ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Feldblumen

d'Lëtzebuerger Land du 02.08.2024

Sommer ’24 ist der Sommer der Freibeuter: Der Freiberufler und ehemalige DP-Abgeordnete Pim Knaff wird wegen schwerer Steuerhinterziehung verurteilt. Der Unternehmer und ehemalige Generalkonsul Nicholas Didier verrechnet dem Science Center beliebige Millionen. Der Unternehmer und Abgeordnete Sven Clement macht Geschäfte im Namen der Piratenpartei. Eine leitende Angestellte der Caritas unterschlägt 61 Millionen Euro.

„Wer Schätze häufte, die die Diebe stehlen können, der brach zuerst das Gesetz, indem er seinem Nächsten nahm, was ihm nöthig ist.“ Meinte Richard Wagner. Und fragte sich: „Wer ist nun der Dieb: der dem Nächsten nahm das, dessen er bedurfte, oder der dem Reichen nahm das, dess er nicht bedurfte?“ (Jesus von Nazareth, S. 35).

Des Komponisten Skrupel plagen die heutigen Freibeuter nicht. Sie nehmen dem Nächsten nicht das, dessen er bedurfte. Sie bereichern sich auf Kosten des Fernsten: des Staats. Steuerhinterziehung ist der Kampf des privaten Egoismus gegen einen Steuerstaat, der verhalten umverteilt. Science Center und Piratenpartei sind Tarngesellschaften privater Firmen. Caritas ist der Name privatisierter Sozialdienste mit staatlicher Finanzierung.

Die liberalen Unternehmer halten es mit Ronald Reagan. Der kündigte den Neoliberalismus an: „Government is not the solution to our problem; government is the problem“ (20.1.1981). Sie verachten den Staat. Weil sie von ihm profitieren können. Vom Dorffriseur bis zu Arcelor-Mittal fragen alle: Wer ist der Schlauste im ganzen Land? Der die meiste Staatsknete absahnt. Ob als Contrats de réinsertion-emploi oder als CO2-Zertifikate. Der die meisten Steuern vermeidet.

Der liberale Staat gibt ihnen Recht. Er bietet Unternehmern eine Gewinnbeteiligung an. „Public-private partnership“ genannt. Er verfolgt Bettlerinnen, Obdachlose und fördert den „esprit d’entreprise“. Schulklassen sollen mit „mini-entreprises“ die Aneignung fremden Mehrwerts üben. Nicholas Didier ist ein fleißiger Schüler. Er stellte dem Staat 600 Prozent Mehrwert eines Angestellten in Rechnung.

Der Staat ist anonym. Staatsgelder sind wie die Blumen auf dem Feld. Sie scheinen niemandem zu gehören. Oder allen: also auch den Freibeutern. Die nur raffen wollen, was ihnen ein wenig gehört.

Die Leitartikler kommen über den Sommer. Die Leserinnen gähnen. Sie zeigen sich wenig überrascht. Geld des Staats zu unterschlagen, zu hinterziehen, zu veruntreuen, muss verwerflich sein. Aber nicht über die Maßen. An einem Finanzplatz soll es genug davon geben.

Wird der Staat als Selbstbedienungsladen angesehen, ist die Hemmschwelle der Ladendiebe niedrig. Haben die Freibeuter umso willfährigere Komplizen. Geschäfte mit dem Staat sind notgedrungen mit der Politik verquickt. Man kennt sich.

Der Generalstaatsanwalt, der Innenminister, spielen die schwere Steuerhinterziehung zum Kavaliersdelikt herunter. Die CSV, die Grünen erklären sie zur Privatangelegenheit. Das staatliche Office national de l’accueil erteilt der Piratenpartei Geschäftsaufträge. Der Verwaltungsrat des Science Center stellt sich blind und taub. Der Erziehungsminister wirft schlechtem Geld gutes hinterher. Der Verwaltungsrat der Caritas missachtet seine Kontrollpflicht. Verlässt sich auf seine Präsidentin und den CSV-Staat.

In dieser moralischen Schwerelosigkeit übernimmt keiner Verantwortung. Niemand tritt zurück. Niemand wird zum Rücktritt gezwungen. Keiner der Freibeuter, keiner der Komplizen. Stadtschöffe Pim Knaff gibt weiter den ehrbaren Politiker. Die Piraten stellen sich dumm. Schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Statt seiner Führung soll das Science Center seine Satzung ändern. Die Caritas-Führung tut sich unbefristet selbst leid.

Romain Hilgert
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