Im „ZDF-Mittagsmagazin“ werden zwei Dokumentarfilmer interviewt, die durch Deutschland gereist sind mit dem Ziel, die Stimmungs- und Gefühlslage der Bewohner_innen zu erheben. Sie betonen, dass es ihre Absicht gewesen sei, zu den Menschen zu gehen.
Da es sich weder um einen Tierfilm handelt, noch um Botanik oder Geologisches, ist das nicht besonders erstaunlich. Aber diese betonte Hinwendung zu den Menschen hat eine missionarische Note; nach Exotik klingt sie auch. Als wären die beiden Filmemacher auf der Suche nach Aliens oder einem sterbenden Stamm gewesen. Vor allem aber hatten sie es auf eine bestimmte Menschensorte abgesehen, nämlich, wie sie öfter sagen, die da draußen und die unten. Sie wollten, wie einer der beiden erklärt, herausfinden, „wie die Menschen unten denken und fühlen“.
Brauchen Reporter wirklich eine Deutschland-Safari, um mitzukriegen, wie ihre Landsleute drauf sind? Gab es nicht mal rasende Reporter_innen, die unterwegs waren, mal hier, mal da, neugierig, wach, am Puls der Gesellschaft, die Veränderungen, die in der Luft lagen, wahrnehmend? Klar gibt es in komplexen Gesellschaften mit einem breit gefächerten Bevölkerungsspektrum Schwerpunkte, denen Medienschaffende sich widmen.
Nicht jede_r kann alles, klar. Alles ist rätselhaft, Wissenschaftlerinnen und Künstler nähern sich dem Allervertrautesten mit dem fernsten Blick. Der Blick, den die Wortwahl vom Denken und Fühlen derer da unten voraussetzt, ist aber nicht poetischer Entrücktheit geschuldet. Eher gedankenloser Distanziertheit. Es ist der Blick der Arroganz, auch wenn die beiden jungen Dokumentarfilmer engagiert, interessiert, alles andere als überheblich wirken. Arroganz, von der ist ja im Moment so viel die Rede.
Denn wieder mal liegt der Fokus auf einer Spezies Mensch, die wieder mal für großes Erstaunen sorgt – zumindest bei jenen, die sich nicht gleich in ihr wiedererkennen. Wieder einmal geht das große Wundern durch die Medienlandschaft und die Politik, sie schicken ihre Übersetzer_innen los, die ihnen Mensch übersetzt. Diese Menschen sprechen nämlich so schlecht, so schlicht; oft ist ihre Sprache etwas grob, und was sie reden, entbehrt jeder Finesse. Banalitäten. Sitzt eine/r von ihnen oder sitzen gar zwei in einer Talkshow, ist es etwas ermüdend, zuzuhören, so langweiliges Zeug, Benzin und Mini-Renten, diese ungelenken Artikulierungen. Zwischen den silberhaarigen Philosophen und den Politologinnen wirken sie so grobschlächtig, oft fehlen ihnen Zähne.
Anscheinend handelt es sich um die Menschen da draußen. Sie sind sogar von draußen, nämlich vom Land, aber dieses Land scheint nichts zu tun zu haben mit Land aus französischen Filmen, in denen Frauen mit Strohhüten und gut gereifte Männer den Rotwein ihres Lieblingswinzers entkorken. Oder sie sind aus der Peripherie, jener Gegend ohne Flair, ohne Gesicht, einer urbanen Metastase. Wer hat schon Peripherie als Identität? Da kommen die her! Die meisten. Diese Metastasierung wird gerade fieberhaft untersucht.
Denn plötzlich sind sie auf der Straße, die kleinen Männer von der Straße und die kleinen Frauen, die mit den kleinen Renten. Die Menschen da draußen sind plötzlich draußen, sie sind plötzlich unübersehbar, in ihren Westen, die in die Augen stechen. Sie zeigen es allen, sie zeigen sich. Sie legen ein Armutszeugnis ab, die Scham ist vorbei, die Scham der Armut, die Armut spricht, und was sie sagt, ist beschämend.
Und plötzlich hat die Armut, ein Wort, das schon lang verbannt war aus dem Wortschatz der Länder, die nicht müde werden, sich reich zu nennen, eine Menge Fan_innen. Eine Menge Likes, Klicks, ein Künstler wirft den kleinen Leuten Kusshändchen zu, „je vous aime“, sagt er.
Werden die unattraktiven Menschen aus den unattraktiven Gegenden jetzt die Maskottchen der plötzlichen Armutsversteher_innen? Die, die immer das Falsche sagten, die Falschen wählten, nicht mal richtig schreiben können. Die nur schimpfen. Die immer die Falschen waren.
Sie waren so out, diese Menschen draußen.
Plötzlich sind sie in.