Die kleine Zeitzeugin

Großes Kino

d'Lëtzebuerger Land du 12.05.2017

Er geht allein wie ein Großer den langen Weg und steht vor der Pyramide und strahlt und strahlt aus und hält eine Rede, dass Skeptiker_innen den Mund halten, wenigstens einen Moment. Weil alles gut und groß und richtig ist, was er sagt, und er das Feuer in den Augen hat und etwas Wahrhaftiges ausstrahlt. Vielleicht war alles falsch, was über ihn gesagt wurde, was alle die sagten, die nicht zu den betörten Jünger_innen gehörten, die meist jünger waren und sich noch etwas vorstellen konnten.

Vielleicht war all das falsch, das mit der tönenden Leere, mit Mr. X, mit Sunnyboy, der in Wirklichkeit ein Agent des Dunkels ist. Das mit den Worten, die allen passen und zu allem passen und deshalb nichtssagend sind, das mit Face und Fassade und dem Nichts dahinter. Dass er die perfekt verpackte Verkörperung des Kapitalismus ist, ein Kapitalismus-Ken. Die Barbie-Brigitte, die als zeitgemäße Barbie zugleich Coach, Trainerin, Kumpel, Geliebte, Großmutter, die totale Frau ist, nie weit weg. Sie spricht Latein und zugleich die Menschen an, das geht nicht mit rechten Dingen zu!

Vielleicht war all das nur der Geist, der stets verneint. Altes Denken, das Denken derer, die nichts Undenkbares mehr denken können. Derer, die die Welt aufteilen in Rechts, Links, Oben, Unten, in Klassen, die beschränkt, behindert denken. Als käme Mensch so je weiter.

Weder dies noch das, aber alles, ist er vielleicht der wahre Revolutionär? Der, der alle Denkmuster durcheinander wirbelt, die alten natürlich, die Kategorien aushebelt, dass la Gauche und la Droite sich alt vorkommen, alt sind? Alt klingt so alt, wer will da mit dabei sein, alt und abgehängt.

Er ist so neu und so jung, haben seine Fans, die auch meist jung sind und neu, mit leuchtenden Augen gesagt. Er ist ein Erleuchteter, sagt Houellebecq. Ein Alien gar? Ein guter Alien sicher, einer, der die Entwicklung des ausgelaugten Menschengeschlechts vorwärts treibt, kein böser Kapitalismusklon.

Vielleicht geht es eben nicht ohne Glaube und Hoffnung. Liebe muss auch dabei sein, auf jeden Fall, ohne Liebe geht gar nichts. Er liebt die Menschen, sagt ein alter Mann, der ihn als Jüngling kannte. Alle aus seinem Umfeld erinnern sich plötzlich an einen Jüngling, dem Verführung und Führung schon in die Wiege gelegt waren. Von einer guten Fee ist die Rede und von einem guten Stern.

Also Märchenstunde gerade vor der Pyramide. Napoléon kommt, Le Petit Prince kommt, La Reine kommt, so sexy plus, so wow, kein faux pas auf den highest heels. Die Ode an die Freude kommt.

Die Familie tritt in Erscheinung, durchmischt mit Groupies. Der Mann mit der Kappe, ist er etwa der geheimnisvolle Mann von der Straße, so berühmt wie der unbekannte Soldat? Die Patchwork-Family-Show, nie ohne meine Familie. Patchwork wie in den besten Familien. Die First Children, First Enkelkinder, First Tochter, die, wie alle wissen, Typhaine heißt, sicher wird es bald jede Menge Typhaines geben im Parc de Luxembourg. Brigitte strahlt in echt, alles ist echt, das berührende kleine Küsschen auf die Hand. In den neuen Dynastien übernehmen die Familienbanden die Bühne. Der Familienfilm ist der Klassiker, immer noch der beste. Es geht nichts über Kinderlachen.

Wie viele Filme werden im Moment mit dem Superstar gedreht? Homelovestory in Serie. Gerade eine Horrorheldenstory, die alle in Atem hielt. Ödipus im Kampf gegen die Vatermörderin. Der Edle gegen den Schurkenclan. Ken Kennedy, der Europa und die Welt in ein neues Zeitalter führt. Ein Erlöser, jubeln die Märkte.

Die, die schon länger da sind, erinnern sich an einen schwarzen Präsidenten, der vor Lichtjahren vor ihren Augen verblasste, ergraute.

Mitten in den Rausch, mitten in die schillernde Blase, die hoch über dem Eiffelturm schwebt, über den Straßen, in denen es schon gärt, es wird an eine Leihgabe erinnert, aus dem Off die graue Stimme aus Brüssel, die Rüge aus Deutschland. Von der Frau, von der man keine großen Reden kennt, keine großen Gesten, nur eine kleine Raute.

Michèle Thoma
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