Der erste Teil der Casting- Show ist beendet, wir müssen uns von der Equipe trennen, schweren Herzens, ein bisschen nostalgisch wird einer zumute. Sie hat sie schon ins Herz geschlossen, über Wochen kam sie zu Besuch, zahlreich wie eine Fußballmannschaft. Freundliche alte Herren mit einer Marotte oder einem Sendungsbewusstsein, mit dem sie es auf Sendung schafften. Echte Linke, die es wirklich noch gibt, nicht nur im Museum. Es wimmelt von Intrigen und griechischen Tragödien, die Gott sei Dank nur französische sind. Jeden Abend Märchenstunde. Wenn das Bild auch ein bisschen eintönig wirkt, zum Beispiel ist nur eine Hautfarbe auf der Bühne. Wie schön das Leben werden wird. Unter einer Bedingung: „Je“ zu wählen. „Je“ ist der beste Kandidat, alle sind sich einig. Jeden Abend vor dem Fernseher Stoff vom Feinsten und vom Gröbsten. Comedy, Philosophie, durchwoben von Familiensagen, jeder Menge Ränke und Schwänke, Schwenke auch. Hahnenkämpfe mit fuchsteufelswilder Henne. Nahkämpfe im Ring, grell erleuchtet vom Geistesblitzfeuerwerk, das die Pariser Intelligenzija großzügig abschießt. Sie gibt ihren Senf de Dijon dazu, das macht es erst richtig pikant.
Und last not least eine hollywoodeske Lovestory, Frankreich hat endlich wieder eine Brigitte!
Penelope mit dem eisgrauen Haar, den Eisaugen, dem Durchhaltekiefer, das böse Weib im Hintergrund. Ihr Filou mit den blutgetränkten Durchhalteparolen, dem zugleich evasiv – träumerischen und obsessiven Blick, haarscharf an Kamera und Wählerinnenauge vorbei in eine unbeirrt visualisierte Zukunft. Verrat, Meuchelmord, Messer im Rücken, Getreue, die sich scharen. Er hält alles aus, ein Gekreuzigter, eine Schriftstellerin darf ihn verbal anspucken. Wegen der France natürlich, beim Aussprechen der France der bemüht treuherzige Blick. Vor überforderten Pflegekräften wird der erschreckend kalt, ein wahrer Schulterzucken-Blick.
Auch der Underdog mit den freundlichen Ohren und der dem scheidenden Präsidenten treu nachempfundenen Mimik beschwört den Verrat. Mitstreiter steigen ungeniert in den Main Stream um und schwimmen mit dem Strom. Heldenmütig ist er in einen aussichtslosen Kampf gezogen, in den Londoner Wettbüros ist er ein Megaflop. Er steht ohne Arbeiterklasse da, die Arbeiterklasse ist ihm abhanden gekommen. Diese Arbeiterklasse ist in ganz Europa volatil geworden und flexibel wie das Kapital, war es nicht das, was man von ihr wollte?
In immer größeren Sälen findet der linke Volkstribun und Philosoph, der dicke Backen macht wie ein zorniger Dreijährige, in den str-eng sitzenden Anzügen zu rhetorischen Höhenflügen. Fliegt die Arbeiterinnenklasse mit? Die Frankreichfahne wedelt jedenfalls fromm. Für zwei Kandidaten ist er weiter nichts als ein müde belächelter weiterer Handlanger des Systems. Eine Wirtschaftsprofessorin und ein echter Arbeiter mischen auf und mit, sie kriegen echte, teure Sendezeit. Der echte Arbeiter wird ob seines Outfits von einem rechten Philosophen als Marcel hingestellt, als ein Marcel-Darsteller, der eine Beleidigung für alle echten Marcels darstellt. Ein Kevin, der Kevin-Overkill betreibt. In der fernen Seherin werden Seiten berührt, die immer noch vibrieren, wenn sie dem Arbeiter mit dem schönen, vermutlich von ehrlicher Arbeit ein bisschen müden Menschenantlitz zuhört. Er ist leider so schnell unterwegs in die arbeiterklassische Zukunft,
dass sie auf der Strecke bleibt. Vielleicht die Genossin mit den warmen Augen und den strengen Mundwinkeln, so eine Gesell_innenschaft wär doch was? Aber beim Gedanken an so ein Kollektiv ermüdet sie gleich, es geht ihr wie bei den Nonnen. Beim Anblick entrückter Nonnenherden überkommt sie eine Sehnsucht nach Nonnenzellen, Nonnenfrühstück, Sichbeugen über Nonnenkräuter, Nonnenlitaneientrance. Aber dann denkt sie ans Frühaufstehen.
Meere von Frankreichfahnen, blutige Hymne, und Peuple in aller Munde. Alle wollen peuple sein, für das peuple. Den letzten Blutstropfen für das peuple! Ihm zu winken, ihm zuzutrinken.
Au Revoir, ihr Damen und Herren, es war schön mit euch! Aber jetzt wird es ernst.
Mr. X gegen die Leibhaftige.
Der, der die Arbeit befreit gegen die, das Volk befreit.