Vielleicht gibt es ja doch eine kleine Steuerreform. In den Haushaltsdebatten wirkte die Regierungskoalition geeint wie lange nicht

Hoffnung auf „Sputt“

d'Lëtzebuerger Land vom 16.12.2022

„Hören Sie auf, theatralisch zu sein!“, ruft Dan Kersch von der LSAP dem Piraten-Abgeordneten Sven Clement zu. Es ist Mittwochnachmittag, die Abgeordnetenkammer debattiert über den Staatshaushalt für nächstes Jahr, und Clement hat getan, was nicht gut in den mit Stuck und künstlichen Lichtern verzierten Plenarsaal passt: Er hat seine Stimme derart gehoben, dass nicht mehr viel zum Brüllen fehlt.

Dabei wollte er vermutlich nur zeigen, dass er den Haushaltsentwurf besonders aufmerksam gelesen hat. Aufgefallen ist ihm zum Beispiel, dass darin „keine Spur“ davon zu finden ist, wieviel die Staatskasse für Solarstromanlagen von Hausbesitzer/innen ausgeben soll, die sich die Investition nicht leisten können. DP-Premier Xavier Bettel hatte die Kostenübernahme im Oktober in der Erklärung zur Lage der Nation versprochen. Doch Opposition mit Detailarbeit zu machen, reicht dem im Politmonitor vom November erneut auf Platz fünf der beliebtesten Poltiker/innen Gewählten Sven Clement offenbar nicht mehr, und er erkundet neue Rollen. Kann ja sein, es schaut per Streaming oder Chamber TV jemand zu an diesem Mittwoch.

Bald ist Wahlkampf Und immerhin sind die Haushaltsdebatten das letzte große Kammertreffen zu den öffentlichen Finanzen und zu politischen Strategien vor den Wahlen. Eine Woche ist es her, dass die Sonndesfro der CSV mal wieder den Verbleib in der Opposition prophezeit hat, diesmal obendrein den Verlust eines Restsitzes. Der Regierungskoalition hingegen stellte die Umfrage zwei Sitze mehr in Aussicht. Dafür würde ein wachsender Zuspruch für die LSAP sorgen. Falls jemand zuschaut, könnten die Auseinandersetzungen mit dem Budget 2023 auch Richtung Wahlkampf choreografiert sein.

Aufseiten der Opposition ist das vor allem bei der ADR so. Gruppenchef Fernand Kartheiser gibt sich nur kurz mit dem Haushalt ab. Er will „die Verschuldung stoppen“, den Tanktourismus „absichern“, für einen Mindestlohn sorgen, der ein „dezentes Leben“ gestattet – was das ist, sagt er nicht. Ehe er auf den Krieg in der Ukraine zu sprechen kommt, dessen „Verlängerung wir uns einfach nicht mehr leisten“ könnten. Es folgt eine Tirade, damit die Leute „konservativ wählen“. Die ausgebliebene große Steuerreform, die die Individualbesteuerung einführen sollte, hätte die ADR sowieso nicht befürwortet, denn das käme der „steuerlichen Abschaffung der Familie“ gleich. Gelange die ADR an die Regierung, würde sie die Verfassung, deren Revision kurz vor der zweiten Lesung steht, revidieren lassen und darin ein „Recht auf Leben“ verankern. Erwartungsgemäß hetzt Kartheiser gegen die Grünen und kommt bei der Luxemburger Identität an, die durch das „unkontrollierte Wachstum“ bedroht sei, aber anscheinend auch durch die Nato: Die ADR sei gegen das geplante belgisch-luxemburgische Aufklärungsbataillon, weil es zur Folge hätte, dass nicht mehr nur in Luxemburg darüber entschieden würde, wo „unsere Soldaten“ zum Einsatz kommen. Sie seien „kein Kanonenfutter für die strategischen Interessen Anderer“. Wen er mit den „Anderen“ meint, hütet der frühere Offizier sich, zu erläutern. Auch, weshalb er trotzdem findet, „die Armee ausbauen, das müssen wir“.

Was kommt noch? Die anderen Redner halten sich ans Thema öffentliche Finanzen. Es mit eigenen politischen Strategien zu reflektieren, ist nicht so einfach, weil niemand wissen kann, was noch kommt. Die Worte „Polykrise“ und „Multikrise“ fallen. Das Statec hat vergangene Woche die Wachstumserwartungen für dieses und für nächstes Jahr auf 1,7 beziehunsgweise 1,5 Prozent nach unten korrigiert. Das Haushaltsdefizit für nächstes Jahr schätzt es nun mit 2,8 BIP-Prozent nah an der Drei-Prozent-Grenze, so dass Unruhe aufkommen müsste, wenn die Einhaltung der Maastricht-Kriterien nicht bis Ende 2023 wegen der Energiekrise suspendiert wäre. DP-Finanzministerin Yuriko Backes erläutert, wieso sie angesichts dieser Szenarien den Budgetentwurf nicht hat anpassen lassen. Natürlich wäre dafür die Zeit knapp geworden. Aber sowieso wird der Stand des laufenden Haushalts jedes Jahr im April für das Stabilitäts- und Wachstumsprogramm überprüft. Dann wird man sehen.

Hinzu kommt: Die „Makroökonomie“ als Unbekannte lässt der Ministerin, der Regierungskoalition und der DP politischen Spielraum, um Forderungen nach Steuerreformen mit Verweis auf die Krise vorläufig abzuwehren, sie aber im Raum stehen zu lassen, wie es Backes schon im Oktober beim Depot des Budgets angedeutet hatte. Falls im April dafür „Sputt“ besteht, werde sie „sozial gestaffelte Erleichterungen bis in die Mittelschicht hinein“ vorschlagen, verspricht sie jetzt. Soll heißen, je nachdem wie dann die Konjunktur aussieht, das Haushaltsjahr 2022 abgeschlossen wurde und die Einnahmen und die Ausgaben im ersten Quartal des neuen Jahres sich entwickeln. Und dann ist da noch die Indextranche, die laut Statec schon im ersten Quartel fällig werden könnte. Die Regierung hat die vollständige Kompensation der Tranche aus Steuermitteln versprochen, die Finanzministerin das aber noch nicht im Haushaltsentwurf berücksicht: Der Staat sei schließlich „kein Unternehmen, das Rückstellungen in sein Budget schreibt“.

Ganz gleich wie die Rechnung im April ausfällt: Ein halbes Jahr vor den nächsten Kammerwahlen ein Geschenk machen zu können, es aber nicht zu müssen, und die Deutungshoheit zu besitzen über das, was geht und was nicht, ist keine üble Position. Die DP dürfte sie zum eigenen Vorteil zu nutzen verstehen. Prophylaktisch, für den Fall, es gibt keinen Spielraum, haben die Finanzministerin und DP-Haushaltsberichterstatter Max Hahn zu erzählen begonnen, was für ein „Budget des sozialen Zusammenhalts“ der Haushaltsentwurf sei. Dass wegen Corona und nun der Energiekrise insgesamt 5,5 Milliarden mobilisiert wurden und die Kaufkraft bereits durch Energiepreisdeckel, Heizölzuschuss, Energieprämie, Teuerungszulage und Gratisleistungen vom öffentlichen Transport bis zum Musikunterricht gestärkt werde. Außerdem nimmt zum 1. Januar der Steuerkredit für Alleinerziehende zu.

Eintracht Die Aussicht auf in vier Monaten vielleicht mögliche Steuererleichterungen dürfte ein Grund sein, weshalb zwischen DP, LSAP und Grünen Eintracht herrscht bei den Haushaltsdebatten. Keine so traute Eintracht, wie Max Hahn sie am Dienstag beschworen hat, als er in seinem Budgetbericht die Kammer, das Land und die halbe Welt dazu umarmen zu wollen schien und so tat, als sei es geradezu zwangsläufig, „gestärkt“ aus der Krise hervorzugehen. Ihre eigenen Ideen zu den Steuern haben die Koalitionspartner ja. Die LSAP würde „fast 90 Prozent der Arbeitnehmer zum Teil solide Steuersenkungen“ gewähren, sagt ihr Fraktionspräsident Yves Cruchten. Sie würde in der Steuertabelle die Progression für untere Einkommensklassen dämpfen, Einkommen ab monatlich 12 000 Euro stärker besteuern. Die Grünen würden vielleicht ähnlich vorgehen, jedenfalls „strukturell umverteilen“, wie ihre Fraktionspräsidentin Josée Lorsché sagt. Darüberhinaus würden sie, wie das in Deutschland die fünf „Wirtschaftsweisen“ empfohlen haben, „zeitweilig“ den Spitzensteuersatz anheben und eine Energie-Solidaritätssteuer auf besonders hohe Einkommen einführen.

Doch diese Positionen sind nicht neu, und politisch gäbe es nichts zu gewinnen, wenn man die Unterschiede darin, vor allem gegenüber der DP, noch einmal hochspielen würde. Wenn die jüngsten Umfragen die Dreierkoalition im Aufwind sehen, die CSV dagegen weiter im Jammertal, besteht kein Grund, ihre Nähe zu suchen. Da ist es viel klüger, den vorläufigen Kassensturz im April abzuwarten und sich bis dahin darauf zu verlassen, dass in Krisen die Zeit der Exekutive sind und Blau-Rot-Grün vielleicht noch mehr Zuspruch findet. Als Gilles Roth, der Ko-Fraktionschef und haushaltspolitische Sprecher der CSV-Fraktion, der Koalition bescheinigt, sie sei sich „uneins über die Staatsverschuldung“, ist das eine Feststellung, die nicht mehr zündet. „Die CSV ist verpflichtet ...“

Für Roth ist es nicht einfach, den Haushaltsentwurf und die politischen Prämissen dahinter einer Kritik zu unterziehen, die gründlich ist, aufhorchen lässt und nicht zu viele der Widersprüche zutage führt, die in der Volkspartei bestehen. Eigentlich würde Roth gerne mitregieren. Das wird deutlich, als er kurz nach Beginn seiner Rede mit einiger Leidenschaft proklamiert, „die CSV ist verpflichtet, Lösungsansätze vorzuschlagen“, die zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen. Dann stockt er kurz, als sei er sich nicht so sicher, dass es auf die CSV wirklich ankommt.

Um daran zu erinnern, dass die Regierung im Koalitionsabkommen vereinbart hat, die Staatsverschuldung bis zum Ende der Legislaturperiode nicht über 30 BIP-Prozent hinaus wachsen zu lassen, kommt es auf die CSV vermutlich nicht an. Das besorgen schon die DP, ihr Premier und ihre Finanzministerin. Um für mehr Steuergerechtigkeit einzutreten, schon eher. Roth wiederholt die CSV-Vorschläge: Die Steuertabelle an die Inflation anpassen; den Eingangssteuersatz in der Klasse 1 auf 15 000 Euro erhöhen und auf 30 000 Euro in der Klasse 1a sowie den Spitzensteuersatz für Einkommen ab 200 000 Euro von 42 auf 45 Prozent.

Das Kapital Doch Gilles Roth ist in einer anderen Lage als Nathalie Oberweis von der Linken. Sie kann sagen, „würden wir Kapital ordentlich besteuern, hätten wir Einnahmen und könnten den Leuten etwas geben“. Sie kann vorrechnen, dass die sechs größten Unternehmen hierzulande „nach zwei Jahren Covid-Pandemie 500 Millionen Euro an Dividenden ausgezahlt“ hätten, so dass zumindest für sie die Index-Kompensation „nicht so alternativlos“ gewesen sei.

Ein CSV-Sprecher hingegen kann nicht einfach eine höhere Kapitalbesteuerung verlangen. Zwar spricht Gilles Roth nicht über die Wirtschaft - das wird gegen Ende der Sitzung Laurent Mosar tun. Während für Roth die Mittelschicht die „Milchkuh der Nation“ ist, findet Mosar, dass diese Rolle der Finanzplatz spielt, der 31 Prozent des BIP liefert. Er gibt dem finanzpolitischen Sprecher der DP-Fraktion, André Bauler, ganz recht, der das auch so gesehen und in einen poetischen Erguss gekleidet hat, mit dem er die Kammer spätnachmittags zu erbauen wusste: „Mëllechkéi brauchen säfteg Wisen am Summer und lëfteg gedréchent Hee am Wanter. A wann ee se well heemelen, dann ass en zaarte Grëff net vu Muttwëll.“

Das ist der Rahmen, in dem die Volkspartei CSV für mehr Steuergerechtigkeit argumentiert und aus den Widersprüchen zwischen ihrem Wirtschaftsflügel und ihrem sozialen Flügel etwas Produktives machen muss. So dass Gilles Roth, ihr Finanzexperte, allerhand Verrenkungen zu unternehmen gezwungen ist, um einerseits auf eine niedrige Staatsschuld zu pochen, andererseits zu behaupten, für Steuererleichterungen sei „Sputt“ da. Übrig bleibt am Ende sein Vorwurf, die Regierung habe vor Ausbruch der Corona-Pandemie „keen Apel fir den Duuscht“ angelegt und Pierre Gramegna nie seine 2014 versprochene „kopernikanische Wende in der Haushaltspolitik“ geliefert.

Dan Kersch fragt zurück, ob Roth wirklich meine, die 5,5 Milliarden Euro Ausgaben wegen Corona und der Energiekrise seien kein Apel fir den Duuscht gewesen, und wo er den Sputt denn nun erkennt. Kersch rechnet vor, wie „Sternjahre der CSV-Finanzpolitik“ beschaffen waren: Unter Blau-Rot-Grün sei 2018 der Haushaltsabschluss um 7,6 Prozent vom Budget abgewichen, 2019 um 2,7 Prozent. In den beiden Corona-Jahren 2020 und 2021 mit den vielen Ausgaben und Unwägbarkeiten seien es 12,2 und 10,9 Prozent gewesen. Dagegen 14 Prozent im Jahr 2010 sowie 21 Prozent im Jahr 2007, als die Differenz fast 1,7 Milliarden Euro betragen habe. Die Dreierkoalition stehe demnach für Präzision.

Und in den Haushaltsdebatten hinterließ sie den Eindruck, nach den Wahlen weitermachen zu wollen.

Peter Feist
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