Die Grenzkontrollen auf der A31 machen den Grenzpendlern das Leben schwer

Alltäglicher Wahnsinn

d'Lëtzebuerger Land du 04.12.2015

Montag, 17.09 Uhr, Gasperich. Das fängt ja gut an. Ein A1 mit Luxemburger Kennzeichen blockiert die zweite Spur Richtung Kreisverkehr vor dem Luxemburger Wort, damit ja kein Auto bis an deren Ende fahren und sich im Reißverschlussverfahren einreihen kann. Vielen Dank auch! Weiß der Fahrer nicht, dass die Insassen der Autos vor, neben und hinter ihm auch einen langen Arbeitstag hinter sich haben, hungrig sind und eigentlich nur nach Hause wollen?

Rechts entlang des CR231 aka Boulevard Raiffeisen, glitzert im Dunkel des verregneten Novemberabends der Crystal Park einsam im Ban de Gasperich. Die Mitarbeiter von PWC, bei denen der Firmenwagen, je nach Hierarchie klein oder groß, zum Vergütungspaket gehört, versuchen ebenfalls auf die Autobahn zu kommen. Die Mehrheit wahrscheinlich in Richtung Frankreich. Meist fängt der Stau im Feierabendverkehr hier an: am Gaspericher Autobahnkreuz, wo alle, die im Stadtzentrum, auf dem Kirchberg, oder aber in den Bürogebäuden in den neuen „Aktivitätszonen“ in Strassen, Bartringen und Leudelingen arbeiten, versuchen, sich Stoßstange an Stoßstange zwischen den Lastwagen, die Europa von Norden nach Süden durchqueren, auf die A3 zu quetschen. Aber kurz hinter dem Ende der Auffahrt beginnt der Verkehr dann meist wieder zu rollen.

Nicht so an diesem Abend, zwei Wochen nachdem die französische Regierung die Grenzkontrollen wieder eingeführt hat und damit 20 Kilometer Stau bis nach Luxemburg-Stadt verursachte. Die A3 ist – kaum zu fassen – fast leer. Luxemburg-Düdelingen, die Strecke ist in zehn Minuten geschafft, das ist rekordverdächtig schnell. Aber dann ist Schluss. Obwohl sich die Autos an der Ausfahrt Düdelingen drängen.

Dass hier die Grenze verläuft, ist, seit die Posten abgerissen wurden, nur noch an den Verkehrsschildern zu erkennen. Von Kontrollen aber ist hier nichts zu sehen. Die finden nicht an der Grenze statt. Sondern nahe Entrange. Ob dadurch verhindert werden soll, dass sich die A3 dauerhaft in einen Parkplatz verwandelt und der Stau sich auf französisches Staatgebiet beschränkt? Denn der Verkehr steht erst einmal völlig still. Lor’FM, meldet, dass der Stau auf der A31, wie die auch in Friedenszeiten völlig überlastete Autobahn auf der französischen Seite heißt, wächst. Aber auch in Foetz gibt es Probleme und in Esch, die Grenzübergänge in Rümelingen und Frisingen sind verstopft. Dass viele Grenzpendler versuchen, über die Landstraßen auszuweichen, könnte erklären, warum die A3 bis zur Grenze so leer ist. Auf der A31 geht es dennoch bestenfalls stockend voran.

Auf Lor’FM laufen die für französische Sender obligat hysterisch klingenden Werbungen. Ein Mann erklärt seiner devoten Ehefrau, wie viel Strom sein Arbeitgeber durch seine Initiative spart: „ah, chéri – super!“. Im Osten schimmern die vier Wasserdampfsäulen des Atomkraftwerks in Cattenom hell wie überdimensionierte Litfaßsäulen. Während die Abgase des Lastwagens, der die Sicht blockiert, durch die Heizung ins Wageninnere dringen, erklärt der Sprecher im Nachrichtenüberblick wenig später, dass die Staats- und Regierungschefs beim Auftakt des Klimagipfels jeweils drei Minuten Redezeit zur Verfügung hatten. Drei Minuten, um ein Plädoyer für die Rettung der Erde zu halten. Cattenom leuchtet gespenstisch schön.

17.56 Uhr, nahe der Ausfahrt Hettange. Es staut immer noch auf der A31, sagt Lor’FM, auf der Luxemburger A4 in Foetz, in Esch, Düdelingen, Frisingen, und Rümelingen... Luxair Tours informiert die lothringische Kundschaft, dass die Ferien im Bus beginnen, der sie für wenige Euro nach Findel bringt – wer möchte auch schon durch den Verkehr nach Luxemburg fahren, um dann für teures Geld am Flughafen zu parken? Cactus informiert seine lothringische Kundschaft, dass diese Woche das Hunde- und Katzenfutter im Sonderangebot ist. Ob das eine neue Souveränitätsnische wird? Wie zur Strafe für alle diejenigen, die dem eindringlichen Appel der Luxemburger Regierung, die ebenso überlastete und unzuverlässige Bahn zu nutzen, nicht gefolgt sind, spielt der Radio-DJ David Guetta. Erbarmen, liebe französische Freunde: ihr solltet das Mitgefühl der internationalen Gemeinschaft nicht überstrapazieren!

18.22 Uhr. Aufleuchtende Dreiecksschilder kurz vor der Aire de Thionville signalisieren, dass der Verkehr ab hier auf eine Fahrbahn begrenzt wird. Blaulicht kreist über der Autobahn, Scheinwerfer beleuchten den Bereich, in dem ein paar Polizeiautos und einige wenige Beamte stehen. Richtung Frankreich winken sie niemanden aus der Kolonne. Ob es daran liegt, dass alle unverdächtig aussehen? Oder ist auch den Beamten bewusst, welche Tortur die Kontrollen für die Grenzpendler, die ihnen jeden Tag ausgeliefert sind, darstellen, und sie wollen deshalb nicht noch mehr Stau provozieren, als unbedingt notwendig? Eine Stunde, um sieben Kilometer zurückzulegen – man könnte schneller laufen und würde dabei noch nicht einmal schwitzen.

Richtung Luxemburg läuft der Verkehr ungehindert. Auf den Nebenstraßen hat sich die Situation ebenfalls entspannt. Die Grenze in Frisingen ist problemlos passierbar, Kontrolle gibt es hier weit und breit keine. RTL Radio meldet, dass CNN melde, dass Saleh Abdeslam, dem noch flüchtigen Attentäter der Pariser Anschläge, die Flucht nach Syrien gelungen sein soll.

Dienstagmorgen, 06.40 Uhr. Auf der A3 stehen die Autos in Richtung Stadt schon fast bis zur Aire de Berchem, der allmorgendliche Trek setzt sich früher in Bewegung – um diese Zeit konnte man sonst noch relativ ungehindert bis ins Zentrum fahren. In der Rue de Zoufttgen in Düdelingen treffen die Einheimischen und die Grenzpendler, die die Grenze auf Nebenstraßen überquert haben, aufeinander. Alle wollen auf die Autobahn. Alle müssen sich gedulden.

7.40 Uhr, Aire de Thionville nahe Entrange. Die französischen Beamten winken ein Auto mit Luxemburger Kennzeichen aus dem Verkehr. „Bonjour, une pièce d’identité s’il vous plait, Madame?“, fragt einer der drei Polizisten am improvisierten Kontrollposten. Er geht zu einem der vier Polizeiautos, einem Kastenwagen, französisches Fabrikat – Verbrechern in Eile nachsetzen könnte man damit kaum –, um die Echtheit der Papiere zu prüfen. Dann kontrolliert der Beamte den Kofferrauminhalt.

Nur drei Beamte besetzen den improvisierten Kontrollposten. Sie tragen Gummianzüge wie Seemänner, um dem Regen zu trotzen. Bewaffnet sind sie vor allem mit Taschenlampen, nur einer von ihnen trägt ein vergleichsweise harmlos aussehendes Gewehr, das er von Zeit zu Zeit, von der einen auf die andere Schulter schwingt. Ein Vermummungsverbot scheint es hier nicht zu geben. Einer von ihnen, der mit dem Gewehr, hat seinen Schal mehrmals um Kopf und Hals gewickelt. Seine Augen sind kaum zu sehen. Ob er zu den Beamten gehört, die ihre Identität schützen müssen? Würde er dann nicht eine dieser Schimützen tragen? Wahrscheinlich will auch er sich bloß vor der Nässe schützen. Bei jedem Lastwagen, der vorbeifährt, drehen alle instinktiv den Kopf weg. Das Wasser spritzt, von den Reifen aufgesprüht, in alle Richtungen. Die nationale Sicherheit ist kein glamouröser Job.

Die Polizisten winken Autos mit Luxemburger Kennzeichen raus, mit französischen; wenn es ein Muster gibt, kennen es nur die Beamten. Bereitwillig zeigen die Fahrer ihre Papiere, öffnen den Kofferraum, steigen wieder ein. Wer sollte es angesichts der Tragödie in Paris auch wagen, Sinn und Zweck der Aktion anzuzweifeln? Obwohl eventuelle Terroristen trotz intensiver Gehirnwäsche wahrscheinlich nicht so blöd wären, in die Kontrolle zu fahren, sondern, wie viele andere auch, die Landstraßen nutzen würden.

Die Sicherheitsbeamten stoppen den Verkehr, damit die Kontrollierten wieder anfahren können. Über dem Verkehrslärm dröhnt das Geräusch des Generators, an dem die Tatortlampe hängt, die für bessere Lichtverhältnisse bei der Kontrolle sorgt.

Auf der Gegenfahrbahn Richtung Luxemburg staut sich der Verkehr bis nach Thionville. Auf der rechten Fahrbahn stehen die Lastwagen dicht an dicht. Ob die Just-in-Time-Warenlieferung da noch hinhaut, ist zu bezweifeln. Denn laut Bison futé staut es auf der A31 seit 05.31 Uhr. Es ist abgesehen, von einem Baustellenabschnitt auf der Autobahn von Paris nach Lyon, der einzige Stau im französischen Autobahnnetz und er wird sich bis Mittwoch nicht mehr auflösen.

Mittwoch, 16.45 Uhr. Der Stau vor der Kontrolle in Entrange Richtung Metz ist bereits auf 20 Kilometer angewachsen, Stauende ist das Gaspericher Kreuz. Warscheinlich wäre der Stau noch länger, wenn die Autobahn länger wäre. Auf der Route de Thionville in Howald, Hesperingen und Alzingen geht es nur langsam voran. Auf der A4 hat es einen Unfall gegeben, auch da steht der Verkehr. Ebenso auf der Trierer Autobahn. Die Landstraßen Richtung Süden sind voller Autos mit französischen und deutschen Kennzeichen. Von Kockelscheuer zieht eine ununterbrochene Kolonne durch Roeser Richtung Frisingen. Im Inneren der Wagen leuchten die Displays der Navigationsgeräte derjenigen, die einen Ausweg suchen.

Michèle Sinner
© 2024 d’Lëtzebuerger Land