Die kleine Zeitzeugin

Es bleibt spannend

d'Lëtzebuerger Land du 28.01.2022

„Es bleibt spannend!“ So verabschieden Moderator/innen sich derzeit gern von ihrem Publikum, das vermutlich größtenteils in einer eher nicht spannenden Welt lebt. Es sei denn, man empfände Einkommenseinbußen, Freiheitsverlust, Krankheit, Krankheitsangst und Hausarrest als spannend. Ja, okay, ist es schon, meet yourself! als Dauerhighlight, mancheiner, der sich selbst immer schon suchte, hat sich endlich gefunden. Ooh, ein Wrack, wie spannend! Oder abgefunden, sehr philosophisch. Wie sagte noch mal Pascal?

Ab dann wird es entspannend.

Vertröstet auf noch mehr Spannung, zappe(l)n wir weiter. Gibt ja wahrlich genug davon. Aah, der Jemen, falls sich jemand erinnert, vor Jahren gab es kleine Mumien in den Medien, offiziell Kinder genannt, so dass wir Guten Krokodilstränen vergossen. Aber dann vergaßen wir wieder. Wir können uns nicht um alles kümmern. Aah, und der IS, welcome back to the show, auch wieder da? Wart ihr denn nicht … hm, ausgerottet, ach, sagt man nicht mehr, Nazi- Sprech, nur noch bei Viren okay? Also nicht mehr da. Wart ihr nicht nicht mehr da? Man kann sich auf nichts mehr verlassen.

Joe Hurensohn Biden murmelt vor maskierten Medienmaterialzubringern, Pressekonferenz heißt so etwas, schaut durch Augenschießscharten. Und was will Putin?, fragen die angestrengt lockeren Darbieterinnen und Anbieter der Tagesthemenselektion die Putin-Expertinnen. Regelmäßig wissen die es nicht. Sagen, sie könnten nicht in Putins Kopf schauen. Sie hätten keine Glaskugel. Nachrichten in einfacher Sprache.

So einen altmodischen Krieg, höhnt der österreichische Außenminister, vor kurzem war er kurz Kanzler, so einen mit Panzern? Europa ist Snob, rümpft die Nase über Putin mit seinen Playmobil-Panzern, das ist so 20. Jahrhundert. Was soll das, dieses archaische Spektakel an den Grenzen? Statt zünftig gehackt zu werden? Das kommt sicher auch bald, beruhigt CNN.

Der Virologe Hendrik Streeck bei Quarkus Glanz weiß es auch nicht, wegen seines sokratischen Nichtwissens ist er mein Lieblingsvirologe. Während die Politik in der Runde jetzt unbedingt kommunizieren will, Kommunikation ist das Wichtigste, da ist sich die Politik ganz sicher. Nur was, das weiß niemand. Eben. Deshalb weg mit allen Regeln, und dann nur noch eine. Eine klare. Nachvollziehbare. Kommunizierbare. Eine für jede, eine für alle. Ein Wort mit Pflicht, wer hätte vor zwei Jahren, in der Zeit davor, sich getraut, so was in den Mund zu nehmen? Wer konnte sich überhaupt noch an so eine Pflicht erinnern, war sie nicht längst ausgestorben wie all die Ausgestorbenen, die mit ihr was am Hut, am Helm hatten? Die letzten nostalgischen Tugendbolde, unverbesserliche uralte weiße Männer, die schon Zähren vergossen hatten, um diesen hehren Wert, der an keiner Börse mehr gehandelt wurde. Wehrpflicht, Arbeitspflicht, wo sind sie geblieben, und wer geht noch ehelichen Pflichten nach? Im Zug der Bewusstseinserweiterung vor vielen, vielen Jahren war diese Pflicht aus unserm Bewusstsein rausgeflogen, Sünde war wenigstens noch geil. Aber jetzt wollen sehr viele wieder so eine, wie unlogisch auch immer der Begriff ak-
tuell rüberkommt, impliziert er doch Freiwilligkeit, ein moralisches Soll ist kein Muss. Aber die Begeisterung wächst, ist so eine Pflicht nicht solidarisch und egalitär, das klingt doch schon viel attraktiver? Und wenn wir sie erfüllen, sind wir alle gut, und wir kommen in den Himmel und das Leben ist wieder geil.

In Schweden sei man sehr zukunftsorientiert und sehr pragmatisch, sagt ein Schweden-Experte. Tausende von Leuten haben sich schon einen Tschipp am Handgelenk implantieren lassen, geht ganz einfach und nachher geht alles noch einfacher, der Boss der Firma kann es nur empfehlen. Immer alles dabei. Sogar den blöden Gesundheitspass.

Am Abend hält ein schwarzes Auto mit einem amerikanischen Wimpelchen vor dem Kreml. Ein schwarz maskierter Mann steigt aus, er trägt eine Mappe mit einem Brief unterm Arm. Er ist ein Bote, es geht um Krieg und Frieden.

Es bleibt spannend.

Michèle Thoma
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