Türkei oder: die EU in der Bredouille

Zweifel am Frieden

d'Lëtzebuerger Land vom 26.02.2016

Noch bis kurz vor der Vereinbarung zwischen den USA und Russland zu einer Gefechtspause in Syrien, hat Ankara laut die Kriegstrommeln geschlagen. Nur wenige Stunden nach dem Bombenanschlag auf einen Militärkonvoi mitten in der Hauptstadt wussten die türkischen Behörden angeblich ganz genau, wer dafür verantwortlich war: die Partei der Demokratischen Union (PYD), also syrische Kurden. Die PYD ist eine der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nahestehende Organisation, die seit 1984 gegen den türkischen Staat kämpft. Es hörte sich an, als ob Ankara einen Grund suche, um die PYD anzugreifen.

„Der Attentäter heißt Salih Neccer“, erklärte der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz. Er sei ein Kämpfer der Volksverteidigungseinheiten (YPG), die als der militärische Arm der PYD gelten, und sei während des Kampfes um Kobane in Nordsyrien über die Grenze gekommen. Die türkischen Sicherheitskräfte hätten seinen Ausweis am Tatort gefunden.

Auch der im Hintergrund die türkische Politik bestimmende Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan meldete sich zur Wort. „Für uns ist es außer Zweifel, dass dahinter die YPG steckt“, sagte er und schwor Rache. Regierungsnahe Medien forderten harte Maßnahmen gegen die Hintermänner, also aus ihrer Sicht gegen die PYD. PYD-Chef Salih Müslim wies jegliche Verantwortung für das Attentat allerdings zurück und beschuldigte seinerseits die türkischen Geheimdienste.

Die türkische Regierung sucht internationale Rückendeckung. Ohne diese kann die türkische Armee den Weg zu den von Ankara unterstützten und nun umzingelten islamistischen Einheiten nicht wieder freikämpfen. Daher wurden die Botschafter der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, sowie der deutsche und niederländische Botschafter, einen Tag nach dem Attentat ins türkische Außenministerium einberufen. Sie sollten von einer PYD-Verwicklung überzeugt werden.

Doch ein Diplomat sagte hinterher dem US-amerikanischen Wall Street Journal, dass ihnen keine Beweise vorgelegt wurden, die einen Zusammenhang mit der PYD nachweisen. Offiziell zeigte sich vor allem Washington unbeeindruckt von türkischen Behauptungen. Erst ein Sicherheitsberater des US-Präsidenten, dann das State Department, unterstrichen, dass die YPG eine befreundete Gruppe sei, die erfolgreich gegen den IS kämpfe.

Dass sich die türkischen Behörden irrten, bewiesen einige Tage später die eigenen Gerichtsmediziner. Durch DNA-Proben stellten sie fest, dass es sich beim Selbstmordattentäter um einen anderen Mann, Abdulbaki Sömer, handelte. Seitdem ist es bekannt, dass das Attentat von den Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) ausgeübt wurde – eine Splittergruppe, die die PKK nicht radikal genug findet.

Die Nachricht der Feuerpause kam genau zu diesem Zeitpunkt, wie Davutoglus Reaktionen zeigen: In einem Interview mit Al Jazeera betonte der Ministerpräsident, keineswegs optimistisch zu sein, weil das syrische Regime, Russland und der Iran weiterhin Menschen umbrächten. Dann fügte er hinzu: „Wie konnte sich das syrische Volk bis heute verteidigen? Weil wir sie unterstützt haben. Wenn in Syrien heute eine gemäßigte Opposition existiert, ist das der türkischen Unterstützung zu verdanken. Wir werden sie weiterhin unterstützen.“

Umso wichtiger wäre es, dass sie bei ihrer Politik keine Rückendeckung bekommt. Doch die Europäer wackeln. Sie sind wegen der Flüchtlingskrise gezwungen, mit der Türkei zu kooperieren. Vor allem Großbritannien zeigt allmählich Flagge. Am Dienstag erklärte London, es sähe Anzeichen einer Kooperation von Russland, Damaskus und der PYD, und stärkte somit Ankara den Rücken. Keine gute Nachricht für diejenigen, die sich um einen Frieden und einer politischen Lösung in Syrien bemühen. Denn jegliche Unterstützung für die kämpfenden Parteien wird den Erfolg der schwer erreichten Feuerpause ernsthaft behindern.

Cem Sey
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