Geneigte Leser_innen dieses Kolümnchens, ich will Sie nicht entmutigen, aber es muss gesagt werden: Es kommt einiges auf uns zu im Jahre 2015. Bitte planen Sie das unbedingt ein! Das Jahr 2015 hat es in sich. Es hat seine Tage, und zwar täglich.
Am Tag der Zähne zum Beispiel werden wir daran erinnert, dass wir Zähne haben oder hatten. Am Tag der Staudämme gedenken wir der Staudämme, am Tag der Bekämpfung der Wüstenbildung und Dürre in der afrikanischen Wüste gedenken wir der Wüstenbildung und Dürre in der afrikanischen Wüste, am Tag der Römischen Verträge Europas besinnen wir uns auf die Römischen Verträge Europas. Der Tag Rückengesundheit rückt Rückengesundheit in den Fokus unserer Aufmerksamkeit.
Es gibt den Tag des Fernsehens und den Internet-Tag, die bekanntlich vom Aussterben bedroht sind. Es gibt den Tag des Lärms und des Suizids, obwohl sie nicht vom Aussterben bedroht sind. Es gibt den Tag des alkoholgeschädigten Kindes und den Tag der Kinder, die unschuldig zu Aggressionsopfern geworden sind. Dass man der Kinder, die schuldig zu Aggressionsopfern geworden sind, nicht gedenkt, ist wohl nachvollziehbar. Der Kinder wird aber bedenklich oft gedacht.
Und der Natur. Es gibt den Tag des Wassers, des Waldes, der Berge, des Meeres, der Erde, und wenn wir schon dabei sind, der Frau. Das sind so die Longseller, die Evergreens, wie der Tag der Arbeit, der aus unergründlichen Gründen gefeiert wird. Die Faulheit ist immer noch diskriminiert, obschon sie nicht in den Krieg zieht. Und die Muße ist ausgestorben, und niemand weint, höchstens heimlich.
Die meisten Tage sollen Bewusstsein schaffen, aufmerksam machen auf die Scheiße in der Welt, zum Beispiel der Welttoilettentag. Aber dann gibt es zum Ausgleich, man kann ja nicht dauerwachrütteln, den Tag des Hundekuchens, oder den zen-buddhistischen Weltnichtstag, den Einfach-so-Tag, den Tag des Purzelbaums, und, uff, beinahe so heavy wie Weihnachten, den Weltorgasmustag.
Wie wir all diese Tage begehen oder überstehen, bleibt uns natürlich selber überlassen. Im trauten Familienkreis, zwanglos unter Freunden, zwanghaft allein. Oder vielleicht gar nicht. Wir müssen sie ja auch nicht alle begehen, wir können auch einfach gehen, wir leben ja bekanntlich, auch dessen werden sich immer mehr immer mehr bewusst, im Abendland. So frei. Und deshalb, weil wir nicht in einer Mono-Gedenkkultur leben müssen wie bedauernswerte Diktaturenopfer, verfügen wir eben über eine Riesenauswahl an Denkwürdigem oder Bedenklichem. Sicher ist für jede etwas dabei.
Krankheiten, die man uns ans Herz legt, gibt es natürlich auch en masse, wir haben die Wahl der Qual. Eine Menge Organe haben sich organisiert, sie haben Lobbyisten und Promis, die sie promoten. Wenn wir einmal pfeifend an einem schönen Frühlingstag in die Welt ziehen, schaut uns garantiert eine Hämorrhoide, die auch ganz was anderes sein kann, von einem Plakat an, mit dem hypnotischen Killer-Blick. Oder eine Schauspielerin, die endlich etwas Sinnvolles tun will, flüstert uns was von Symptomen ins Ohr, die man nicht mal bemerkt. So unheilvoll sind sie.
Und für den, der mit all dem noch nicht ausgelastet ist, hat das schöne neue Jahr, übrigens Jahr des Lichts, der Holzziege auch noch, noch eine Menge Tage. Täglich können wir Geburts- oder Todestag feiern. Den 300. Todestag von Ludwig XIV. , auch schon wieder, wer hätte das gedacht. Bismarck, gerade mal 200 Lenze, mir ist, als sei es gestern. Und der Tag unseres unvergesslichen Alzheimers, okay, müder Scherz, jährt sich schon wieder zum hundertsten Mal.
Aber was ist das gegen Neidhart von Reuenthal, der vor knapp 775 Jahren das Zeitliche gesegnet hat? Kate Winslett wird gerade mal 40. Das rückt die Dimensionen zurecht, da kommt man noch ins Grübeln.
Fragen gibt es sowieso genug zu diesem Thema, ich weiß nicht, wer sie beantwortet. Wie kriegt wer so einen Tag, ohne ganz tot zu sein, oder ein Gletscher, oder eine misshandelte Person? Und warum heißt der Welternährungstag auch Welthungertag?
Dass es den Weltverdauungstag gibt, ist wiederum sehr nachvollziehbar. Die Welt ist schließlich echt schwer zu verdauen.