Es ist so kalt, es ist so Nacht, es ist so schwarz, so nachtschwarz. Etwas wie flüssiges Eis fällt vom Himmel, oder was auch immer das ist, da oben. Wir treten aus unserer Höhle, in der wir möglicherweise alleine hocken. Das flüssige Eis ätzt sich in unsere Gesichtshaut, wir treten ins Schwarze, wir geraten ein bisschen ins Rutschen, ins Schlingern, wo sind wir eigentlich, und warum, und wer, und wo steht das Auto? Es ist so Nacht, schon den ganzen Tag, schon tagelang. Aus irgendeinem Grund sind wir nicht auf einem Kreuzfahrtschiff oder in der Karibik oder in einem schneereichen Schigebiet, das es sowieso wahrscheinlich gar nicht mehr gibt.
Aus irgendeinem Grund, den uns vielleicht keiner erklären kann, vieles kann man ja auch nicht erklären, sind wir hier. Auf einem Kontinent, in einem Land, das pünktlich jedes Jahr im Dunkel versinkt, in der Nässe. Ein feiner Nebelschleier hüllt alles ein, wie geheimnisvoll. Aber dann, wie in den Sprichwörtern, wie in den Märchen oder den heiligen Büchern, kommt von irgendwo ein Lichtlein her. Sogar ganz viele, irre viele, der Stern von Bethlehem hat sich vermillionenfacht. Wir laufen den Irrlichtern hinterher, irrende Schafe, blingbling.
Ist die Stadt nicht eine Zauberschatulle geworden? Was da alles drin ist, es funkelt wie eitel Gold und Geschmeide. Was sich da drin tut. Eine glanzvolle Nikolaus-Parade statt überlebter Militärparaden wie in anderen Metropolen, wir haben auch Verbündete, EU und Welt. Auch sonst wimmelt es von Leben, unter Weihnachtsmannmützen wird übermütig gekichert, unter frisch erlegtem Nadelgebäum. Neugierig öffne ich das Adventskalendertürchen zum Adventszirkus. Oho, Tier- und Menschendarbietungen, na sowas. Frauen in Unterwäsche und Tiere, darf man sie noch so nennen?, im Pelz. Sie ernten schallenden Applaus, lese ich in einer Zeitung. Eine Prise Erotik und Exotik, werben die Veranstalter, klinge gut.
Besser als zähe Lebkuchenherzen wie früher.
Der Himmel draußen, schau, wie schön, ist das nicht schön?, ist goldgesprenkelt. Vielleicht ist er gar schneegesprenkelt, goldener Schnee fällt vom Himmel, in den Glühwein. Den schlürfen wir aus karmesinroten Stiefelchen, alsbald wird uns so glühweinerlich zumute. Weihnachtlich, nennen das die Kaufleute. Wir glühen und weinen für allerhand gute Zwecke, es gibt so viele. Wir machen eine fromme Runde und statten den guten Kunsthandwerkern aus Peru, Asien oder dem Ösling einen Besuch ab. Oh, das Geschnitzte, Gewebte, Getöpferte! Schaut liebe Kinder, Kerzen, selbst gezogene, aus echtem Wachs, von echten ein bisschen ausgestorbenen Bienen. Der goldene Honig, ist das einer von hier? Nächstes Mal werden wir etwas erstehen, jetzt erstmal, lächelnicklächel, diskret weiter gehen.
Ach, wie das Leben pulst in der Mitte der Mitte der Stadt. Lasst uns uns hineinstürzen in den Sog, in den Suffsog. In den Fresstrog. Wir fördern heimische Bräuche, füllen uns hemmungslos die Bäuche. Lasst uns uns Küchlein aus Kartoffeln einverleiben, lasst uns die Zähne in Mongolenfleisch schlagen! Es ist nur einmal im Jahr Weihnachten, und dann auch noch dreißig Tage lang, oder wieviele, wer will das wissen. Weihnachtsfrau-Dessous gibt es, wie keck, wie neckisch, Damen mit Ruten, vielleicht auch was für unseren Houseker, der ist leider wieder mal so unlocker. Schaut mal liebe Kinder, ob ihr Krippenfiguren findet, handgeschnitzte, das ist ja nichts hier, alles so kommerziell, lauter Schund.
Gehen wir Richtung Abgrund, die Stimmung steigt, die Stimmung steigert sich, alles bebt. Prost, Karrussel to hell, jetzt ist die Zeit der wohlfeilen Reime gekommen. Gehen wir zum Riesenrad, es dreht sich so tranquilized über dem Abgrund, niemand stürzt sich runter, alles dreht sich munter. Weiter.
Nur einer ist ganz allein. In seiner grellroten Weihnachtsmannuniform in seiner einsamen Weihnachtsmannbude sitzt der einsame Weihnachtsmann. Er fragt kleine Mädchen: Comment ça va? Sie laufen davon. Wahrscheinlich dürfen sie keine Süßigkeiten von alten Männern annehmen, auch wenn das diskriminierend ist.
Der einsame Weihnachtsmann nimmt einen Schluck von seinem Trunk.