Der Ausverkauf

d'Lëtzebuerger Land vom 23.11.2018

Die Nachricht hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet und sie versetzt den weiblichen Teil der gebietsansässigen Bevölkerung in Aufruhr: Die. Lingerie. Pompadour. verkauft aus. Das kleine, unscheinbare Geschäft in der Avenue de la Liberté, gleich neben dem Ministerium für den öffentlichen Dienst, schließt in wenigen Wochen seine Türen für immer, weil das Gebäude verkauft wurde und alle Mieter rausmüssen.

Warum das Frauen aus allen Ecken des Landes in Panik versetzt? Die Lingerie Pompadour ist Institution und unersetzbar. Seit Jahrzehnten wird dort Damenunterwäsche von höchster Qualität verkauft und das Geschäft hat sich kaum verändert. Die Zeit steht dort auf eine gute Art still. Der unbeabsichtigte Retro-Look vereinfachte vielen Kundinnen den Schritt über die Ladenschwelle. Beispielsweise den Frauen, denen winzige Dessous auf spindeldürren Mannequins in unnatürlichen Posen in den Vitrinen anderer Lingerie-Geschäfte vermitteln, dass sie mit einem Körper außerhalb der gängigen Schönheitsnorm nicht willkommen sind, beziehungsweise, dass Frauenunterwäsche hauptsächlich Männern zu gefallen hat und Accessoire beim Geschlechtsverkehr ist. Die Vitrine der Lingerie Pompadour zeigte immer eine unwahrscheinliche Mischung aus Reizwäsche, Wäsche, die eine Frau möglicherweise einen ganzen Tag schmerzfrei tragen könnte und dem einen oder anderen Bademantel, wie ihn ältere Damen für einen Krankenhausaufenthalt bevorzugen.

Auch die Mitarbeiterinnen wechselten in all den Jahren nicht. So wurden Kundinnen immer von den gleichen fachkundigen Verkäuferinnen beraten, die mit ihnen älter wurden und denen meistens ein Blick reichte, um zu entscheiden, ob A, B, C, D, E, F, G, größer oder kleiner erforderlich waren. Daran erinnerten sie sich dann auch noch beim nächsten Mal. Sie behielten, welches Modell von welchem Hersteller welcher Kundin passte, was nebenher den Männern der Kundinnen das Geschenkekaufen wesentlich erleichterte. Und weil ganze Familienclans über Generationen dort ihre Büstenhalter kauften, wussten sie darüber hinaus auch noch, welches Modell der Großmutter, der Mutter, der Schwester, der Tochter oder dieser und jener Freundin saß. In winzigen Umkleidekabinen im Hinterzimmer verkauften sie, ohne Aufregung aber bestimmt – „Umdrehen, Arme heben, bücken, ist alles drin, zwickt nicht“ – nur, was wirklich passte und nichts, von dem sich die Kundin wünschte, dass es gepasst hätte. Dazu hielten sie immer Größen bereit oder bestellten Modelle, von denen andere Geschäfte behaupten, dass es sie nicht gibt. Dadurch, dass sie für jeden Busen einen passenden BH parat hatten, trugen die Damen der Lingerie Pompadour nicht unwesentlich dazu bei, das Selbstbild vieler Frauen und deren Verhältnis zu ihrem Körper zu verbessern. Dafür gebührt ihnen großer Dank.

In der Anti-Boudoir-Stimmung der kleinen Anprobe gab es keine Privatsphäre, nur die sachliche, manchmal scherzhafte Auseinandersetzung mit BH-Taschen- und Rücken-Größen sowie Formen. Das trug immer auch zu einer gewissen Solidaritätsbildung bei – vor den Verkäuferinnen der Lingerie Pompadour waren die unterschiedlichsten Brüste gleich –, und dieser Effekt ist dieser Tage umso stärker, da viele treue Kundinnen versuchen, noch einmal „ihr Modell“ zu ergattern. Halb bekleidet teilen dort Wildfremde allen Alters und jeden sozialen Stands ihr Bestürzung über die anstehende Ladenschließung, planen nur halb im Scherz Protestaktionen beim Immobilieneigentümer oder kündigen trotzig an, die kommenden 20 Jahre überhaupt keinen BH mehr zu tragen. Den anderen versuchen die Mitarbeiterinnen noch einmal einen BH zu bestellen, bevor sie zu den Feiertagen endgültig schließen. ms

Michèle Sinner
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