ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Künstlerpech

d'Lëtzebuerger Land du 05.07.2024

Am 5. März wurde der Escher Schöffe und ehemalige DP-Abgeordnete Pim Knaff wegen „fraude fiscale aggravée“ verurteilt. Er hatte laut Urteilsbegründung „sciemment omis de déclarer [...] des revenus imposables provenant de l’exercice de la profession d’avocat“ (S. 18). Die Opposition im Gemeinderat sprach ihm die sittliche Kraft ab, ein öffentliches Amt zu bekleiden. Das ist ein Missverständnis.

„The UK’s second empire, along with the Netherlands, Luxembourg and Switzerland are collectively referred to as the ‚axis of tax avoidance‘ for their role in enabling the lion’s share of global tax abuse.“ Schreibt das Tax Justice Network (State of Tax Justice 2023, S. 26).

Die Besteuerung zu umgehen, ist in Italien oder Griechenland ein Sport. In Luxemburg ist es eine Industrie. „In Luxembourg, we are nearly 700 tax and accounting professionals to assist businesses, individuals and organisations with tax strategy, planning and compliance.“ Heißt es auf der Internetseite von Price, Waterhouse, Coopers. „EY Private Tax teams are dedicated to supporting your unique ambitions.“ Werben Ernst and Young. Elvinger, Hoss et Prussen versichern: „Our partners and counsel contribute to the competitiveness of the Luxembourg tax environment and the financial sector.“

Für die Wettbewerbsfähigkeit der Steuerumgehung bürgen CSV und DP in ihrem Koalitionsabkommen: „Au niveau européen, le Gouvernement défendra le principe de l’unanimité en matière fiscale [...], garantissant ainsi la prise en compte des spécificités de chaque État membre“ (S. 36).

Die Unterscheidung zwischen Steuervermeidung, einfacher und schwerer Steuerhinterziehung, Steuerbetrug ist scholastisch. Sie bewertet die kriminelle Energie. Die Absicht ist stets dieselbe: die Besteuerung zu umgehen. Auf Kosten einer Quellensteuer unterworfener Lohnabhängiger.

Als liberaler Politiker nahm Pim Knaff am Steuerwettbewerb teil. Vielleicht etwas zu ungestüm. Diskret einigte sich das Gericht mit ihm auf ein Kavaliersdelikt. Für 49 667,94 Euro hinterzogene Mehrwert- und Einkommensteuer drohte ihm eine Höchststrafe von 298 607,64 Euro und drei Jahren Gefängnis. Das Gericht gab sich mit einer Geldbuße von 9 500 Euro zufrieden. Es gewährte mildernde Umstände. In einer Steueroase ist „fraude fiscale aggravée“ weniger eine Straftat als eine Tautologie.

In einer Erklärung bezeichnete der Anwalt am 4. Juni die Straftat als „la faute“. Sein Fehler war, dass es zu einer Verurteilung kam. Weil er das inländische Steueramt schädigte, statt ein ausländisches. Laut Tax Justice Network fügt die Luxemburger Steuervermeidungsindustrie ausländischen Steuerämtern jährlich Steuerausfälle von 27,6 Milliarden Dollar zu (S. 73).

Innenminister Léon Gloden ist im Hauptberuf Geschäftsanwalt. Er weiß: Künstlerpech bei der Steuervermeidung kann jeden treffen. Deshalb dekretierte er auf eine parlamentarische Anfrage hin: Steuerhinterziehungen „relèvent de la vie professionnelle de la personne visée et sont étrangers à l’exercice du mandat d’échevin“.

Für den Innenminister, den Escher Bürgermeister, die DP, die CSV, die Grünen, den Anwaltsorden und ihn selbst gibt es zwei Pim Knaff: einen privatberuflichen und einen politischen. Nichts verbinde sie. Schon gar nicht gemeinsame Normen des Anstands. Das oberste Verfassungsziel in einer bürgerlichen Gesellschaft ist die Trennung von Privateigentum und Politik.

Die Frage, ob ein Steuerhinterzieher die sittliche Kraft besitzt, in einer Steueroase ein öffentliches Amt zu bekleiden, ist albern. Pim Knaff kam glimpflich davon. Aber nicht schadlos: Die Kundschaft hält ihn nun für einen schlechten Anwalt. Weil er sich erwischen ließ.

Romain Hilgert
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