Innerhalb von nur einer Woche gab der grüne Nachhaltigkeits- und Infrastrukturminister François Bausch zwei lange Interviews; eines dem Tageblatt und eines dem Luxemburger Wort. Zu einem großen Teil drehten sich die Gespräche um Verkehr und Mobilität. Das ist nicht weiter erstaunlich in einem Land, das eine der höchsten Pro-Kopf-Motorisierungen in Europa hat und das auf weiteres Bevölkerungs- und Arbeitsplatzwachstum vorbereitet werden soll. François Bausch wiederholte, was sein politisches Credo seit seinem Amtsantritt ist: Alles sei nur eine Frage guter Planung und Organisation – die, so soll man das verstehen, von ihm geleistet wird.
Natürlich traf es sich gut, dass nur vier Wochen zuvor auf dem Kirchberg die Verlegung der Schienen für die neue Straßenbahn begonnen hatte: Das ist nicht nur ein sichtbares Zeichen, dass es vorangeht mit der Tram. Das Projekt, dessen erster, noch kleiner Abschnitt zwischen den Messehallen und der Roten Brücke Ende kommenden Jahres in Betrieb gehen soll, liegt bisher sowohl im Zeitplan als auch im Budget.
Aber die Tram und alle anderen großen Schienen-Infrastrukturprojekte, die derzeit in Arbeit sind, enthalten für François Bausch und die Grünen auch ein Problem: Es sind nicht „ihre“ Projekte.
Den politischen Tram-Konsens, dem damals nur die ADR sich nicht anschloss, schmiedete 2006 LSAP-Transportminister Lucien Lux. Dass er vor vier Jahren nicht zerbrach, war das Verdienst von CSV-Premier Jean-Claude Juncker und François Bauschs Vorgänger Claude Wiseler, die die Stater CSV endgültig auf Tram-Linie brachten.
Die Standseilbahn zwischen dem neuen Haltepunkt in Pfaffenthal und der Roten Brücke, die nächstes Jahr mit der Tram in Betrieb gehen soll, erhielt ebenfalls von der vorigen Regierung grünes Licht. Sie war es auch, die die Planungen für die neue Bahnlinie zwischen Luxemburg-Stadt und Bettemburg sowie für die „Peripheriebahnhöfe“ in der Hauptstadt anschob. Wie Zug, Tram und Bus zusammenspielen und vernetzt werden sollen mit Auto und mit „sanfter Mobilität“, beschreibt Modu: Es ist das erste „Mobilitätskonzept“, das diese Bezeichnung verdient. Denn es listet nicht nur Infrastrukturen auf, sondern denkt sie zusammen, um den Leuten besser von A nach B zu verhelfen. Und sie dabei stärker als bisher den öffentlichen Verkehr benutzen, Rad fahren oder zu Fuß gehen zu lassen. Erarbeitet aber wurde auch Modu noch unter Claude Wiseler, mitsamt dem „urgrünen“ Kapitel über die „sanfte Mobilität“. François Bausch lässt nun alles umsetzen. Viel mehr zu tun, steht auch nicht im Koalitionsprogramm von DP, LSAP und Grünen.
Weil so viele Messen politisch längst gelesen sind und nur noch umgesetzt werden müssen, hatten Déi Gréng und ihr „Superminister“ für Transport, öffentliche Bauten und Landesplanung noch nie in dieser Legislaturperiode Anlass, für ein Mobilitätsvorhaben zu kämpfen. Da es Visibilität kostet, wenn einem Minister nur das bestmögliche Verwalten bleibt, erzählt François Bausch nicht nur bei jeder sich bietenden Gelegenheit, welch guter Manager er sei. Er verbreitet auch die Legende, unter ihm habe der „Paradigmenwechsel“ eingesetzt, für die Schiene mehr Geld als für den Straßenbau auszugeben. In Wirklichkeit war das seit der Jahrtausendwende nie anders. Sogar, dass derzeit rund doppelt so viel in Schienen- wie in Straßenprojekte investiert wird, ist nicht neu und wurde unter früheren Regierungen zum Teil überboten (siehe „Infrastrukturausgaben für Schiene und Straße).
Da ist es umso ärgerlicher, wenn, obwohl Grüne politisch verantwortlich sind, Mobilitätsprobleme fortbestehen, deren Behebung weder viel Planungsaufwand noch Investitionen in Millionenhöhe kostet: Zügig von A nach B zu gelangen, ist in erster Linie eine Frage des „Gewusst wie“. Doch mögen Zug und Bus schon jetzt besser aufeinander abgestimmt sein, noch ehe jene über Land verteilten „Umsteigepole“ eingerichtet sind, die das Modu-Konzept erwähnt: Wo die Verkehrsmittel sich begegnen, sind Informationen rar. An keinem Bahnhof gibt es Hinweise, wie man im Überlandbus weiterkommt. Busnetzpläne hängen nicht aus und meist auch keine Übersicht, an welcher Haltestelle welcher Bus mit welchem Fahrziel abfährt.
Geradezu beschämend ist die Lage in der Hauptstadt, an deren Hauptbahnhof Reisende, die den Zug verlassen, nicht über das Stadt- und Überlandbusangebot informiert werden. Am Montag dieser Woche war auf dem Bahnhofsvorplatz ein riesiges Transparent aufgehängt worden, das über Buslinienänderungen wegen der Braderie aufklärte. Statt es anschließend durch eines zu ersetzen, das an so prominenter Stelle die normale Linienführung der Stadtbusse zeigt, wurde nach Ende des Billig-Einkauftags wieder die gelbe Riesentafel mit Haltestellenverlegungen aufgrund der laufenden Kanalarbeiten angebracht. Auch im Bahnhof selbst, an den Ticket-Automaten etwa, gibt es nach wie vor keine Hinweise darauf, wo es abgesehen vom Zug noch andere Verkehrsmittel gibt und wohin sie fahren. Vor einem Jahr hatte die darauf vom Land angesprochene CFL-Direktion erklärt, bis Ende 2015 würden im Bahnhof die Informationsflüsse grundlegend überarbeitet. Dabei werde in „Mobilitätsketten“ gedacht (d’Land, 26.06.2015). Geschehen ist nichts. Der wichtigste Bahnhof im Land ist als Mobilitätsdrehscheibe nach wie vor kaum zu gebrauchen.
Am Freitag nächster Woche beginnt wieder eine „Mobilitätswoche“. Kommenden Montag findet dazu die obligatorische Pressekonferenz statt. Informationen des Land zufolge soll dort eine neue Smartphone-App angekündigt werden. Das ist vielleicht nötig: Die aktuelle App mobiliteit.lu bereitet Probleme. Immer wieder meldet sie, dass Busfahrten ausfallen würden. Wer bei ihrer großen Schwester, der Webseite mobiliteit.lu, nachschlägt, liest dagegen, die Fahrt finde ganz normal statt. Dass die App bestimmte Busverbindungen gar nicht aufführt, kommt ebenfalls vor.
Gutschreiben können die Verkehrsbetriebe und der Minister sich, dass in die Überlandbusse in den letzten Wochen die Echtzeit-Fahrgastinformation dank des neuen Leitsystems allmählich Einzug hält und die in den Bussen angebrachten Bildschirme nicht mehr nur Reklame-Dias des Verkéiersverbond zeigen. Bis das in sämtlichen RGTR-Bussen der Fall ist – weit über tausend wurden mit Bildschirmen für die Passagiere und mit Computer-Terminals für die Busfahrer ausgestattet –, dürfte aber noch einige Zeit vergehen. Bis an ausgewählten Überlandbushaltestellen die Echtzeit-Anzeigetafeln in Betrieb gehen, ebenfalls.
Die brisanteste Frage, die sich um den öffentlichen Transport und die Mobilität stellt, hat wiederum mit Infrastrukturen zu tun. Bis Großvorhaben zu Ende gedacht sind, über sie politisch entschieden worden ist, sie fertig geplant sind, so dass ein Finanzierungsgesetz verabschiedet werden kann, vergehen Jahre. Dann beginnt der ebenfalls jahrelange Bau. Die Tram ist dafür das eindrucksvollste Beispiel: Geht sie 2021 zwischen Flughafen und Howald in Betrieb, werden 30 Jahre seit der ersten Studie für das BTB-Konzept vergangen sein. Die Liste der Beispiele aber ließe sich fortsetzen. Eine zusätzliche Bahnstrecke zwischen Luxemburg-Stadt und Bettemburg hielt schon DP-Transportminister Henri Grethen für nötig und nahm sie in sein Infrastrukturkonzept mobilitéit.lu auf, genauso wie den Ausbau des Viadukts Pulvermühle. Dieser könnte bis Ende 2018 abgeschlossen sein. Für die Bettemburger Neubaustrecke dagegen begann im vergangenen Jahr die Flurbereinigung. Wird der nur sieben Kilometer lange Schienenstrang wie geplant Ende 2020 fertig, werden mehr als zwei Jahrzehnte vergangen sein, seit die CFL diese Strecke 1999 in einem Plan directeur für Henri Grethen als äußerst prioriär eingestuft hatten.
Angesichts des Tempos, mit dem die Zahl von Einwohnern und Arbeitsplätzen in den vergangenen Jahren wuchs, und der Aussicht, dass es in diesem Tempo weitergehen könnte, fragt sich nicht nur, ob, was bisher im Bau oder in Planung ist, ausreichen wird. Es fragt sich auch, ob man auf die richtigen Verkehrsmittel setzt.
1999 hatte die DP zwar das BTB-Konzept zu Fall gebracht und den „Zuch duerch d’Nei Avenue“ verhindert. Doch abgesehen von dem Teilstück zwischen der Oberstadt und dem Hauptbahnhof hielt auch DP-Minister Grethen an den „Train-Tram-Zügen“ aus BTB fest, die sowohl auf klassischen Bahngleisen fahren wie auch in Ortschaften auf Gleisen, die etwas breiter sind als Straßenbahngleise. Ironischerweise verstand und verkaufte Henri Grethen Train-Trams stärker als eine Lösung für das ganze Land als seine unglückliche LSAP-Vorgängerin Mady-Delvaux-Stehres, die BTB vor allem als etwas für die Hauptstadt propagiert hatte. In seinem Konzept mobili-téit.lu stellte Henri Grethen sich Train-Trams neben klassischen Zügen auf den Gleisen der CFL vor und wollte sie in kürzeren Zeitabständen verkehren und mehr Haltestellen anfahren lassen.
Dieser Ansatz floss 2004 auch in das berühmt gewordene IVL-Konzept ein, jenes Leitbild zur Landesentwicklung, auf das sich heute noch jeder gerne beruft. Allerdings ging das IVL noch weiter: Es riet, die Train-Tram-Verbindung zwischen Luxemburger Oberstadt und Bahnhof doch zu bauen. Im Süden des Landes müssten regionale Train-Tram-Verbindungen her – teils auf bestehenden CFL-Gleisen, teils auf neuen Train-Tram-Gleisen, die leichter zu bauen und in Ortschaften hinein zu verlegen sind. Nur dann werde sich, so das IVL, mit Ach und Krach das politische Ziel eines Modal split von 25 Prozent Nutzung des öffentlichen Transports im Jahr 2020 erreichen lassen. Wobei das IVL davon ausging, das dann im Großherzogtum 511 000 bis 565 000 Menschen leben würden und die Zahl der Grenzpendler auf 91 000 bis 136 000 wüchse.
Weil die CFL Train-Trams auf ihren Gleisen nie haben wollten und nichts weiter unternahmen, um den diversen Regierungen klarzumachen, dass für solche Züge die Infrastruktur nicht ausreiche, vorher zumindest die neue Bettemburger Strecke gebaut und ein neues Zug-Kontrollsystem in Betrieb sein müsste, wurde BTB 2006 zum „liichten Tram“ umkonzipiert und nach außen als die viel bessere Lösung gepriesen. Was es auch politsch leichter machte, den damaligen DP-Hauptstadtbürgermeister Paul Helminger mit ins Boot zu holen und es so aussehen zu lassen, als sei eine Straßenbahn durch die Avenue de la Liberté etwas ganz anderes als ein „Zuch“.
Weil der politische Konsens vom März 2006 über den „liichten Tram“ bis zur Verabschiedung des Finanzierungsgesetzes fragil war, mochte anschließend kein Transportminister mehr das Wort „Train-Tram“ hören. Stattdessen wird stärker auf Busse für Überlandtransporte gesetzt. Und erklärt, an den „Umsteigepolen“ werde der Umstieg ganz leicht, und dank Leitsystemen und Apps werde jeder jederzeit gut informiert.
Das aber wurde bisher noch nicht in der Praxis getestet. Und wenn das so hochgelobte und von internationalen Experten begleitete IVL seinerzeit für 565 000 Einwohner und bis zu 136 000 Pendler keine Busse vorsah, fragt sich, wie in einer nicht allzu fernen Zukunft 700 000 bis 800 000 Einwohner und vielleicht 200 000 Pendler ohne Auto mobil genug bleiben sollen. Anfang dieses Jahres lag die Einwohnerzahl bei 576 000, die Grenzpendlerzahl betrug Ende April knapp 180 000.
Weil Déi Gréng sich zwar über die Tram für die Hauptstadt freuten, sich aber nie ganz von Train-Trams verabschiedet und deren Vorteile nicht vergessen hatten, versprachen sie in ihrem Wahlprogramm 2013 den Bewohnern der Südregion noch jenes Train-Tram-System, das im IVL für unverzichtbar gehalten worden war. François Bausch dagegen kündigte im Mai an, ein „Hochleistungsbusnetz“ ähnlich dem Metzer Mettis planen zu wollen, und mittlerweile heißt es, eine derartige Busverbindung könnte auch zwischen Esch/Alzette und dem Ban de Gasperich eingesetzt werden. Und vielleicht in der Nordstad entlang der „Zentralen Achse“ zwischen Ettelbrück und Diekirch, sofern der Diekircher Bürgermeister, der immerhin auch LSAP-Präsident ist, seinen Widerstand gegen die Abschaffung der Bahnlinie nach Diekirch aufgibt.
So dass der Bus sich als Überland-Transportmittel der Zukunft weiter durchzusetzen scheint. Die Frage ist nur, ob er, mitsamt den Notwendigkeiten, an „Polen“ umzusteigen, attraktiv genug sein wird, damit das Auto in der Garage oder auf einem Park-and-Ride-Platz an einem Umsteigepol bleibt. Verkehrsplaner wissen, dass ein schienengebundenes Verkehrsmittel von den Nutzern 40 Prozent attraktiver wahrgenommen wird als ein Bus. Und 2007 war ein Planungsbüro aus Straßburg und Karlsruhe in einer nie publik gemachten Studie für die Gemeinde Luxemburg und den damaligen Mobilitätsschöffen François Bausch zu dem Schluss gelangt, für eine Bevölkerung von 650 000 im Jahr 2030 benötige Luxemburg nicht nur mehr als eine Tram-Linie in der Hauptstadt, sondern zusätzlich eine Art „S-Bahn“ aus Train-Trams, die bis in die Grenzgebiete fahren würden.
Korridore für zwei weitere Tram-Linien sind im Entwurf zum neuen Stater PAG vorgesehen. Dass die Regierung und ihr Nachhaltigkeits- und Infrastrukturminister den Bus infrage stellen könnten, wenn im Herbst eine Art „Zukunftstisch“ stattfindet, ist nicht sehr wahrscheinlich, weil politisch heikel. Aber immerhin soll Anfang 2017 auch eine neue Runde Plans sectoriels in die Prozedur geschickt werden. Dann müsste die Regierung auch sagen, wie ihrer Ansicht nach ein 800 000-Einwohnerstaat mobil bleiben könnte. Sonst könnte es in 20 Jahren womöglich heißen, ausgerechnet eine Koalition mit den Grünen habe die Weichen falsch gestellt, und in einem Archiv könnte das Wort-Interview vom 18. Februar 2016 gefunden werden, in dem der grüne Minister erklärt hatte: „Die beste Mobilität ist die, die man verhindert.“