Lernen, aus Prinzip

Museen sind für alle da

d'Lëtzebuerger Land vom 23.03.2000

"Museen sind Friedhöfe des Wissens, in denen es eine Auferstehung geben muss." So umschrieb vor  zwei Jahren ein Gast aus England im hauptstädtischen Casino den Funktionswandel der Museen. Who needs museums? war das Gesprächsthema des Abends. Alle brauchen sie, das war die kurze und prinzipielle Antwort von David Anderson, Leiter  der Bildungsabteilung im Victoria and Albert Museum in London. Denn es  sei doch so: Die elektronischen Medien, vor allem die virtuel-len, machen dem Museum als Institution zur Speicherung und Weitergabe von Wissen ernsthaft Konkurrenz. Gleichzeitig aber gehen die öffentlichen Fördermittel zurück. Als ein Ort, in dem die Menschen entlang der Ausstellungsvitrinen defilieren, sei das Museum nicht mehr lange zu halten, und es bleibe, folgerte Mister Anderson, nur ein Ausweg: das Museum müsse neu erfunden werden. Der britische Weg dahin heißt: the principle of learning.

Zwar ist in Luxemburg das Denken in Kästen noch weit verbreitet, es werden Museumsneubauten ge-plant, auch wenn man noch nicht weiß, was genau später dort gemacht werden soll. Doch die Erfahrung zeigt: Museumspädagogik und Ani-mation im Museum werden immer wichtiger. Wer nach dem Prinzip "Friss, Vogel, oder stirb!" die Ausstel-lungshäuser nur mit Exponaten bestückt und hofft, dass sich in ausreichender Zahl Besucher einstel-len, setzt die Zukunft seines Hauses auf Spiel. Führungen, von Fachleuten veranstaltet und lange Zeit das Maximum an Pädagogik, das dem Publikum zugemutet wurde, bringen es heute auch nicht mehr: "Dabei hat jemand das Redemonopol, und die anderen müssen zuhören", sagt Mady Mailliet, Leiterin des Service éducatif im hauptstädtischen Museum für Stadtgeschichte. Einer solchen Frontal-Belehrung müs-sen die Besucherinnen und Besucher eines Museums sich aus-setzen wollen. Mit anderen Worten: Sie müssen interessiert sein, haben vielleicht schon Vorkenntnisse, die sie vertiefen möchten. Der Mu-seumsbesuch wäre für diese Besucher auch ohne Führung lohnend. Sie brauchen allenfalls zum Verständnis des einen oder anderen Exponats noch einen geeigneten "Schlüssel". Wie aber lassen sich die erreichen, für die ein Museumsbesuch nur selten oder gar nicht in Frage kommt?

Animation, spielerisches Selbermachen, Originalität - das sind die Stichworte, die von den Mitarbeitern der Services éducatifs der Museen in diesem Zusammenhang gebraucht werden. Mady Maillet zählt auf, was sie schon alles mit Schulklassen unternommen hat: eine Ausstellung über Luxemburg im Mittelalter wurde lebendiger, als man gemeinsam mittelalterliche Rezepte nachkochte; als eine Porzellan-Ausstellung zu sehen war, konnten die Schüler im Keller aus Porzellanscherben Figuren zusam-men setzen. Und für die Ausstellung zum Thema Hexen, die demnächst anlaufen wird, stehen Kräuter-Ateliers, die Herstellung von Crèmes, Hexentanz-Seminare, Hexenbesen-Basteln und ein Improvisationstheater-Work-shop mit Hexen-Masken auf dem vorläufigen Programm. Eine Hexen-Nacht soll es ebenfalls ge-ben.

Ähnlich vielfältig sind die Ideen auch in anderen Häusern. Das Na-turhistorische Museum hat damit ei-ne nun schon zwanzigjährige Erfahrung; es unterhält darüber hinaus mit dem Panda-Club einen eigenen Jugendclub, der Musees-Bus bringt Ausstellungen auf Rädern auch in abgelegenere Gegenden des Landes. Die Zahl der Besucher im Na-turhistorischen Museum wächst - vor allem dank des steigenden Aufwands an Dramaturgie. 1 500 Schulklassen aller Al-tersstufen besuchen das Museum Jahr für Jahr; zwei fest angestellte museumspädagogische Mitarbeiter, vier vom Schuldienst freigestellte Professoren und 15 freie Mitarbeiter sorgen dafür, dass den Schülern der Museumsbesuch zum Er-lebnis wird.

Ähnlich verhält es sich im Casino. Während des Kulturjahres 1995 eingeweiht, will es - nomen est omen angesichts dieser späten Geburt - von vornherein kein klassisches Museum sein, sondern ein Forum für zeitgenössische Kunst, das neben Austellungen auch Seminare und Kongresse, Praxis-Workshops und Wochen-end-Kulturreisen organisiert, und es bietet Sonderveranstaltungen von Performances bis hin zu Neuer Musik an. Immerhin 23 Prozent der Casino-Besucher aber wa-ren 1999 Schülerinnen und Schüler - in der Besucherstatistik nach den erwachsenen zahlenden Gästen (28 Prozent) und den Very Important Persons (24) die drittstärkste Publikumsgruppe. Für sie organisiert Bettina Heldenstein, die einzige fest angestellte Mitarbeiterin des Service des publics, mit freien Mitarbeitern und Praktikanten seit 1996 thematische Führungen mit anschließendem Praxisteil; an Schultagen, an jedem Samstag Nachmittag ab 15 Uhr sowie in der Ferienzeit. Darunter sind auch längerfristige Projekte, wie das Interview, das Schüler eines technischen Lyzeums mit dem Künstler Jacques Charlier durchführten und das danach im Programm des Soziokulturellen Radios gesendet wurde. Wenn im Juni im Casino eine thematische Ausstel-lung über den Mythos "Paradies" stattfindet, werden auch Schüler ihre Vorstellungen vom Paradies künstlerisch entwickeln und aus-stellen; die Vorbereitungen laufen seit Februar.

Unübersehbar ist allerdings, dass museumspädagogische Arbeit in erster Linie eine mit Schulklassen ist. Zwar haben die Museen auch Veranstaltungen für andere Altersgruppen auf dem Programm, doch die zu erreichen, ist schwer. Um Se-nioren zu mobilisieren, ist Bettina Heldenstein schon in das eine oder andere Altersheim gegangen; Mady Maillet auch, aber weil sie dort so oft zu hören bekam "Lasst den alten Leute doch ihre Ruhe!", schickt sie jetzt nur noch das Monatsprogramm in die einzelnen Häuser: "Ich bin ja schließlich ganz alleine mit meiner Arbeit."

"Man muss ein Museum als öffentlichen Raum ansehen, der allen gehört", sagt Herbert Maly von der Coopérations asbl in Wiltz, die im Rahmen öffentlicher Erwachsenenbildung soziokulturelle Unternehmungen organisiert und auch schon mit eigenen Ausstellungen in Mu-seen vertreten war.

Das klingt gut, noch aber funktionieren die Museen als Begegnungsort für eine kleine Zahl speziell Interessierter, für Schulklassen und für Familien mit auswärtigen Gäs-ten. Und neben den Senioren gelten als die am schwierigsten zu erreichenden Altersgruppen die Teenager und die 25- bis 35-Jährigen. Erstere, die Erfahrung hat Bettina Heldenstein oft gemacht, finden Museen von vorherein "uninteressant und langweilig". Von den Letzteren glaubt Mady Maillet, dass sie sich in dem Alter befänden, in dem sie heiraten, Häuser bauen, Familien gründen: "Da geht man nicht mehr so oft ins Museum."

Obwohl es Bettina Heldenstein schon erlebt hat, wie gerade Teenager ganz begeistert waren vom Casino: Ende Juni letzten Jahres hatten Schüler des Lycée technique des arts et métiers die landläufigen Vorurteile, wie sie un-ter Jugendlichen gegenüber Mu-seen herrschen, aufgearbeitet und in einer Ausstellung namens Crazy World umgesetzt. Lauter, greller und mit viel mehr Musik versehen war dieser eine Abend, der die jugendlichen Besucher so faszinierte, dass diese Art von Veranstaltungen im Casino nun jährlich stattfindet. Ähnlich positiv war die Re-sonanz auf ein HipHop-Event im Tunnel im Stadtgrund im Rahmen der Fünfzigerjahre-Ausstellung, eine Gemeinschaftsproduktion von Casino, Stadtmuseum und der Capel asbl.

Klar ist jedoch: Solche zielgruppenspezifischen Veranstaltungen sind arbeitsintensiv. Die nur mit wenigen fest angestellten Mitarbeitern ausgestatteten museumspädagogischen Abteilungen geraten da schnell an ihre Leistungsgrenze. Durchgeführten Umfragen zufolge sind die Besucher von Workshops und anderen Extraveranstaltungen damit sehr zufrieden. Um die Mu-seen aber als öffentlichen Raum zu beleben, dürfte noch mehr Aufwand nötig sein. Dass das mit Geld zu tun hat, versteht sich: Das anfangs erwähnte Londoner Victoria and Albert Mu-seum zählt in seinem Educational service 35 fest angestellte Mitarbeiter - eine riesige Zahl, verglichen mit der Praxis hier zu Lande. Eine Frage der kulturpolitischen Prioritäten von Staat und Gemeinden ist es jedoch auch.

 

Peter Feist
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