Die ADR hat in den vergangenen Monaten die Diskussion über die Verfassungsreform mit Falschaussagen und folgenschweren Unterstellungen vereinnahmt. Die anderen Parteien haben lange nicht reagiert. Das hat sich nun geändert

„Ondemokratesch, ontransparent an onéierlech”

Fernand Kartheiser konsultiert Facebook, während Léon Gloden über die Verfassung spricht
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 28.01.2022

Wiert Iech! Fernand Kartheiser wirkte äußerlich gefasst, als er am Dienstag im Parlament an das Rednerpult trat. Er hatte das Wort wegen eines Fait personnel ergriffen. Der CSV-Abgeordnete Léon Gloden hatte ihm und seiner Partei vorgeworfen, sich in ihrer Broschüre zum Verfassungsreferendum Nazi-Terminologie bedient zu haben. Das dritte Kapitel dieser Broschüre trägt den Titel „Wiert Iech!“. Ausgerechnet der rechtsliberale Gloden hatte angedeutet, die ADR habe sich an dem Aufruf „Deutsche! Wehrt euch! Kauft nicht bei Juden!“ inspiriert, mit dem die Nationalsozialisten 1933 zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen hatten. Der enttäuschte Kartheiser bezeichnete den Nazi-Vergleich als „lächerlich, überzogen und unrealistisch“. Der Aufruf „Wehrt euch!“ – in der deutschen Version der ADR-Broschüre steht „Wehren Sie sich!“ – wird in der Tat auch in anderen Zusammenhängen benutzt, er ist im eigentlichen Sinne aber eine Aufforderung zum körperlichen Widerstand. Immer wieder wird er auch von neofaschistischen und rechtsextremen Gruppierungen aufgegriffen, um ihre ausländer- oder judenfeindliche Politik zu propagieren.

Die ADR ist nicht antisemitisch. Ihre politische Ausrichtung ist schwer einzuordnen. Ihrem Selbstverständnis nach ist sie inzwischen eine erzkonservative, monarchistische, nationalistische und wirtschaftsliberale Partei. Widersprüche zu diesen „Werten“ ergeben sich meist aus opportunistischen Gründen. Etwa wenn sie Musiker und Journalisten verklagt, die sie und ihre Politik kritisieren, und gleichzeitig für die uneingeschränkte Freiheit von Presse und Kunst wirbt. Oder wenn sie mehr Autoritarismus fordert, indem sie die Handlungsfreiheit und die Rechte des Großherzogs gegenüber den gewählten Mitgliedern der Regierung erweitern möchte, andererseits aber für ein basisdemokratisches Verfassungsreferendum eintritt, weil sie sich daraus einen politischen Nutzen erhofft.

Referenden kommen der ADR gelegen, wenn sie dadurch zerstörerisch wirken kann. Wie 2015, als sie sich dagegen einsetzte, dass die nicht-luxemburgische Hälfte der Bevölkerung das Wahlrecht erhält. Vergangenes Jahr wollte sie die Reform der Verfassung verhindern. In einer Broschüre klärte sie die Bevölkerung im September 2021 in sechs Sprachen – darunter Italienisch, Englisch und Portugiesisch – über die vermeintliche Notwendigkeit eines Referendums auf. Gegen CSV, DP, LSAP und Grüne erhob sie darin den schwerwiegenden Vorwurf, die Menschen bewusst „belogen und betrogen“ zu haben. „Wat do geschitt, ass ondemokratesch, ontransparent an onéierlech“, heißt es in dem Pamphlet (S.3). Konkret wirft die ADR „Gambia und der CSV“ vor, die Verfassungsreform ganz bewusst in vier Kapitel aufgeteilt zu haben, um kein Referendum durchführen zu müssen. Fakt ist, dass es die CSV war, die 2019 den jahrelangen Konsens über die Verfassungsreform aufkündigte, damit drohte, ihre Sperrminorität geltend zu machen und sich für konsultative Referenden statt einer großen Volksbefragung aussprach. Die darauffolgende Aufteilung in vier Kapitel war wohl eher das Resultat politischer Verhandlungen und stellt eine Kompromisslösung zwischen den vier Parteien dar, als dass es ihnen tatsächlich darum ging, ein Referendum um jeden Preis zu verhindern. Doch selbst wenn es so wäre, stellt sich die Frage, ob das nach der Erfahrung von 2015 nicht politisch legitim wäre. Undemokratisch wäre es sicherlich nicht.

Propaganda Mit der folgenschweren Unterstellung, die anderen Parteien seien undemokratisch und hätten die Bürger/innen belogen und betrogen, bekräftigte die ADR den von Verschwörungserzähler/innen verbreiteten Mythos, Luxemburg sei seit Beginn der Pandemie keine Demokratie mehr, sondern eine Diktatur. Dieser Eindruck wird von der ADR durch den Vorwurf, die Regierung verbreite „Propaganda“ (S.12), noch zusätzlich verstärkt. Geschickt nutzte sie die negative Stimmung und den Widerstand aus, die die Corona-Einschränkungen in Teilen der Bevölkerung ausgelöst haben. Gegner/innen der Pandemie-Maßnahmen fanden sich auch im erfolglosen Initiativkomitee für ein Verfassungsreferendum wieder, das von der ADR aktiv unterstützt wurde (vgl. d᾽Land vom 12.11.2021).

Die ADR operiert in ihrer Broschüre mit Unterstellungen, Halbwahrheiten und Falschaussagen, die das demokratische System zum Teil grundsätzlich in Frage stellen. Im September behauptete sie, „auch heute weiß immer noch kaum jemand, was in der neuen Verfassung stehen soll“ (S.5). Dabei waren zu dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Broschüre alle vier Kapitel längst hinterlegt, die meisten Gutachten waren schon eingegangen und auf der Internetseite der Kammer waren sämtliche Texte für jeden öffentlich einsehbar. Etwas weiter unten steht, mit der Verfassungsreform sei eine „teilweise Umbildung der Luxemburger Gesellschaft“ geplant und „auch das Ausländerwahlrecht taucht wieder auf“, was zu „einer fundamentalen und irreversiblen Neugestaltungen des Landes und der Gesellschaft“ (S.7) führe. Beide Vorwürfe entbehren jeglicher Grundlage, es sei denn die ADR meint mit „Umbildung“ gesellschaftspolitische Reformen wie Trennung von Kirche und Staat, die DP, LSAP und Grüne eingeleitet haben, nachdem sie 2013 demokratisch gewählt worden waren, und die nun in die Verfassung aufgenommen werden. Vor allem mit der zweiten Behauptung werden fremdenfeindliche Ressentiments geschürt. Die Formulierung „fundamentale und irreversible Neugestaltungen des Landes“ erinnert an kulturpessimistische Untergangsszenarien wie die von der Neuen Rechten propagierten Verschwörungserzählung vom „Bevölkerungsaustausch“, bei der postuliert wird, diffuse Mächte würden die weiße Mehrheitsbevölkerung gegen muslimische oder nicht-weiße Einwanderer auswechseln wollen.

Nicht zuletzt zeigt sich die ADR in ihrer Broschüre davon „überzeugt, dass die Legitimität einer Verfassung davon abhängt, ob sie auf der breiten und durch eine Volksabstimmung dokumentierten Zustimmung des Volkes beruht und nicht nur auf dem Konsens zwischen vier Parteien“ (S.5). Da diese vier Parteien demokratisch gewählt wurden und mit immerhin 52 von insgesamt 60 Mandaten die für eine Verfassungsänderung benötigte Zweidrittelmehrheit von 40 Mandaten weit überschreiten, ist auch diese Unterstellung unhaltbar.

System Die Praxis, mit Provokationen und Falschaussagen die politische Meinung zu beeinflussen, hat bei der ADR System. Wie ein rebellischer Teenager lotet sie Grenzen aus. Wenn sie sie überschreitet, rudert sie zurück und beteuert, es sei unabsichtlich geschehen oder anders gemeint gewesen. Jüngstes Beispiel dafür ist die Aktion von Roy Reding, der die Telefonnummer eines Tageblatt-Journalisten in einer Messenger-Gruppe von Verschwörungsmythologen veröffentlichte. Das sei aus Unachtsamkeit passiert, lautete Redings Erklärung. Dass der Journalist anschließend bedroht wurde, nahm er billigend in Kauf; er hat nichts unternommen, um es wiedergutzumachen.

In ihrer Broschüre fordert die ADR, die Referendumskampagne müsse „so organisiert werden, dass vorgeschlagene Änderungen auf eine neutrale und objektive Art dargestellt werden“ und „zu allen Punkten eine kontroverse Diskussion ermöglicht wird, um den Bürgern zu erlauben, sich auf einer guten Informationsgrundlage eine eigene Meinung zu allen Punkten zu bilden.“ (S.12). Die ADR hat das mit ihrer Broschüre nicht getan. Stattdessen hat sie mit einer großen Desinformationskampagne Angst verbreitet (vgl. d’Land vom 29.10.2021). Einige Menschen hat sie tatsächlich damit erreicht. Für ein Referendum hat es bislang noch nicht gereicht.

Die anderen Parteien waren lange zu zögerlich. Der Präsident des Institutionenausschusses, Mars Di Bartolomeo (LSAP), sah sich bisweilen genötigt, sich in Interviews zu rechtfertigen. Auf einer Informationsversammlung im Oktober im Tramsschapp gerieten die vier Berichterstatter in die Defensive. Das hat sich in den vergangenen Wochen geändert. Die Kammer hat nun endlich eine eigene Broschüre zur Reform verteilt, die Vertreter sämtlicher Parteien haben am Dienstag bei der Diskussion über das zweite Kapitel der Verfassungsreform Kartheisers Falschaussagen widerlegt und ihn zurechtgewiesen.

Die ADR hatte es mit ihrer Kampagne zeitweise geschafft, den politischen Diskurs nach rechts zu rücken. Gleichzeitig hat sie den Populismus in Luxemburg salonfähig gemacht. Das erschwert es insbesondere linken politischen Kräften, ein Gegengewicht aufzubauen, es sei denn sie begeben sich ebenfalls auf populistisches Terrain. Déi Lénk hat es am Dienstag mit einer etwas makaberen Aktion getestet. Um für ihren eigenen Verfassungsvorschlag zu werben, hat sie vor der Gëlle Fra symbolisch die Demokratie begraben. Der Vorschlag der Linken sieht die Einführung einer Republik, eine deutliche Stärkung des Sozialstaats und mehr Möglichkeiten zur demokratischen Partizipation vor.

Diese Aspekte sind wegen der Kampagne der ADR in den rezenten Diskussionen über die Verfassungsreform untergegangen. Kartheiser behauptete am Dienstag, die konstitutionelle Monarchie sei in Luxemburg „extrem beliebt“ und von einer großen Mehrheit „absolut akzeptiert“. Belegen lässt sich diese Behauptung nicht, die letzte Umfrage wurde vor zehn Jahren durchgeführt, damals standen noch 70 Prozent hinter der Monarchie. Spätestens nach den Enthüllungen aus dem Waringo-Bericht dürfte die Stimmung aber gekippt sein. Die Regierung hat darauf reagiert, indem sie die Monarchie weitgehend verstaatlicht hat, was nun auch in der Verfassung verankert wird. Wahrscheinlich war es die einzige Möglichkeit, die Institution noch zu retten. Auf Drängen von Léon Gloden und der CSV darf der Großherzog weiterhin Kommandant der Armee bleiben und Gielecher verteilen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie anachronistisch die Forderung der ADR nach mehr Handlungsfreiheit für den Großherzog tatsächlich ist.

Biedermänner Nach einer Analyse zur politischen Strategie der ADR war der Tageblatt-Chefredakteur Dhiraj Sabharwal am 9. Januar in der Sendung Presseclub im RTL Radio zu dem Schluss gekommen, die Abgeordneten Fernand Kartheiser und Fred Keup seien „nidderträchteg Knaschtsäck“. Sabharwal hatte seine Aussage mit der hypokritischen und opportunistischen Haltung der ADR begründet, die sich vor allem dadurch ausdrücke, dass Kartheiser und Keup sich nach außen als fröhliche und saubere Biedermänner präsentierten, während sie gleichzeitig antidemokratische und teilweise rassistische Ressentiments schürten. Die beiden Abgeordneten hatten daraufhin wegen der ihrer Ansicht nach „inakzeptabelen Aussoen“ Klage eingereicht. Ihrer offiziellen Mitteilung, in der sie sich „ouni Aschränkung zur Fräiheet vun der Press“ bekennen, hatten sie ein Foto beigefügt, auf dem sie grinsend vor dem Bezirksgericht stehend, die Anklageschrift gegen den Chefredakteur der zweitgrößten Luxemburger Tageszeitung stolz in die Kamera halten.

Nun kann man den Ausdruck „nidderträchteg Knaschtsäck“ für unangebracht oder überspitzt halten, doch im Kern beschreibt er die Strategie der meisten ADR-Abgeordneten ganz gut. Das wurde in den vergangenen Monaten vor allem bei den Diskussionen über die Verfassungsreform deutlich. Die ADR mag manchmal berechtigte Kritikpunkte vorbringen, doch sie verpackt sie in eine Form, die sie für den demokratischen Diskurs disqualifiziert.

Darin unterscheidet sie sich nicht von anderen populistischen und nationalistischen Parteien in Europa. Auch wenn es zwischen diesen Gruppen zum Teil inhaltliche Unterschiede gibt, verbindet sie vor allem ihre EU-skeptische Haltung. Sie alle sind für ein „Europa der Nationen“. Auch dieser Begriff hat einen fragwürdigen Hintergrund. 1943, als erste Zweifel aufkamen, ob die unter den Achsenmächten dominierenden Nationalsozialisten den Zweiten Weltkrieg noch gewinnen könnten, planten die von Hitler vernachlässigten italienischen Faschisten mit ihren Verbündeten Ungarn, Rumänien und Bulgarien ein neues Bündnis. Auf diese Weise wollten sie sich auch für die Alliierten interessant machen. Der Name, der ihnen für dieses Bündnis vorschwebte, lautete Europa der Nationen.

Luc Laboulle
© 2023 d’Lëtzebuerger Land