Ein genüsslicher Furz auf der Bühne steht nur für sich selbst. Da gibt es keine zwei möglichen Lesarten. Egal, ob es Dorf- oder Nationaltheater ist: Aussage - was bin ich heute wieder für ein Schelm! - und Wirkung - dieses breite Lachen im schenkelklopfenden Publikum - sind genau die gleichen. Es gab eine Zeit, Ende der 80-er, Anfang der 90-er Jahre, da hatte Frank Hoffmann es mehr mit dem Urinieren auf der Bühne. Nun ist es anscheinend mehr das Furzen. Es gibt also eine Evolution, sogar in der Luxemburger Theatergeschichte.
Frank Hoffmann wollte seine neue Theaterstätte in der alten Schmiede, route de Longwy, vor der seines Kollegen Frank Feitler eröffnen, und so kaufte er sich einen der großen Söhne der Heimat, die es im Ausland zu etwas gebracht hatten - André Jung wurde immerhin 2002 von der Fachzeitschrift Theater Heute zum "Schauspieler des Jahres" gewählt -, um kurzerhand mit dem hiesigen Publikum abzurechnen. "Man hat das Gefühl, Bernhard habe über Luxemburg geschrieben", sagte der Intendant des Théâtre national und Regisseur dieser Produktion des Theatermacher während der Pressekonferenz. In dem Fall wäre Frank Hoffmann, wären wir alle vielleicht auch ein bisschen Bruscon, der sich stets einredet, er sei ein Genie, bis er sich in Utzbach, der tiefsten Provinz, schließlich sein Scheitern eingestehen muss? Soviel Selbstironie hätte man Frank Hoffmann nicht zugetraut.
Der Theatermacher des TNL ist eine große Enttäuschung. Natürlich: Die bitterbösen Monologe, Bernhards Sprache zergehen einem im Ohr. Natürlich: André Jung ist gut. Als arroganter und pathetischer Schwätzer, der nach und nach von Selbstzweifeln aufgefressen wird, dominiert er die Bühne während des ganzen Stücks. Und doch: Wer ihn zum Beispiel je in einer Marthaler-Produktion gesehen hat, der weiß, dass er es auch besser, viel besser kann. Irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass Frank Hoffmanns Theatermacher einfach nicht reif genug war für die Aufführung. Alles ist noch so unscharf, so schluderig.
Alle Schauspieler der 100 Prozent luxemburgischen Besetzung - Chrëscht Rausch als Frau Bruscon, Marc Baum als Ferruccio, der Sohn, Brigitte Urhausen als Sarah, die Tochter, Thierry van Werveke als Wirt, Annette Schlechter, seine Frau und Anouk Wagener, deren Tochter - können ebenfalls mehr, wenn man sie lässt. Doch keine dieser Figuren existiert wirklich. So als habe sich Frank Hoffmann ganz und gar auf André Jung verlassen. Und dann macht er, was er letztens immer macht: Alle Nebenrollen werden zu Kasperlfiguren, tri-tra-trallala, alle sind bloß noch lächerliche Karikaturen, besonders die Frauen. Slapstick als Ausweg aus der Hilflosigkeit.
Zur Geschichte: Bruscon, der "größte Schauspieler aller Zeiten", wie er von seiner Familie genannt werden will, tingelt mit Frau, Tochter und Sohn durch die österreichische Provinz, um sein Stück Das Rad der Geschichte aufzuführen - eine protzige Menschheitskomödie, in der sich Churchill, Marie Curie, Hitler, Stalin, Kierkegaard und andere Größen der Weltgeschichte die Klinke in die Hand drücken -, die in Wirklichkeit jedoch eher eine Menschheitstragödie ist. Und man denkt an all diese ultimativen Stücke hiesiger Autoren, die besonders um die Jahrtausendwende herum die sich immer wiederholende Geschichte über die kleinen Luxemburger in der großen Welthistorie erzählten.
In Utzbach angekommen, einem 280-Seelen-Dorf, merkt Bruscon plötzlich ganz brutal, wie tief er gefallen ist. Da kommt ihm die vorige Station Gaspoltshofen doch glatt wie eine Großstadt vor. "Dieser Ort ist eine Strafe Gottes", sagt er, und "tatsächlich gibt es hier nichts außer Schweinemastanstalten und Kirchen ... und Nazis."
Thomas Bernhard schrieb das Stück 1984 und rechnete in gewohnter Manier ohne Umwege mit seiner Heimat ab - alles Nazis und Kulturbanausen -; Klaus Peymann führte es 1985 bei den Salzburger Festspielen urauf. Zwanzig Jahre danach scheint der Theatermacher, trotz der immer wiederkehrenden Liebeserklärungen an das Theater, vor allem trostlos, ausweglos: "Wenn wir klar denken, müssen wir uns umbringen". Das Leben, das Theater: eine einzige Absurdität.
Das wohl größte Missverständnis in Frank Hoffmanns Dramaturgie ist, dass er Bruscon, indem er ihn fast alleine lässt auf der Bühne, tatsächlich als ein verkanntes Genie, alle anderen um ihn herum - den Wirt, die Wirtin, seine Kinder, die Dorfleute - tatsächlich als komplette Deppen darstellt, Frau Bruscon dagegen einseitig als Opfer. Und dass man das dann natürlich auf ihn und seine eigene Position in Luxemburg projiziert.
Jedoch: Auch in Luxemburg gibt es mittlerweile Leute, die gutes Theater gesehen haben und vergleichen können, wie präzis dort gearbeitet wird, werden muss, damit es klappt. Doch vielleicht ist Bruscon, der Staatsschauspieler, nicht nur zufällig in Utzbach gestrandet. Vielleicht ist Utzbach überall.
Der Theatermacher von Thomas Bernhard, in der Inszenierung von Frank Hoffmann, mit André Jung, Christiane Rausch, Marc Baum, Brigitte Urhausen, Thierry van Werveke, Annette Schlechter, Anouk Wagener; Regieassistenz: Jacqueline Posing-Van Dyck, Bühne: Jean Flammang, Kostüme: Katharina Polheim, Musik: René Nuss; eine Koproduktion des Théâtre national du Luxembourg mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen. Keine weiteren Daten angekündigt.