Die kleine Zeitzeugin

Über Birnen schreiben

d'Lëtzebuerger Land du 19.11.2021

Über Birnen wird kaum geschrieben. Irgendwie gehen sie unter. Sie sind einfach auch da. Auch so da. So nebenbei. Sie haben keine Lobby. Sie werden nie gehypt, nicht mal jetzt, wo heimische Scholle und heimische Knolle die Tollen sind, wo es rural rustikal zugeht, mit Stallgeruchstempel, garantiert ausgebuddelt aus Muttererde. Der von hier bei uns. Sie sind nie die Stars. Hin in der Birne zu sein ist kein Kompliment, eine auf die Birne kriegen gilt nicht als rühmlich. Saumagen-Fan und früherer deutscher Bundeskanzler Kohl wurde jahrein jahraus als Birne porträtiert, was ihn aber letztendlich nicht daran hinderte, gekrönt zu werden. Dass man Äpfel nicht mit Birnen verwechseln soll, wird auch nicht oft genug betont.

Die Schweizer*innen haben recherchiert und herausgefunden, dass sie sich viermal mehr Äpfel als Birnen einverleiben. Gut, selber schuld, so kooperativ ist dieses Kernobstgewächs, mittelhochdeutsch „bir“ geheißen und auf Luxemburgisch „Bir“, dabei ja nicht. Wie bei den Impfstoffen sind die robusten Konsumgüter die beliebtesten, die, die man in Frachter und Flugzeuge schmeißen kann, ohne dass sie gleich Misshandlungsspuren aufweisen oder gar Totenflecken. Ohne unattraktiv zu werden. Birnen sind entweder steinhart oder mit braunen Flecken übersät. Entweder man beißt sich die Zähne aus, oder selbige versinken in Mehligfauligem. Es trieft übers Kinn und aus dem Bart. Einige haben zwar verführerische Namen wie Kuhfuß oder Großkatzenkopf oder Schweizerhose, aber die liegen nicht in unsern Regalen. Da langweilen sich meist Meister Williams oder die Gute Luise. Um sie auszupressen bis auf den letzten Tropfen sind die Birnen allerdings gut genug, und wenigstens Schnapsdrosseln schätzen sie.

Birnenbäckchen werden nicht besungen wie Apfelbäckchen, Apfelpo hat Birnenpo längst entthront, wenn auch ein Internetportal aus dem Konsens ausschert und Nektarinenpo aufs Popodest hievt. Und immerhin schlägt Birne-Posterior, mit und ohne Orangenhaut, Allerwerteste im Kartoffel- oder Tomatenlook locker. Diese Recherche ist natürlich weder raum- noch zeitumfassend, sie ist schnöde heutig, und wem das alles jetzt suspekt sexistisch erscheint, zumindest auf Queer.de werden auch Herrenhinterteile auf ihre Vorteile bez. Gemüse- und Fruchtaffinität akribisch unter die Lupe genommen. Auch da liegt Apfel eindeutig in Führung, Melone und Kürbis weit abgeschlagen.

Mit einem Klick ist mein Guggel-Mäuschen schon im poetischen Apfelparadies. Schon sind Mäuschen und ich mit Uhland bei einem Wirte Wundermild zu Gast, Rilke ist angesichts Apfel auch verzückt, aber Birne schlägt sich lyrisch ebenfalls wacker. August Heinrich Hoffmann von Fallersleben schwärmt vom Birnenschmaus, Pragmatiker Günter Grass schmeißt sie mit Bohnen in einen Topf. Im Land, wo u.a. auch Gott wohnt, preist Thibaut sie im 13. Jahrhundert, die Lobpreisung heißt Roman de la Poire. Adeliges Fräulein, von Vorfahrin Eva inspiriert, offeriert dem Geliebten eine Birne, er beißt zu und an.

So what? Wird sich manch geneigte*r oder gramgebeugte*r Leser*in fragen, hat die sonst keine Probleme? Haben wir sonst keine Probleme? Als weiche Birnen oder Birnenhintern? Gibt es nichts Dringenderes, Drängenderes? Gerade jetzt, zwischen Corona und Klima, alles Katastrophe, draußen stehen die Flüchtlinge vor der Tür, viel schlimmer als dass die Ungeimpften vor der Tür stehen. Die Flüchtlinge können sich nicht rein impfen in die Gated Community EU. Wo Hero Assange vergessen von allen guten Geistern der Wertegemeinschaft vor sich hin modert, ab und zu stehen ein paar faire Menschen irgendwo rum und halten ein Schild hoch, nicht so viele, die meisten haben grad Angst, selber auszusterben. Wenn man sich auch, achselzuck, mit den USA anlegt.

Ja, gebeugte Leser*innen, es gibt Dringenderes. Drängenderes. Das ist ja das Schlimme. Deswegen eben. Dies ist ein Verdrängungstext. Der Kopf ist grad so eine Intensivstation. Mein derzeitiges Birnenlieblingsgedicht ist von Vette de Fonclare, gerade aus dem Netz gefischt, 2009 verfasst. Es heißt La Poire.

Michèle Thoma
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