Der Katastrophenfilm und seine Ideologie im US-amerikanischen Kino

d'Lëtzebuerger Land du 26.07.2024

Der Katastrophenfilm hat im US-amerikanischen Kino eine lange Tradition. Mit Twisters ist zurzeit ein neuer Film um todbringende Tornados, die sowohl Objekt der Faszination und des Grauens sind, angelaufen. So actionbetont und spektakulär diese Filme sich geben, sie sind immer schon ein Vehikel einer amerikanischen Ideologie gewesen, die sich gerade in diesem Genre vielleicht noch deutlicher manifestiert als in anderen.

Der Katastrophenfilm war besonders in den Fünfzigerjahren erfolgreich, abgenommen hat sein Erscheinen aber nie. Twisters nun ist eine unentschiedene Mischung aus unbekümmert-actionbetonter Komödie und ernsthaftem Naturkatastrophen-Drama, der die aktuellen Debatten um die Klimaproblematik ganz bewusst ausspart. Ganz in der Tradition des Katastrophenfilms präsentiert sich da zunächst seine Figurenkonstellation aus engagierten Naturwissenschaftlern, die den Tornado als Naturphänomen untersuchen, und somit Unheil verhindern wollen, und den leichtsinnig-verspielten Adrenalinjunkies, die Wirbelstürme verfolgen, um damit Erfolge in den Sozialen Medien zu erzielen. Damit ist im Genre des Katastrophenfilms sein zunächst grundlegendstes Moment angesprochen: Es geht um die reinste soziale Interaktion, Katastrophenfilme bekunden ein auffälliges soziologisches Interesse an menschlichen Gruppendynamiken, denn es geht immer um die Begegnung mit der Extremsituation, die das rohe und unverstellte Wesen des Menschen offenlegt: Es gibt etwa den Feigling, der im Angesicht der Gefahr feige bleibt und die Flucht ergreift, es gibt den Egoisten, der in brenzlichen Situationen nur an sich selbst denkt, das Leben anderer dabei oftmals unbedacht riskiert. Und es gibt den altruistischen Helden, dem das Gemeinwohl wichtiger ist, als das eigene Leben, der sich deshalb als der geeignete und besonnene Gruppenanführer erweist. In abgewandelten Formen findet sich dieses Repertoire in Twisters wieder, ganz deutlich überredet dieser neue Film von unter der Regie von Lee Isaac Chung zur gemeinschaftlichen Tat. Nicht in der gegenseitigen kompetitiven Ausschaltung liegt die Lösung, sondern in der Zusammenarbeit, die auch das romantische Begehren der beiden Hauptfiguren erfüllt.

Aber nicht nur die Naturkatastrophe ist Quell des Desasters: In Steven Soderberghs Contagion (2011) – in gewissem Sinne die vortrefflichste Antizipation der Covid19-Pandemie – ist es ein gesundheitsbedrohendes Phänomen, das die Welt an den Rand des zivilisatorischen Abgrunds bringt. Als ein nicht bekanntes Virus, eine Sequenzmischung aus Schweine- und Fledermaus-Viren, ausbricht, entwickelt sich auf der ganzen Welt eine Pandemie noch nie bekannten Ausmaßes: Masken, social distancing und regelmäßiges Händewaschen gelten da als Schutzmaßnahmen. Die Katastrophe wird uns aus mehreren Blickwinkeln erzählt: Da gibt es die Wissenschaftler der World Health Organisation, die nach Lösungen bemüht sind, das Virus einzudämmen. Sie sind die tragischen Helden dieses Films, die einen unsichtbaren Feind zu bekämpfen haben, aber dabei immer mehr den menschlichen Werteverfall mitansehen müssen. Geschäfte und Häuser werden überfallen und geplündert, Impftermine werden per Tombola verlost. Das größte Identifikationspotenzial bietet aber die Perspektive des guten Familienvaters. Er und seine Tochter müssen miterleben, wie seine Frau an den Folgen der Infektion stirbt. Gerade hier nun lässt dieser Film, in traditioneller amerikanischer Mainstream- -Manier tief in die amerikanische Seele blicken: In Contagion ist bereits zu Anfang das große amerikanische Allheilmittel bedroht, das für den Mittelstand gleichsam gegen die Schrecken der Welt steht: die Familie. Die Frau hat nämlich ein heimliches, außereheliches Verhältnis mit ihrem einstigen Ehemann in Chicago. Insofern sind die Erkrankung durch das Virus und die anschließenden Symptome nur die äußerlichen Folgen des moralischen Fehltritts. Der innere Dämon nimmt äußere Gestalt an. Sein angedeutetes Happy End überlagert Contagion dann auch kaum verwunderlich mit einer verunsichernden Rückblende zu der Infektion, mit der alles angefangen hat: dem Seitensprung. Es ist Beth, die das Virus in einem Restaurant beim ehebrecherischen, romantischen Rendez-Vous einfängt und in die USA bringt.

Damit ist ein wesentliches Element des Katastrophenfilms getroffen: Die drohende Auflösung der amerikanischen Kernfamilie, darin liegt die wahre Apokalypse, die es gilt aufzuhalten. Davon erzählt eine Vielzahl der Katastrophenfilm in seinem Kern immer wieder. Dysfunktionale Familienbeziehungen ziehen die Katastrophen förmlich an. Die tatsächliche Bedeutung einer zerbrechenden Familie lässt sich im US-Mainstream-Blockbuster nicht darstellen, da nämlich sind die Grenzen des Zeigbaren erreicht – zuvor muss schon die Welt untergehen, bevor sich die Familie auflöst. Es ist das unterschwellige diskursive Ziel, dem sich all diese Filme verpflichtet sehen. Nicht umsonst ist Steven Spielberg zu dem populärsten Blockbuster-Autor Hollywoods avanciert. Seine Verklärung der Suburbia ist dabei freilich nur ein Teilaspekt, seine kommerziell erfolgreichsten Filme bedienen ebendiese Muster des Katastrophenfilms sehr genau: Sein Dino-Spektakel Jurassic Park (1993) oder sein Post 9/11-Film War of the Worlds (2005) erzählen ganz nebenbei von zerrütteten Familien, von Scheidungskindern und von der resoluten Annahme oder der Wiederfindung der Vaterrolle – es ist dies die höchste aller amerikanischen Heldentaten, so diese Filme. Gerade aber jüngere Filmbeispiele des Katastrophenfilms belegen, wie reißbrettartig sie entworfen sind und wie virtuos im Umkehrschluss die Erzählkunst eines Steven Spielberg doch ist: Die Ursache der Katastrophe ist zum einen die unberechenbare Natur, so in The Day After Tomorrow (2005) oder 2012 (2009) von Roland Emmerich, wo einmal eine verheerende Eiszeit bevorsteht und einmal die ganze Welt aufgrund der Erderwärmung zunichte zu gehen droht und immer wieder ein Vater wieder Vater werden und die Familie zusammenhalten muss. Ferner noch in Juan Antonio Bayonas The Impossible (2012), wo ein Tsunami das Familienglück auseinanderreißt, oder noch in Green Land (2023), wo ein Meteoreinschlag unmittelbar bevorsteht und der Schwiegervater zum Helden dann verbittert raunend die Ursache der Katastrophe auf den Punkt bringt: „Every marriage goes through shit at times but that doesn‘t mean you should jump into another woman‘s bed.“ So entwickeln diese Katastrophenszenarien neben ihrem spektakulären und actionreichen Gehalt im Zeitalter der digitalen Abbildungen ebenso tröstend dramatische Liebesgeschichten, die ver- und absichernd wirken. Die reinste Katharsis und die Zementierung einer amerikanischen Ideologie.

Marc Trappendreher
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