Ja, ich weiß, es ist Neujahr, wir sollen alle vorwärts stürmen, und freudig erregt des Kommenden harren. Wassermannzeitalter auch noch, noch mehr Kommunikation, noch mehr LifeLongLearning, noch mehr Optionen aufrufen. Stattdessen spaziere ich auf dem Friedhof der Dinge herum und frage mich, warum wir uns das Leben immer so schwer machen. Indem wir, also ich nicht, immerzu Dinge erfinden, die es angeblich erleichtern.
Kleiner Rückblick ins Poesiealbum der Dinge. Mit sieben Jahren hörte die Zeitzeugin Stimmen. Unter anderem ihre eigene. Anstatt schnellstens abzuhauen und sich im tiefsten Wald zu verstecken, oder unterm Bett, ließ sie sich überzeugen, dass diese Stimme von dem Band kam, das sich feierlich vor ihr drehte. Man konnte dieses Band immer wieder abspulen und sich immer wieder sich selber anhören. Kaum hatte sie sich an dieses Wunderband gewöhnt, wurden ihr unansehnliche Plastikgebilde aufgenötigt, die von Eingeweihten Kassetten genannt wurden.
Es muss um die Jahrtausendwende gewesen sein. Da schob die Zeitzeugin das erste Mal eine kleine silberne Scheibe in ein Radiogerät und es wurde Musik. Eine kleine Geste für die Menschheit, eine große für die Zeitzeugin. Hatte sie sich doch beinahe zwei Jahrzehnte dagegen gesträubt. Sie war nämlich gerade eine richtige Profi geworden im Auflegen der großen, schwarzen Scheiben, die sich so betörend drehten, eine Musik strömte aus ihnen. Warum konnte das nicht so weiter gehen, warum konnten die sich nicht weiter drehen wie bisher? So wie sich die Welt um sich selber dreht, der wird ja auch nicht langweilig, hoffentlich.
Das Telefon, falls sich noch jemand erinnert. Auch so ein wundervolles Objekt, unübersehbar, praktisch, elegant. Es hing, stand, thronte. Leuchtend schwarz, auf Schreibtischen, die es auch noch gab, in bäuerlichen Hausfluren. Es löste die Telepathie ab, die Rauchzeichen. Auf der ganzen Welt funktionierte dieses Gerät gleich, sofort. Wer zur Anrufung schreiten wollte, wählte die passenden Ziffern, eine Scheibe drehte sich zauberhaft, man hallote in eine Telefonmuschel. Niemand brauchte Nachhilfeunterricht, bevor er dieses Gerät bediente beziehungsweise sich seiner bediente. Es war perfekt und kinderleicht. Der Mensch tätigte einen Anruf, danach konnte sie die Hände in die Hosentasche stecken und pfeifend in die Welt ziehen. Ein paar Jahre oder Minuten lang war sie frei. Vielleicht steckte sie mal einer Brieftaube eine Botschaft in den Schnabel oder schickte den berittenen Boten los, aber Angehörige litten keine Todesangst, weil sie nicht erreichbar war. Alle waren unerreichbar. Es gab keine Dauermeldepflicht.
Sie musste auch nicht jedes Zeitquentchen mit Menschen sharen, mit denen sie eigentlich nichts teilt oder teilen will, nicht mal die Meinung. Seltsamerweise haben sie sich unter ihre Freunde geschmuggelt, von denen sie mittlerweile so viele hat, dass sie vor ihnen flüchtet.
Wie sie nur zu denen gekommen ist? Keine Ahnung, vielleicht weil es so leicht war, oder so schwer, weil sie die richtige Taste nicht betätigt hat und schon jemand bestätigt hat.Gerade war es doch so nett gewesen, man kannte sich aus. Irgendwann, gegen Ende des letzten Jahrtausends, hatten die Menschen doch schon so viel erfunden, warum konnten sie nicht mal ein bisschen aufhören, dass man sich ausruhen konnte auf all diesen Erfindungen, oder sie richtig genießen. Es war doch schon ziemlich viel da, beinahe alles. Die Menschheit konnte Aufzug fahren, himmelhoch, sie konnte in vierrädrige Konstrukte steigen oder in fliegendes Zeug. Wenn ihr langweilig war, bewegten sich Bilder extra für sie. Wer wollte, konnte eine Anti- Baby-Pille schlucken. Oder sonst eine bunte Pille, mit diversen Programmen. Das war doch schon was, genug für ein Paradies. Aber das war wohl nicht auszuhalten. Die Menschheit braucht Toilettensperranlagen, Navigators, die sie an der Nase herum führen, Trackers, die sie blockieren muss, gefrorene Eier, Tweets, denen sie followen muss. Und hashtags, ja, hashtags. Unbedingt.
Ich weiß, das ist jetzt keine besonders motivierende Jahresanfangskolumne. Ich weiß sowieso nicht, warum schon wieder ein neues Jahr kommt. Das alte war doch noch ganz gut.