„Die CSV wollte ein Referendum über die Verfassungsreform, ich nicht“, sagte Frank Engel am Mittwochnachmittag vor Gericht, obwohl ihn niemand danach gefragt hatte. Doch es war nach 17 Uhr. Vielleicht hatte der Ex-Parteipräsident erfahren, welche Kehrtwende die CSV-Fraktion kurz zuvor in der Abgeordnetenkammer vollzogen hatte: Noch bis zum 8. November liegt jene elektronische Petition zur Unterschrift aus, die Regierung oder Parlament dazu bewegen will, ein Referendum über die Verfassungsrevision zu organisieren. Erreiche die Petition „25 000 Unterschriften von Volljährigen“, dann sei die CSV dafür, „ein Referendum ans Rollen zu bekommen“, so ihr Parteivorsitzender, der Abgeordnete Claude Wiseler.
Es ist die dritte Kehrtwende der CSV in fünf Jahren. Im Oktober 2016 hatte ihr frisch gekürter Spitzenkandidat Wiseler erklärt, vor den Wahlen werde die CSV die seit 2004 ausgearbeitete Verfassungsreform nicht in erster Lesung stimmen. Die „neue Hausordnung des CSV-Staats“, wie Romain Hilgert sie im Land nannte, sollte erst beschlossen werden, wenn die CSV wieder an der Macht wäre. Doch dazu kam es nicht, und im Juli 2019 fand die CSV allerlei Vorwände, um die Reform, für die der erste Entwurf 2009 im Parlament deponiert worden war, erneut zu torpedieren: Statt einer großen Revision solle es in Kapitel aufgeteilte Änderungen geben. Und vier zweite Lesungen der Kapitel im Parlament, und kein Referendum – anders als die drei anderen großen Parteien, aber auch die CSV das 2018 im Wahlkampf versprochen hatten. An der Seite von DP, LSAP und Grünen ein Stück Geschichte zu schreiben – diesen Gefallen wollte die CSV „Gambia“ eine weitere Legislaturperiode lang nicht tun. Damals hieß es, Frank Engel habe sie dazu bewegt.
Diese Woche sollen Marc Spautz und Michel Wolter eine wichtige Rolle dabei gespielt haben, Partei und Fraktion auf den neuen Kurs zu bringen. Wiseler nannte das „aufs Volk hören“. Offenbar möchte die CSV es nicht allein der ADR überlassen, aus dem Momentum von Covid-Impfgegnerschaft, Unbehagen angesichts steigender Brennstoffpreise und dem generellen Misstrauen mancher Büger/innen gegenüber „denen da oben“ Kapital zu schlagen.
Dabei ist der Ansatz der CSV hanebüchen: Eine E-Petition wie die mit der laufenden Nummer 2007 steht allen Bürger/innen ab 15 Jahren offen, nicht nur Volljährigen. Sie unterscheidet nicht nach der Staatsbürgerschaft, wie ein verfassungsgebendes Referendum. Mit dem Aufs-Volk-Hörenwollen anhand von Petition 2007 tut die CSV im Grunde so, als herrsche allgemeines Ausländerwahlrecht und als liege das aktive Wahlalter bei 15. Beim Referendum vor sechs Jahren war die CSV gegen die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Heute scheint es ihr auch egal zu sein, dass laut Reglement der Abgeordnetenkammer zur Validierung einer Unterschrift unter einer Petition das Personenregister konsultiert werden darf, aber nicht das Register der Wahlberechtigten.
Vor allem aber macht die CSV nicht nur ihre Position als Partei, sondern womöglich auch ihre Zukunft von 25 000 Unterschriften abhängig. Unerreichbar ist die Zahl nicht; am gestrigen Donnerstagmittag lag sie bei knapp 9 200. Mit CSV-Hilfe könnte die Opposition jene 16 Abgeordneten mobilisieren, die das Referendum in der Kammer beantragen würden, wie es Verfassungsartikel 114 vorsieht. Aber was wäre, wenn dieses Referendum trotz des von Claude Wiseler versprochenen Einsatzes der CSV „mit Überzeugung und Energie für ein Ja“ ausgeht wie das von 2015?
Bestenfalls würde der CSV dann ein weiterer Abstieg drohen, ähnlich dem von CDU und CSU in Deutschland. Schlimmstenfalls geriete das Land in eine politische Krise. Schon die nächsten drei Wochen versprechen, bewegt zu werden. Die ADR hatte nicht Unrecht, als sie am Mittwoch nach der Kammersitzung in einer Pressemitteilung frohlockte, sich „durchgesetzt“ zu haben. Die Volkspartei treibt führungslos dahin, auch wenn Claude Wiseler gern etwas anderes suggerieren möchte. Der populistische Dreh, den sie nun vollzogen hat, wird vor allem der ADR nützen. Das Orginal ist immer besser als eine Kopie.