CSV

Eine ganz normale Partei

d'Lëtzebuerger Land vom 11.12.2008

Ist das jetzt Propaganda oder ernstzunehmende Geschichtsschreibung, dieses dicke Buch mit dem putzig orangen Umschlag über die CSV, mit dem vielschichtig komplexen Titel 1 und den vielen Beiträgen namhafter Historiker? Manchmal scheint es in der Aufzählung der zahlreichen Fakten und den vielen Photos besonders für die jüngere Zeit wie ein Erinnerungs- und Bestätigungswerk für den inneren Kreis der Mitglieder und Sympathisanten. Obschon man weiß, wie konsequent die CSV in der Legendenbildung ihrer starken Männer war und ist, schüttelt man den Kopf über die peinliche Teleologie der Darstellung der drei letzten Jahrzehnte. Die Jean-Claude Junckersche CSV wird zum krönenden Finale einer fast hundertjährigen Geschichte, in dem alles Irren und Wirren der Vergangenheit überwunden ist. Hier der jugendliche Jean-Claude Juncker: “ein neuer Stern geht auf” (S. 396), dann Juncker mit Pfeife „in beliebter Pose“ (S. 404) oder “Was wäre die CSV ohne Jean-Claude Juncker?” (S. 456), “ein erneuter Gang in die Opposition ist, dank Juncker, fast schon Utopie geworden”! (S. 457)2 Sogar ein mit Voraussagen vorsichtiger Historiker wie Gilbert Trausch lässt sich dann zu Aussagen verleiten, die heute schon schmunzeln lassen3. Wohingegen Pierre Lorang sich im Schlusswort4 bescheidener gibt und keine bayrischen Verhältnisse in Luxemburg will – aber heute ist die CSU ja auch nicht mehr das was sie war!

Die dominante Partei bis heute

Weshalb war und ist eine und dieselbe Partei so lange und fast immer seit 1919 an der Macht in Luxemburg? Es gibt vereinfachende Antworten auf diese Frage, die trotzdem Antworten bleiben. Gilbert Trausch befasst sich mit der oft geäußerten Annahme, die CSV habe in ihrer langen Regierungszeit den Staatsapparat mit ihren Leuten durchsetzt. Er meint, sie habe es nicht bunter getrieben als LSAP und DP in ihrer Regierungszeit, habe aber “wegen ihrer immerwährenden Regierungsbeteiligung mehr Möglichkeiten” ge­habt (sic!). (S. 38)

Es gibt komplizierte Antworten, die eng mit der Geschichte des Landes zusammenhängen. “ Die Standortbestimmung der heutigen CSV auf der Rechtslinksskala (lasse) sich nicht global festlegen”. (S. 42) Wirtschaftlich liberal, sozial eher links, gesellschaftspolitisch eher rechts, “un parti qui a l’ambition de ratisser le plus largement possible”(S.44), wie es in einer Studie über die Werte in Luxemburg heißt. Oder, wie Trausch schreibt, “eine Mischung von Tradi­tion und Modernität”. (S.44)

Hinzu kommt die Erkenntnis, dass die Machterhaltung andauernd Veränderungen von der Partei verlangt. Für den Politologen Fernand Fehlen hat die CSV in der Tat “es fertig gebracht, sich parallel zur Gesellschaft zu verändern” (S. 491). 

Das ging nicht ohne oft schwere interne Kämpfe. Objekt katholischer Politik ist es, die Moral und die Werte, also die Grundlagen des Lebens in der Gesellschaft, das heißt die tiefsten und intimsten Fragen der Menschen, zu bestimmen. Diese Politik, von Anfang an eng mit der Kirche verbunden und lange von ihr geführt, hat sich angemaßt, nicht nur das irdische, sondern auch das überirdische Glück der Menschen zu gestalten. Aber um die Macht zu erhalten, mussten im Laufe der Zeit mit den Werten und der Moral Kompromisse eingegangen werden, die so schnell nicht von jedem angenommen wurden. Heute wird die CSV langsam “entideologisiert” (S. 459), besonders in einem für die Kirche so sensiblen Bereich wie der Gesellschaftspolitik. Parteipräsident Biltgen auf dem Parteitag von 2007: „Man darf die Gesellschaftspolitik nicht ideologisieren“ (S. 459). 

Daher die Erleichterung, die besonders in der Darstellung der Jahre 1979 bis 20045 zu spüren ist, dass dank Jean-Claude Juncker die vielen Unsicherheiten in der CSV der letzten Jahrzehnte mit dem Wahlsieg von 2004 überwunden zu sein scheinen. Der absolute Überflieger gibt die Richtung an: „Es scheint so, als würde die Mehrheit der CSV-Wähler dem Spitzenkandidaten (i.e. Jean-Claude Juncker) (...) mehr Bedeutung beimessen als einer starren Positionierung nach gesellschaftspolitischen Maßstäben.” (S. 459) 

 „Keine Experimente“

Aber so losgelöst von „starren Posi­tionierungen“ war die CSV lange nicht. “Keine Experimente” hießs 1968 die Losung für die Wahlen (S. 298). Dagegen ging erst 2004 die Rede von „de séchere Wee“, also kein Stillstand, denn „Weg“ ist Bewegung!

Trausch bemüht die „lange Dauer” (longue durée), um zu zeigen, wie die CSV sich über Generationen aufgebaut hat, mit der ständigen Bemühung, die Grundlagen der Partei und der Bewegung, die sie trägt, trotz veränderter Zeiten über Jahrzehnte möglichst nicht zu verändern. Grundlagen, die schon 1908 und erst recht bei der Parteigründung 1914 festgelegt wurden und teilweise bis heute Bestand haben: eine Partei, die sich 1919 mit der Monarchie identifiziert und sie rettet, die Unabhängigkeit der Nation und alles, was die Nation ausmacht, für sich in Beschlag nimmt (S. 174 ff.), eine wertkonservative Partei auf der Grundlage päpstlicher Enzykliken (Rerum Novarum und Quadragesimo Anno), die Instrumente gegen den Zeitgeist und den Sozialismus waren, aufbauend auf das „Volk”, ein Begriff, der zusammenhalten und Klassengegensätze verneinen soll (die CSV will die Volkspartei sein, nicht irgendeine Volkspartei! Also der Alleinanspruch auf das Volk! S. 69).

Die Subsidiarität, ein wesentlicher Be­griff christdemokratischer Ideologie, will wenig Staat und desto mehr (christ­liche) Zwischenstrukturen, die die Ge­sellschaft zielbewusst organisieren. Paul Margue zeigt in einem aufschlussreichen Beitrag, wie die Partei auf der Arbeit der katholischen Vereine zu Beginn des 20. Jahrhunderts wuchs. Es verwundert übrigens, dass die heute so allgegenwärtige Caritas nirgends erwähnt wird, als „Lieferant sinnstiftender Dienstleistungen“ , in denen die Kirche heute ihre Stärke eher hat denn im Kirchenbesuch (S. 29), so wie zum Beispiel früher im Wirken der Ordensschwes­tern. Insgesamt fehlt eine Durchleuchtung des „katholischen“ Luxem­burgs, so wie die Kirche und ihre Verzweigungen es aufgebaut haben.

Laut CSV-Grundsatzprogramm von 1974 soll es nicht Aufgabe der Partei sein, „spezifischen Glaubensvorstellungen einer bestimmten Religionsgemeinschaft zum Durchbruch zu verhelfen.“ Bischof Hengen blieb 1974 dem 60-jährigen Jubiläum der Partei fern und pochte auf die Autonomie der Kirche gegenüber den Parteien (S. 589). Für die heutige Zeit will die CSV “eine fortschrittliche Volkspartei der sozialen Mitte” sein. (S.445). 

Georges Hellinghausen, der das neue CSV-Grundsatzprogramm 1992 zu be­gutachten hatte und damals die kirchliche Zustimmung gab (S. 445), schil­dert, wie das Verhältnis zwischen CSV, Kirche und Luxemburger Wort (die Zeitung arbeitet „auf der Grundlage der katholischen Moral- und Gesellschaftslehre” S. 583) sich gewandelt hat. Trotz der unter Direktor Heiderscheid erfolgten „strukturellen Entflechtung zwischen CSV, Wort und Kirche” (S. 577) bleibt die Zeitung „das wichtigste Kommunikationsmittel” für die CSV. Heiderscheid (Wort-Direktor von 1971 bis 1994) wird zitiert: „Wenn die CSV das Wort nicht mehr hat, ist sie weg vom Fenster.” (S. 578) Für Hellinghausen steht auch heute noch fest, dass trotz allen Wan­dels das Luxemburger Wort „das hauptsächliche Sprachrohr und das wichtigste Kommunikationsmittel“ für die CSV war (und wohl ist). 

Anpassung als Machtinstrument

Musste die Anpassung der Partei an die neue Zeit stattfinden, brachte die CSV es fertig, sie meist voll im Interesse der Partei auszunutzen. Dem nach dem ersten Weltkrieg im Zusammenhang mit dem Frauenwahlrecht kurz aufflammenden linken Fe­minismus gelang es nicht, die Frau­en zu emanzipieren. Das Frauenwahlrecht wurde eine Waffe für die Rechts­partei, sich elektoral entscheidend zu stärken (absolute Mehrheit 1919) und die Wahl der Frauen für eine der Emanzipation entgegengesetzte Rolle der Frau zu instrumentalisieren (S. 186). Und war es dann in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts so weit, dass Frauen mehr und mehr berufstätig waren, das traditionelle Bild der Frau sich änder­te, war es in den Koalitionsverhandlungen von 1994 noch nicht möglich, ein Frauenministerium zu schaffen, das die LSAP in ihrem Programm gefordert hatte, so wurde es dann 1995 vom CSV-Staatsminister für eine CSV-Ministerin geschaffen. Fernand Fehlen findet das einen politischen „Geniestreich” (S. 497), und der Erfolg der CSV liege eben in der von Marie-Josée Jacobs personifizierten „Ambivalenz”, mit der die Familien- und Frauengleichstellungspolitik durchgeführt wurde, obschon die Ansätze der Frauenförderung „bescheiden“ und die Anpassung an die Erfordernisse des modernen Berufslebens „behutsam“ genannt werden (S. 497).

Anderes Beispiel: als Bech und die Rechtspartei das Maulkorbreferendum 1937 verloren hatten (auch dank einiger katholischer Stimmen besonders im Süden des Landes bei den LCGB-Gegnern des konservativen Bechs, S. 232), war die Zeit für einen sozialen Linksruck für die Rechtspartei und die Abwendung von autoritären Staatstheorien gekommen, eingeleitet von der gewerkschaftlichen Einheitsfront von 1934 und notwendig geworden durch die Erstarkung der Arbeiterpartei und des luxemburgischen Kommunismus, dem Bech mit der Polizei und undemokratischen Massnahmen (1934: Aberkennung des Mandats des KP-Abgeordneten Zenon Bernard und Entlassung der Lehrer Jean Kill und Dominique Urbany) (S. 229) beizukommen versuchte.

Der 1921 gegründete LCGB war der Versuch, die Arbeiterschaft im christ­lichen Lager zu behalten. Man gab also die Gewerkschaftseinheit auf, die im BHAV von 1917 und auch noch im BMIAV von 1919 bestand. Die Kirche verlangte dies, und auch die Partei der Rechten, mit der Tradition der katho­lischen Arbeitervereine im Hintergrund, weil die Sozialisten im BMIAV tonangebend waren (S. 680). Auch in der ersten Nachkriegszeit 1945 setz­te sich der Bischof von Luxemburg für die Wiedergründung der christlichen Gewerkschaf­ten gegen die Einheitsgewerkschaftsidee ein (S. 691), obschon sich von 1934 an gezeigt hatte, dass das gewerkschaftliche Zusammengehen für die Arbeiter mehr brachte als die Spaltung der Arbeiterschaft (S. 685). 

Dasselbe Szenario wiederholte sich 1978 auf der Höhe der Stahlkrise, als der LCGB sich erneut gegen die Gründung einer Einheitsgewerkschaft stellte (S. 705). 

Die CSV und die Demokratie 

Recht intensiv und ausführlich befasst das Buch (besonders G.Trausch und Alfred Bové) sich mit der Haltung der Rechtspartei zur Demokratie im Hinblick auf das Maulkorbgesetz, den Faschismus und die berufsständische (korporatistische) Ordnung, wie sie seit 1932 in der Haupt­sache von J.B. Esch im Luxemburger Wort dargestellt wurde. Die Mussolini-Diktatur in Italien und die Machtübernahme Hitlers in Deutschland nahm solchen Bestrebungen die Unschuld der Theorie. Dies hat, wie so oft und so vieles in der Rechtspartei, mit der katholischen Kirche, ihrem Gedankengut und ihrer Auseinandersetzung mit der modernen Welt zu tun.

Abgesehen davon, dass die Kirche sich im 19. Jahrhundert lange mit der parlamentarischen Demokratie schwer tat, waren die Zwanziger- und Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts in manchen Ländern (zum Beispiel in Österreich, Italien, Ungarn undsoweiter) eine Zeit der rechten Infragestellung der demokratischen Parteien und Staatsstrukturen hin zum autoritären Ständestaat und zum Faschismus, der die „Gesundung” des politischen Lebens herbeiführen und der „Parteiendemokratie“ den Hals um­drehen wollte. Trausch findet zu Recht, dass „die Haltung der Rechtspar­tei in der Frage der berufsständischen Ordnung in den dreißiger Jahren (...) das umstrittenste Kapitel in der hundertjährigen Geschichte der christlich-­sozialen Demokratie in Luxemburg“ ist. (S. 68) Eine „undurchsichti­ge Haltung“ wird der Rechts­partei in dieser Frage wie in jener des „starken Staates“ und der auto­ritativen Gesellschaftsordnung bescheinigt (S. 68-69). Noch bis in die Fünfzigerjahre spuk­ten die Theorien Eschs über die „berufsständische Ordnung“ in einigen rechten Köpfen (S. 98).

Eine normale Partei unter besonderen Vorzeichen

Unterschlagen wird auch nicht, dass die Geschichte der Rechtspartei und CSV immer wieder gekennzeichnet war von heftigen politischen Scharmützeln und Gefechten mit den politischen Gegnern, bei denen auch die Kirche kräftig mit Hand anlegte, sei es über geistliche Parlamentarier wie Monseigneur Origer oder über Exkommunikation und Index (wie beim Schulgesetz von 1912) oder auch über Hirtenbriefe, so 1949, als Stellungnahme zur Sozialistischen Partei sowie den kommunistischen und sozialistischen Gewerkschaften. Grundlage dafür war der Anspruch, die politische Wahrheit, weil reli­giös fundiert, allein zu vertreten. Denn, wie Parteipräsident François Biltgen im Vorwort will: „D’CSV ass (...) keng Partei wéi déi aner.“ (S. 7) Die CSV an sich war und ist sehr wohl eine „normale“ Partei mit keinen besseren und schlechteren Politikern als die anderen Parteien. Aber sie hat seit jeher den unermesslichen Vorteil, in einem Netzwerk Politik zu machen, das den ganzen Menschen und die Gesellschaft insgesamt umfasst. Und sie hat es mit größerer Konsequenz als andere Parteien fertiggebracht, in der Kohärenz des Netzwer­kes ihren Anspruch als „die Volkspartei“ durch einen systematischen Machtkampf zu festigen. Die christlichen Politiker waren bei aller „staatstragenden“ Seriosität nie zimperlich im Umgang mit dem politischen Ge­gner, wie zum Beispiel die Oppositionszeit nach der „Panne von 1974” (S. 397) bis 1979 zeigte6. Marc Schoentgen beschreibt die schwierige Zeit der Vierziger- und Fünfzigerjahre, in denen der Kampf zwischen CSV und der aufstrebenden und zur Volkspartei mutierenden LSAP mit harten Bandagen allerseits hin und her wogte. Er zeigt, wie die CSV sich gerne Feindbilder (durch „konservative Phrasendrescherei und Verbreiten antilinker Schauermärchen“ S. 258) schuf, an denen sie sich emporrankte, ebenso wie sie die Erfolge der Regierungspolitik für sich allein beanspruchte. „Antikommunismus, An­tiliberalismus, Antisozialismus“ waren die Schlagstöcke gegen den Rest der Wähler, die nicht für die CSV waren. (S. 293)

Der Autor ist Fraktionssprecher der LSAP.

1CSV Spiegelbild eines Landes und seiner Politik? Geschichte der Christlich-Sozialen Volkspartei Luxemburgs im 20. Jahrhundert. Herausgegeben von Gilbert Trausch. Luxemburg 2008

2 Wenn man der am 15. November 2008 im Luxemburger Wort veröffentlichten Umfrage über das Vertrauen der Bürger in die Luxemburger Parteien glaubt, die der CSV 40 Prozent, Staatsminister Jean-Claude Juncker 94 Prozent Zustimmung gibt. 

3 "Was, wenn Juncker 2009 nach Brüssel geht?" (S. 71)

4Citius, altius, fortius? Die Partei am Anfang des XXI. Jahrhunderts. Wiederum ein Fragezeichen – Zeichen der Bescheidenheit oder eines letzten Quäntchens Unsicherheit, trotzdem ?

5 Paul Feltes, Modernisierung einer konservativen Volkspartei (1974/1979 - 2004)

6 Dazu André Grosbusch wieder mit einem Fragezeichen zur Zeit von 1974-1979: Staatserhaltende Oppositionspolitik oder Dauerwahlkampf ??

Ben Fayot
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