sonderschulwesen. Das damalige Ausbildungsinstitut gab es zwar in der Praxis, rechtlich gesehen jedoch nicht; erst 1990 wurde endlich das IEES per Gesetz geschaffen. Nichtsdestotrotz, die Entwicklung der Arbeit in den damals geschaffenen Einrichtungen der éducation différenciée hatte positive Auswirkungen auf die Gestaltung der Ausbildungen. Sie erhielten laufend mehr Substanz.
Welche Veränderungen in den erzieherischen und sozialen Kontexten wurden in den Siebziger- und Achzigerjahren in unserer progressiv offeneren Gesellschaft sichtbar? Einerseits setzte der Staat zu einer großen Heimreform an: Mit Hilfe privater Organisationen wurden die bestehenden Einrichtungen für Kinder und Jugendliche, die sich in einem, politisch wie erzieherisch gesehen, inakzeptablen Zustand befanden, substanziell verändert. Andererseits absolvierten wesentlich mehr Frauen weiterführende Studien und arbeiteten zunehmend außerhäuslich. (Wofür verheiratete Frauen damals noch die Erlaubnis ihres Ehemanns benötigten.) In der Folge wurden die so genannten halbstationären Einrichtungen – Krippen für Kleinkinder, Horte und Tagesstätten für Kinder im Vorschul- und Grundschulalter sowie Jugendhäuser – quantitativ ausgebaut: Das war aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen unerlässlich geworden.
Die erzieherischen und sozialen Studiengänge und Ausbildungen waren in dieser Zeit einerseits reaktiv, sie passten sich den Veränderungen in den sozialerzieherischen Aktionsfeldern an und lieferten neue Ausbildungsinhalte. Andererseits versuchten sie fortschrittlich und proaktiv zu wirken: IFEM und IEES lieferten damals wesentliche Impulse für die existierenden, wie auch für die neu entstehenden erzieherischen und sozialen Aktionsfelder. Über die Jahrzehnte kam es immer wieder zu gegenseitigen Beeinflussungen: gesellschaftlicher Wandel, erzieherische und soziale Einrichtungen, die sich veränderten oder neu geschaffen wurden, sowie die einzige damals bestehende Ausbildungsstätte. Es lässt sich sicher nicht immer eindeutig klären, ob der gesellschaftliche Wandel, die Politik oder die Ausbildungsstätte die treibenden Motoren waren. Gewisse angestrebte Veränderungen erlangten allerdings nicht die erhoffte Geschwindigkeit in der konkreten Umsetzung, und manche politischen Entscheidungen verfehlten ihre Wirkung.
Ein weiteres Beispiel gegenseitiger Beeinflussungen bezieht sich auf die so genannten halbstationären Einrichtungen für Kinder und Jugendliche (Krippen, Horte, Tagesstätten, Jugendhäuser). Sie wuchsen nicht nur quantitativ enorm. An sie wurden auch laufend neue und höhere Ansprüche gestellt. Mitauslöser war sehr wahrscheinlich, dass immer mehr Kinder aus der so genannten Mittelschicht Nutznießer dieser Einrichtungen wurden. Dadurch wurde vor allem die Kinderbetreuung gesellschaftlich relevanter. Immer mehr setzte sich die Erkenntnis durch, dass die bloße Versorgung der Kinder in sozialerzieherischen Einrichtungen nicht genügte. Die frühkindliche Entwicklung wurde zu einem wesentlichen Thema im Mainstream der Gesellschaft: bei den Eltern, in den Institutionen und Einrichtungen und in der Ausbildungsstätte. Aus Versorgungseinrichtungen sollten richtige Bildungseinrichtungen werden. Dieser Bewusstseinswandel wurde auch von der Politik aufgenommen und in konkretes Handeln umgesetzt, zumal in den letzten 15 Jahren. Es handelt sich um eine wichtige qualitative Entwicklung, auch wenn in der alltäglichen Umsetzung heute sicher noch nicht alles perfekt ist.
Die sozialerzieherischen Studiengänge und Ausbildungen stehen heute, curricular gesehen, auf einer soliden Basis, die laufend angepasst wird. Das kommt der Qualitätsentwicklung in den sozialerzieherischen Aktionsfeldern zugute. Die Ausbildung ist im konstanten Scheinwerferlicht der Einrichtungen, der Institutionen wie auch der Politik. Sie ist gefordert, sich konstruktiv, aber auch offensiv mit den unterschiedlichen von
außen an sie gestellten Ansprüchen auseinanderzusetzen. Sie kann sich keinen Dornröschenschlaf erlauben. Die Ausbildungsgestalter erleben bis heute, dass jedes Teilaktionsfeld seine eigenen Forderungen an sie stellt. Da bleibt es nicht aus, dass manchmal von Defiziten oder Mängeln die Rede ist, oder behauptet wird, die Absolventen seien nicht ausreichend und nicht richtig auf den Einstieg in die Arbeitswelt vorbereitet.
Der Versuch, all diese Ansprüche, die mitunter widersprüchlich sind, zu summieren und zu befriedigen, ist curricular gesehen zum Scheitern verurteilt. LTPES, ENAD und die Universität haben vielmehr die Aufgabe, unterschiedliche Definitionsmodelle und Profile idealer Qualifikationen unter einen Hut zu bringen und die Studiengänge und Ausbildungen so zu konzipieren, dass junge Menschen gut für ihre zukünftigen Aufgaben und Funktionen vorbereitet werden. Es ist nicht ihre Aufgabe, sich auf eine reine Zulieferfunktion für momentane institutionelle Anforderungen zu beschränken.
Nötig sind heute und in der Zukunft ein konsistentes Zusammenspiel zwischen Erstausbildungen und leistungsfähigen Weiterbildungen für die Berufstätigen sowie die Definition übergreifender Sockel von Schlüssel- und transversalen beruflichen Kompetenzen. Das ist als Basis für eine effiziente erzieherische und soziale Arbeit in unserem Land unerlässlich. Die in diesem Beitrag beschriebenen komplexen Wechselwirkungen bleiben auch in der Zukunft spannend und werden weiterhin die Qualität der professionellen erzieherischen und sozialen Arbeit beeinflussen.