ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Szenenwechsel

d'Lëtzebuerger Land du 19.07.2024

Am 8. Oktober ernennt Großherzog Henri seinen ältesten Sohn zum Leutnant-Statthalter. Er leitet prozedural seine Abdankung ein. Politisch abgedankt hat er seit Jahren.

Nach der liberalen Revolution von 1848 ernannte der niederländische König-Großherzog seinen Bruder zum „luitenant-vertegenwoordiger“. Und schickte ihn nach Luxemburg. Um sich vor Ort um die Wiederherstellung absolutistischer Verhältnisse zu kümmern.

Ein Jahrhundert später ernannte Großherzogin Charlotte ihren ältesten Sohn zum „Lieutenant-Représentant“. „Je suppose qu’elle s’était également ouverte à Joseph Bech qu’elle voyait encore de temps en temps. Fut-ce lui ou un autre qui lui avait soufflé la possibilité d’avoir recours à l’article 42 de la Constitution [...]?“ Fragte sich CSV-Premier Pierre Werner in seinen Memoiren. „L’histoire apprend que le passage d’un règne à l’autre peut être émaillé de remous politiques ou psychologiques et que les choses ne restent pas toujours simplement en place“ (Itinéraires, Bd. I, S. 102).

Die Dinge sind die Menschen, die an ihrem Platz bleiben sollen. (Früher: „Untertanen“). Deshalb machte auch Großherzog Jean seinen ältesten Sohn zum Leutnant-Statthalter. Macht nun Großherzog Henri seinen ältesten Sohn zum Leutnant-Statthalter.

Derzeit hat ein Leutnant-Statthalter keinen Putsch zu organisieren. Er hat einen harten Schnitt zu verhindern: Während einer Übergangszeit von zwei Jahren soll der alte Großherzog langsam verblassen und der neue langsam aufleuchten. Als Überblendung zwischen zwei Szenen eines Game of Thrones. Während der kurzen Doppelbelichtung soll man ein ewiges Schicksal erkennen.

Eines Monarchen Geschäft ist die Tradition. Er soll das Fortbestehen der herrschenden Verhältnisse gewährleisten. Eine Dynastie soll dies über Generationen hinweg tun. In Krisen als letzter Rekurs, unabhängig von Wahlen und Kundgebungen. Deshalb soll der Großherzog über den Parteien stehen. Mehr über den einen, weniger über den anderen. Schließlich gehorcht er der Regierung, gehört der privilegiertesten Klasse an, ist vermögend.

Im Zweiten Weltkrieg versöhnte Landesmutter Charlotte die Bevölkerung mit der im Ersten Weltkrieg diskreditierten Monarchie. Jean war der huldvolle Pfadfinderchef einer modernen Industriegesellschaft. Bei der Thronbesteigung meinte Henri, er müsse seine eigene Legitimität finden (RTL, 1.10.2000). Er wollte der Managerfürst einer neoliberalen Dienstleistungsgesellschaft werden. Was bleibt für Guillaume V.? Wer kam nach Louis-Philippe?

Großherzog Henri verhinderte keine „remous politiques ou psychologiques“. Er verursachte sie. Die Klatschpresse ergötzte sich an Streitereien um die Schwiegermutter und die Erbschaft, an Geschäften mit dem Grünewald und den Familienjuwelen, am Kleinkrieg mit der Regierung, an der Verfassungskrise um das Euthanasiegesetz, an Xanthippe ohne Sokrates, einem gerade volljährigen Vater, einem schwarzen Prinzen, an der raubeinigen Personalpolitik, an klerikalen Ultras, an halbseidenen Beratern.

Bis 1998 nannte die Verfassung die Person des Großherzogs „heilig“. Königstochter Joséphine-Charlotte lehrte ihren Sohn Henri aristokratische Zurückhaltung. Mit Maria-Teresa brauste das Großbürgertum durch den Porzellanladen des Hochadels. Die Erben bringen die Entzauberung des Amtes zu Ende.

Guillaume und Stéphanie schieben den Kinderwagen mit dem übernächsten Thronfolger durch die Foire agricole. Etwas verloren, garantiert uncharismatisch. Das Unbehagen an ihrer Rolle ist ihnen abzusehen. Ihr Auftreten, ihre Kleidung, ihr schlechter Geschmack sind diejenigen einer Kleinbürgerfamilie. Die unspektakuläre Überblendung zwischen zwei Szenen der Staatsform.

Romain Hilgert
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