Eitopomar oder Die Wasserspiele von Trier

"Warum flieht man aus Luxemburg?"

d'Lëtzebuerger Land du 05.06.2003

Die Fußmatte ist das wichtigste Requisit im Stück. So wichtig, dass im Programmheft Frau Roma Schwickerath für die freundliche Leihgabe gedankt wird. Sie ist auch tragendes Element der Inszenierung, denn nahezu jeder Gast wird freundlichst gebeten, sich doch die Schuhe abzuputzen, bevor er die heiligen Räume des Musentempels betritt. Nur die wenigsten schauen jedoch nach unten, um zu sehen, dass sie den Heiligen Rock mit Füßen treten. Dann gerät die Matte in Vergessenheit, bis zum Ende, als die Besucher - ein wenig aus Reflex - sich die Schuhe abstreifen, um wieder ins Freie, die Trierer Realität zu treten.

Dazwischen war irgendwas, das in irgendeiner Beziehung zu Trier und zu Luxemburg steht, was ständig, aber auch ständig betont wird. Dazwischen war irgendwas, das überfrachteter kaum sein könnte, es heldenhaft mit deutscher Intellektualität aufnimmt, um am eigenen Anspruch zu scheitern. Dazwischen ist Eitopomar oder die Wasserspiele von Trier - ein Stück des Luxemburgers Jean-Paul Maes, das in der Reihe "Persönlichkeiten der Stadt Trier" Mitte Mai seine Uraufführung im Studio, der kleinen Bühne, des Theaters der Moselstadt erlebte. Ein Stück, so platt, wie die schreiende Schlusspointe. Ein Stück so verworren, wie die Autobahnnummerierung in Deutschland.

Jean-Paul Maes versucht, alles in die neunzig Minuten seines Stückes zu packen, was in der Dramatik der Theatergeschichte abgehandelt werden muss: Gesellschaftskritik, Generationenkritik, Geschichtskritik, kritische Auseinandersetzung mit den Medien, mit der Rolle des Einzelnen in einer durch und durch industrialisierten Welt, mit dem Dasein an sich und überhaupt. Jean-Paul gibt seinen drei Rollen zu viel Gestalten, als dass der Zuschauer den Durchblick behält, es sei denn, er hat zuvor mindestens drei Semester luxemburgische Geschichte an der Trierer Universität belegt. Balduin von Luxemburg saust ebenso durch das Stück wie eine Bürgerin aus Boppard, wie Walter Elias Disney, wie die Heilige Helena und wie Norbert Jacques, der in Luxemburg geborene Autor des Dr. Mabuse. Alle stehen sie in einer nicht schlüssig dargelegten Abhängigkeit zu einander. Bei Jacques und Disney wird sie noch am ehesten offensichtlich, denn beide arbeiteten an ihrer Gesellschaftsutopie ­ bei Jacques' Mabuse heißt sie Eitopomar, bei Disney ist es Celebrations, die Realität gewordene Truman Show. Idealstaat hier, Idealstadt dort. Ob Balduin von Luxemburg und Peter von Aspelt im Mittelalter Gleiches mit den Erzbistümern Trier und Mainz planten, ist nicht die Frage, sondern Mord, Gier und Ränkespiele um Macht - darin gleichen die beiden Geschichtsfiguren der Romanfigur Mabuse. 

Die Verbindung vom Mittelalter zu den Trickfilmstudios der Neuzeit zeigt sich erst zum Schluss des Stückes, als die Erzbischöfe als Mickey Mäuse in Heiligen Röcken - so viel Kritik am Trierer Gottesstaat muss sein - durch die Aufführung tanzen. Balduin und Peter als die wahren Erfinder von Mickey und Minnie Mouse. In zwei, drei Sätzen wird denn auch noch die Rolle der Luxemburger unter der deutschen Besatzung aufgearbeitet - so viel Selbstkritik muss sein.

Maes versucht sich in der Tradition des spanischen Theaters der Gegenwart, das Elemente des Kabaretts und der Revue zu einer dramatischen Einheit verdichtet, um schließlich in der Realität der luxemburgisch-deutschen Grenzregion zu enden, die sich mit dem Sprichwort "Viel hilft viel" über Wasser hält und nach einer eigenen Identität sucht - ebenso wie die Protagonisten von Eitopomar. Das Stück beginnt mit einer Endlosschleife des ständig wiederholbaren Replays, in der Walt Disney, die Bischöfe und die Bürgerin von Oberwesel, die sich nichts gefallen lässt, als Bardame, Türsteher und Kartentrickser ihren Auftritt haben.

Das Bühnenbild: Kneipe in Trier schwankt zwischen Chicagoer Halbweltspelunke und einer Animierbar in Esch/Alzette, das Publikum sitzt mittendrin und rätselt. Dennoch schafft der Autor es schnell, das Publikum - zu Dreivierteln Untertanen des Großherzogs - auf seine Seite zu ziehen: Man verwende nur oft genug den Namen Luxemburg und Trier und die Mannen und Frauen der Landschaft kreischen vor Vergnügen.

Unbestritten ist der Mut des Trierer Theaters, dieses Auftragsstück auf die Bühne zu bringen, und die schauspielerische Leistung des Ensembles. Allen voran die drei wichtigsten Protagonisten Michael Rasche als Norbert, ein Kneipengast, Markus Angenvorth als Peter, ein angeblicher Fremder, und Eva Steines in der Rolle der Saskia, eigentlich Kellnerin. Etwa Markus Angenvorth, der die ständig wechselnden Identitäten seiner Rolle mit Kontinuität in der diabolisch-irren Darstellung meistert, und Michael Rasche als Norbert, der sich identitätslos in den Zufällen des Lebens verliert und dennoch die Kontur des Ahnungslosen wahrt. 

Steines, die auch hervorragend massieren kann - wie sie zu Beginn des Stücks bei ausgewählten Zuschauern beweist -, ist die naive Verlockung, die berechnende Schönheit. Sie ist außerdem Mutter und Schwester zugleich, die von Peter und Mabuse abhängig ist und von Norbert und Wenk, dem Roman-Gegenspieler Mabuses, begehrt wird. Die Rollen wechseln ihre Identitäten, ohne eine solche Tiefe zu bekommen, dass der Wechsel für den Zuschauer verständlich bleibt. Nur die Kontinuität der Darsteller lässt einen roten Faden erkennen. Das Stück ist ordentlich inszeniert. Auf die Kardinalfrage des Stücks: "Warum flieht man aus Luxemburg?" liefert Maes auch gleich die Antwort: Ob der Dramatik und Dramatiker des Landes. Roma Schwickerath hat das Stück noch nicht gesehen.

 

Eitopomar oder die Wasserspiele von Trier von Jean-Paul Maes wird noch am heute abend sowie 12. und 14. Juni jeweils um 20 Uhr im Studio des Theater Trier (Seiteneingang) aufgeführt. Karten für 10 Euro (ermäßigt: 7 Euro). Die Produktion gastiert am 26. Juni im Rahmen des Diffart-Festivals im Hall La Chiers in Differdingen. Informationen unter www.differdange.lu oder über Telefon 58 40 34-203.

 

 

 

 

Martin Theobald
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