Freie Fahrt für freie Bürger?

d'Lëtzebuerger Land du 27.01.2017

Was Luxemburg durch die geplante Einführung der PKW-Maut auf deutschen Autobahnen zu befürchten hat? „Nichts“, antwortet Infrastrukturminister François Bausch (Déi Gréng) prompt. „Es gibt keinen direkten Nachteil, eher das Gegenteil.“ Negative Folgen, meint Bausch, seien höchstens für den Handel in Rheinland-Pfalz zu befürchten, obwohl eine Tagesvignette eigentlich günstig sei. Seine Aussagen stehen in einem gewissen Kontrast zu denen, die Staatsminister Xavier Bettel (DP) vor zwei Wochen beim Besuch der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Maut machte. „Ich habe mit der Bundeskanzlerin darüber gesprochen und ihr unsere Ängste mitgeteilt. Für uns gehört Straßenverkehr zu den Freiheiten in Europa, und dass es auf jeden Fall nicht eine Diskriminierung geben darf zwischen EU-Bürgern und Nicht EU-Bürgern.“

Am Mittwoch nahm die deutsche Regierung einen neuen Gesetzeentwurf an, der die eigentlich schon 2015 durch Bundestag und Bundesrat beschlossene Infrastrukturabgabe, wie die Maut offiziell heißt, anpassen soll. Denn dass PKW-Halter bisher noch frei und ungehemmt über deutsche Autobahnen brausen können, ist der EU-Kommission zu verdanken. Weil deutschen PKW-Haltern die Maut via KFZ-Steuer zurückerstattet werden sollte, ausländischen Fahrern hingegen nicht, hatte die Kommission wegen Diskriminierung mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gedroht. Ende vergangenen Jahres einigten sich Berlin und Brüssel darauf, dass der Rückerstattungsgrad an den Schadstoffausstoß der Autos gekoppelt wird. Geld zurück bekommen aber weiterhin nur die Deutschen.

„Ausländermaut“ nennen Kritiker deshalb die deutsche Autobahngebühr. Am Mittwoch organisierte Österreich mit anderen Anrainer-Staaten Deutschlands einen Anti-Maut-Gipfel in der belgischen Hauptstadt. Bei diesem Treffen ließ sich François Bausch durch einen Beamten vertreten. Bausch hat ein juristisches Gutachten in Auftrag gegeben, um zu prüfen, inwieweit die deutsche Maut ausländische, also auch luxemburgische, Autofahrer diskriminiert. Je nachdem, was das Gutachten ergebe, behalte er sich das Recht auf eine Klage vor, sagt Bausch.

„Maut-Maulerei“ nennt CSU-Verkehrsminister und Vater der PKW-Maut Alexander Dobrindt das Vorgehen Österreichs. Er wirft den Maut-Gegnern im Ausland vor, mit der deutschen Maut Innenpolitik zu betreiben. Auch Österreich verlangt zur Nutzung seiner Autobahnen eine Gebühr. Eine österreichische Jahresvignette kostet 2017 86,40 Euro.

Dabei ist es längst nicht so, als ob es keinen innerdeutschen Widerstand gegen die Infrastrukturabgabe gebe. Nicht einmal innerhalb der Union gibt es vorbehaltlose Unterstützung für das Projekt. Der Spiegel berichtete vergangene Woche, Schätzungen des Finanzministeriums von Wolfgang Schäuble zufolge drohe die Maut zum Minusgeschäft zu werden. Einer vor zwei Wochen vom Bundesverkehrsministerium veröffentlichten Berechnung zufolge erwartet sich Dobrindt aus dem Verkauf der Vignetten einen Erlös von 3,7 Milliarden Euro, wovon 834 Millionen Euro von Ausländern gezahlt werden sollen. Wurde deutschen Fahrern über die KFZ-Steuer ihre Vignette erstattet, sollen jährlich netto 500 Millionen Euro mindestens übrigbleiben, verspricht der deutsche Verkehrsminister weiterhin. Doch weil ein immer größerer Anteil des deutschen Fuhrparks die höchste Euro-Abgasnorm erfüllt, muss nach Dobrindts Kompromiss mit der EU-Kommission mehr Geld via KFZ-Steuer zurückerstattet werden, zwischen 100 und 120 Millionen jährlich. Die Maut, erklärte Dobrindt am Mittwoch im ARD-Morgenmagazin, stelle einen Systemwechsel dar, weg von der Steuerfinanzierung hin zur zweckgebundenen Nutzerfinanzierung. Der Bundeshaushalt sieht dieses Jahr Investitionen von 8,6 Milliarden Euro in die Bundesfernstraßen vor. Mit 500 Millionen wird ein Verkehrsminister da nicht viel ausrichten können – in Luxemburg kostet ein Kilometer Autobahn 6,5 Millionen Euro im Bau und 250 000 Euro im Unterhalt.

Wenn die Maut kommt, haben Luxemburger, die über die Autobahn nach Trier oder ins Saarland zum Einkaufen fahren, die Wahl zwischen einer Zehntages-, einer Zweimonats-, und einer Jahresvignette. Je nachdem, welches Auto sie fahren, kostet die Zehntagesvignette zwischen 2,50 und 25 Euro, die Zweimonatsvignette zwischen sieben und 50 Euro und eine Jahresvignette zwischen 20 und 130 Euro.

Genau aus diesem Grund regt sich auf Bundesländerebene vor allem in den Grenzregionen Widerstand. „Diese Maut braucht die Welt nicht“, sagt der Trierer Oberbürgermeister Wolfram Leibe, „und Trier schon gar nicht!“ Ein Drittel des Umsatzes des Trierer Einzelhandels gehe auf die Luxemburger Kundschaft zurück, was für ihn die Frage aufwirft: „Lassen sich die Nachbarn durch die Maut abschrecken?“ Er wisse wohl, meint Leibe, dass die Maut elektronisch entrichtet werden könnte. „Aber“, wirft er ein, künftig „muss man vorher darüber nachdenken, anstatt einfach loszufahren.“ Ob die Luxemburger dann nicht lieber nach Metz fahren, anstatt nach Trier?

Ähnlich sehen das die Landesriegerungen von Rheinland-Pfalz und dem Saarland. „Ich bekräftige meine Ablehnung der PKW-Maut“, ließ der rheinland-pfälzische Verkehrsminister Volker Wissing am Mittwoch mitteilen. „So erwirtschaftet der Einzelhandel in Trier gut zehn bis 15 Prozent seines Umsatzes mit Kunden aus Luxemburg. Bei einem Gesamtumsatz von 1,1 Milliarden Euro im Jahr 2011 sind das 165 Millionen Euro. Die Bundesregierung zwingt nun diese Menschen, vor einem Einkaufsbummel bei uns eine Eintrittskarte zu kaufen. Das kann ich nicht gutheißen.“ Wissing fordert, dass erst nach der Bundestagswahl über die Maut entschieden wird.

„Diese Maut braucht kein Mensch“, so die Aussage der saarländischen Verkehrsministerin Anke Rehlinger via E-Mail. „Sie macht viel Arbeit, bringt aber wenig. Wir haben zu Frankreich und Luxemburg 160 Kilometer Grenze. Wie soll eine Maut da folgenlos bleiben? Wenn Tagesbesucher aus den Nachbarländern sich für den Einkauf oder den Besuch von Kulturereignissen und touristischen Orten im Saarland erst eine Vignette ziehen müssen, dann motiviert das nicht gerade.“

Um den Grenzverkehr ungehemmt rollen zu lassen, befürwortet der Trierer Oberbürgermeister Wolfram Leibe eine Pufferzone von 30 bis 50 Kilometern ab der Grenze. Ihrer Parteikollegin, der saarländischen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel noch vor zwei Wochen versprochen, weitere Gespräche über einen solchen „mautfreien Korridor“ zu führen. Doch am Mittwochmorgen erteilte Dobrindt diesem Vorhaben im Frühstücksfernsehen eine Absage. Als Kompromiss an die Grenzregionen habe man 2014 abgemacht, die Bundesstraßen für Ausländer mautfrei zu halten. „Zusätzliche Vorkehrungen sind nicht notwendig.“

Für deutsche Pendler, die nach Luxemburg zur Arbeit fahren und zurück, ändert sich durch die Maut nichts. Auch für den Warentransport bringt die Infrastrukturabgabe keine Veränderungen, in Deutschland zahlen LKW ohnehin schon Maut, für den Transit durch Luxemburg müssen sie eine Eurovignette erwerben, die auch in anderen Ländern gültig ist.

Schon jetzt, glaubt Infrastrukturminister François Bausch, würden viele Ausflügler nach Trier ohnehin die Landstraße statt der Autobahn benutzen, um den Stau in der Abfahrt nach Trier zu vermeiden. Vielleicht würden das in Zukunft noch mehr von ihnen tun. Aber weitreichende Folgen durch eine starke Verkehrsverlagerung befürchtet er deshalb nicht.

Michèle Sinner
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